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Studierende sitzen in einem Hörsaal, das Bild ist durch einen optischen Fokus auf die Bildmitte verfremdet.

© Fredrik von Erichsen/picture alliance/dpa

Bundesweite Recherche zu Studierendenvertretungen: Die Schwächen der Uni-Demokratie

Nur wenige Studierende beteiligen sich an StuPa-Wahlen. Dabei geht es um viel Geld. Es kommt zu Finanzskandalen - bei fehlender Kontrolle durch Unileitungen.

Der Duft von Glühwein und Waffeln liegt in der Luft. Menschen drängen sich an Ständen, stehen Schlange für kostenlose Zuckerwatte und Kaffee und bekommen beim Warten bunte Flyer in die Hand gedrückt. Laute Musik und Stimmengewirr hallen durch das Foyer des zentralen Hörsaalgebäudes der Universität Göttingen.

Es ist Wahlkampf für das Studierendenparlament. Und gegen den Aufwand, den die Studierenden hier im Januar 2019 betreiben, wirkt so mancher Parteistand im Bundestagswahlkampf trostlos. Trotzdem wählten hier im vergangenen Jahr gerade einmal knapp 26 Prozent der Studierenden ihr Parlament.

Damit gehört Göttingen noch zu den Spitzenreitern im deutschlandweiten Vergleich der Universitäten mit Verfassten Studierendenschaften, wie die Recherche zeigt. 2019 wählten deutschlandweit durchschnittlich knapp 14 Prozent der Studierenden ihr Parlament, ihren Rat oder entsprechende Gremien.

Zum Vergleich: Bei Kommunalwahlen wurde in der Vergangenheit immer wieder eine geringe Wahlbeteiligung kritisiert. Die durchschnittliche Beteiligung bei den Gemeinderatswahlen lag in Baden-Württemberg 2019 bei knapp 60 Prozent.

[Diese Recherche ist Teil einer Kooperation mit dem Recherchezentrum Correctiv. Das unabhängige Recherchezentrum Correctiv arbeitet gemeinnützig und finanziert sich über Spenden. Hier geht es zum Originalartikel und zu anderen Informationen über die Recherche: Uni-Demokratie: Studierende wählen kaum ]

Bislang konnte man nur vermuten, wie viele Studierende an deutschen Universitäten ihr Parlament wählen. Denn umfassende Daten zur Beteiligung bei studentischen Wahlen gab es nicht. Deshalb hat Correctiv in den vergangenen Monaten die Wahlbeteiligung an den etwa 70 staatlichen Universitäten in Deutschland mit Verfassten Studierendenschaften für das Jahr 2019 gesammelt.

Teilweise mehr als eine Million Euro im Jahr zur Verfügung

Bei der Wahl zum studentischen Rat oder Parlament geht es nicht nur darum, sich an Demokratie zu beteiligen. Es geht um Geld. Viel Geld. Teilweise haben Studierendenschaften mehr als eine Million Euro im Jahr frei zur Verfügung, aktuell etwa an der Universität Hamburg und der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Dazu kommt das Geld für das Semesterticket, das sie verwalten. An großen Universitäten können das weitere Millionen Euro sein.

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„Es gab so bestimmte Momente, wo mir die Verantwortung bewusst geworden ist“, erzählt Lisa Bolten über ihre Arbeit in der studentischen Regierung. Sie war bis Ende Juli an der Universität Lüneburg Sprecherin des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta), wie die studentische Regierung an vielen Hochschulen heißt. „Als ich zum Beispiel die Rechnung unterschrieben habe fürs Semesterticket, wo wir dann auf einmal für 700 000 Euro eine Rechnung unterschreiben mussten.“

Obwohl es sich um ein Ehrenamt handelt, haben die studentischen Vertreterinnen eine große Verantwortung: Studierendenschaften sind oft Arbeitgeber und haben eigenes Personal, das sie einstellen. Die Finanzreferenten von Studierendenschaften hantieren oft mit sechs- bis siebenstelligen Beträgen. Eine Ausbildung haben sie dafür in der Regel nicht.

Großprojekte, die zur finanziellen Katastrophe werden

Nicht alle studentischen Vertreter werden dieser großen Verantwortung gerecht: Einzelne veruntreuen Gelder. Oder veranstalten Großprojekte, die zur finanziellen Katastrophe für die Studierendenschaft werden. Oder sollen jahrelang Steuern hinterzogen haben, wie die Recherche von Correctiv zeigt.

Dass solche Missstände jahrelang nicht auffallen, liegt auch daran, dass Hochschulleitungen die studentischen Vertreterinnen weder beraten noch kontrollieren. Obwohl sie das sollten beziehungsweise müssten. Die allermeisten studentischen Vertreterinnen nutzen das Geld der Studierendenschaft aber für wichtige Projekte, die Studierenden helfen: Studentische Räte und Parlamente können zum Beispiel Darlehen oder Stipendien für Studierende in Not vergeben, Rechtsberatungen zu Bafög und Mietrecht finanzieren, eine Fahrradwerkstatt einrichten oder studentische Projekte wie Cafés, Konzerte oder Konferenzen fördern.

[Lesen Sie hier einen früheren Bericht über Missstände an der Humboldt-Universität: Ämtergeschacher in studentischen Gremien. Und hier ]

In der Coronakrise sind Studierendenvertretungen häufig die ersten Anlaufstellen für Studierende in Not. Wenn sie kein Geld mehr haben. Oder wenn sie rechtliche Unterstützung brauchen. Oder nicht wissen, wie sie Kinderbetreuung und digitales Studium unter einen Hut bekommen sollen.

An einem Baum vor einem Unigebäude und Büchertischen hängen zwei Plakate.
Kryptische Texte auf Plakaten zur StuPa-Wahl von 2005 an der Freien Universität Berlin.

© Thilo Rückeis

Bis dahin interessierten sich allerdings nur wenige Studierende für die Arbeit ihrer demokratischen Vertretungen. Wie die Recherche zeigt, lag 2019 bei 20 der untersuchten Studierendenschaften die Wahlbeteiligung unter zehn Prozent. An der Universität Ulm und an der Universität Duisburg-Essen gingen nicht einmal fünf Prozent der Studierenden wählen.

An der Berliner Humboldt-Universität liegt die Wahlbeteiligung seit fast 20 Jahren im einstelligen Bereich. Anders als in Göttingen beschränkte sich der Wahlkampf hier in den vergangenen Jahren mehr oder weniger auf ein paar DIN-A4-Plakate an Bauzäunen und schwarzen Brettern. Viele Plakate wirkten auf den ersten Blick kryptisch. Auf manchen stand nicht einmal, dass es um die Wahl zum Studierendenparlament (StuPa) geht.

Nicht ernst genommen, weil die demokratische Legitimation fehlt

Die Erhebung bezieht sich zwar nur auf die deutschen Universitäten mit Studierendenschaften. Aber auch an den Fachhochschulen dürfte die Wahlbeteiligung ähnlich niedrig sein. Für studentische Vertreterinnen ergibt sich daraus auch ein Legitimationsproblem. Hochschulleitungen nehmen sie manchmal nicht ernst, weil so wenige Studierende sie gewählt haben.

„Unsere Legitimation würde sich auch dadurch stärken, wenn wir auf einmal eine Wahlbeteiligung von 60 Prozent hätten“, sagt Lisa Bolten vom Asta in Lüneburg, wo die Wahlbeteiligung 2019 bei knapp 19 Prozent lag.

Bei Podiumsdiskussionen und in Gesprächen während der Recherche wirkten viele studentische Vertreter ratlos, warum so wenige sich an studentischer Demokratie beteiligen. Damit Studierende von ihren Erfahrungen erzählen konnten, richtete Correctiv einen Crowd-Newsroom ein. Auf dieser Online-Plattform konnten Studierende von der Situation an ihrer Hochschule berichten und auf Missstände hinweisen. Knapp 250 Menschen schrieben Correctiv daraufhin zwischen August und Dezember 2019.

Studierende beschweren sich? Sollen sie doch mitmachen!

Unter ihnen ist auch ein Student der Berliner Humboldt-Universität. Er berichtet, warum er sich an der studentischen Demokratie kaum beteiligen kann: „Für mich, der sein Studium mit Nebenjobs finanzieren und in Regelstudienzeit durchlaufen muss, bleibt einfach keine Zeit, sich damit in gebührendem Maße auseinanderzusetzen.“

Studierende gehen durch das Foyer der Humboldt-Universität.
Auch an der Humboldt Universität fand im November 2019 eine Diskussion zur Correctiv-Recherche statt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Eine andere Person von der Universität Kassel erzählt, warum sich ihrer Meinung nach so wenige Studierende für ihre gewählten Vertretungen interessieren: „Die Hochschulpolitik erinnert an einen Zickenkrieg und die einzelnen Gruppen machen so für die gesamten Studierenden Hochschulpolitik uninteressant.“

Martin Schmidt, Vorstand des Studierendenrats (StuRa) der Ernst- Abbe-Hochschule Jena, hört diesen Vorwurf immer wieder. Er antworte darauf immer, dass sich die Studierenden, die sich so beschweren würden, dann selbst engagieren und etwas ändern sollten.

Der schlechte Ruf der Studierendenschaften hat aber noch einen anderen Grund: Immer wieder erschüttern Skandale das Vertrauen in die studentische Demokratie. Etwa 2011 an der Universität Duisburg-Essen: Bei der Wahl zum Studierendenparlament klaute ein damaliges Asta-Mitglied eine Wahlurne.

In Wuppertal wurden vermutlich 250 Wahlzettel gefälscht

Vorher hatte er bereits einen Kopierer lahmgelegt, um das Drucken von Stimmzetteln zu verhindern. Mit dem Diebstahl der Urne habe er die Auszählung verhindern wollen, weil er die Wahl wegen formaler Fehler für ungültig gehalten habe, berichtete der „Spiegel“.

Auch an der Universität Wuppertal kam es bereits zu Unregelmäßigkeiten bei StuPa-Wahlen. So wurden 2017 vermutlich knapp 250 Wahlzettel gefälscht, was gut 16 Prozent der abgegebenen Stimmzettel entspricht. Der Asta erstattete Anzeige, die Staatsanwaltschaft ermittelte. Am Ende stellte sie ihre Ermittlungen aber ein, weil das Fälschen von Hochschulwahlen ihrer Ansicht nach keine Straftat ist.

Finanzskandale tragen ebenfalls zum schlechten Image von Asten und Co. bei: In den vergangenen Jahren veruntreuten einzelne studentische Vertreter und Vertreterinnen Gelder, etwa an der Universität Heidelberg und an der Universität Bochum. In beiden Fällen handelte es sich bei der veruntreuten Summe um mehrere Tausend Euro.

75.000 Euro aus den Geldern der Studierendenschaft veruntreut

Ein ehemaliger Finanzreferent der Technischen Hochschule Mittelhessen täuschte 2015 sogar einen Raubüberfall vor, um zu vertuschen, dass er knapp 75.000 Euro aus den Geldern der Studierendenschaft veruntreut hatte.

Auch wenn die studentischen Vertreter falsch kalkulieren, können Studierendenschaften viel Geld verlieren. Einzelne Studierendenschaften veranstalteten in den vergangenen Jahren Großprojekte, die zur finanziellen Katastrophe wurden. Wie etwa 2007, als der Asta der Universität Bochum mit einer Party rund 200.000 Euro Verlust machte. Oder 2012, als eine hessische Studierendenschaft durch ein Sommerfest 50.000 Euro verlor.

In Kassel sollen jahrelang Steuern hinterzogen worden sein

Aktuell gibt es einen besonders schwerwiegenden Fall an der Universität Kassel: Die dortige Studierendenschaft soll jahrelang Steuern hinterzogen haben, wie Correctiv aufdecken konnte. Insgesamt mindestens zehntausende Euro. Im November vergangenen Jahres reichten der damalige Asta-Vorsitz und ein Teil seiner Vorgängerinnen eine steuerliche Nacherklärung für die Jahre seit 2006 beim Finanzamt ein. Beteiligte sprechen von Selbstanzeige. Die Studierendenschaft zahlte vorsorglich gleichzeitig rund 300.000 Euro Steuern und Zinsen an das Finanzamt.

Dass Finanzskandale lange Zeit nicht auffallen, liegt auch an der intransparenten Arbeitsweise mancher Studierendenschaften. Auch in Kassel ist es für Studierende schwer, herauszufinden, was das Studierendenparlament eigentlich beschließt und wofür es Geld ausgibt. Sitzungsprotokolle sind teilweise nur schwer erhältlich. Obwohl das hessische Hochschulgesetz vorschreibt, dass die Beschlüsse des Studierendenparlaments online veröffentlicht werden müssen.

Neue Asta-Vorsitzende fühlt sich von der Unileitung alleingelassen

Sophie Eltzner, seit August 2019 Asta-Vorsitzende in Kassel, versucht seit einem Jahr, den bisher größten Finanzskandal ihrer Studierendenschaft aufzuklären. Sie fühlt sich dabei von der Universität alleingelassen: „Es ist einfach superschwer, jemanden zu kriegen, der dir tatsächlich hilft“, erzählt Eltzner.

So beschreibt Eltzner die Haltung der Uni und des Justiziariates: „Wir sind nicht für euch zuständig. Wir nicken den Haushalt ab, und das war’s. Für den Rest, da braucht ihr uns gar nicht zu fragen.“ Die Universität weist den Vorwurf zurück. Die Verwaltung habe den Asta durchaus mit Beratung unterstützt und die Haushalte überprüft.

Außenansicht eines verglasten Gebäudes der Uni Kassel.
Transparentes Unigebäude in Kassel - aber wenig Transparenz in den Finanzen des Kasseler Astas.

© imago images / imagebroker

Einen Vorwurf von mutmaßlicher Steuerhinterziehung könne sie nicht erkennen. Anders als die Universität war ein Steuerberater zu dem Ergebnis gekommen, dass die Studierendenschaft Steuern hätte zahlen müssen. Daher die Selbstanzeige.

Hochschulleitungen sollen eigentlich verhindern, dass es überhaupt zu solchen Finanzproblemen kommen kann. Sie haben die Rechtsaufsicht über die Studierendenschaft und müssen beispielsweise deren Haushalt und Jahresabschluss genehmigen. So sollen finanzielle und rechtliche Probleme frühzeitig auffallen und schnell behoben werden. Läuft bei den Studierendenschaften etwas schief, können die Hochschulleitungen außerdem Sanktionen verhängen.

Nur wenige Studierende wollen überhaupt so ein Amt übernehmen. Das zeigt sich am Beispiel der Universität Erfurt: 2018 mussten hier StuRa-Mitglieder nachgewählt werden, weil es in einzelnen Fakultäten bei der ersten Wahl zu wenige oder überhaupt keine Bewerberinnen gab. Im selben Jahr war an der Technischen Universität Clausthal die Wahl zum Studierendenparlament nicht nötig, weil es für jedes Mandat nur einen Kandidaten gab. Die Wahl fiel also aus.

Wer Ämter übernimmt, macht nicht immer seine Arbeit

Aber auch die Studierenden, die Ämter übernehmen, machen nicht immer ihre Arbeit. Sitzungen von Parlamenten und Räten können an vielen Hochschulen nicht stattfinden, weil zu wenige Parlamentarierinnen kommen. Normalerweise muss mindestens die Hälfte der Abgeordneten anwesend sein, damit sie auf einer StuPa- oder StuRa-Sitzung Beschlüsse fassen können.

Das klingt erst mal nach keiner allzu hohen Hürde. Doch an der Technischen Universität Dortmund etwa waren in der Legislatur von 2017/18 bei knapp der Hälfte der StuPa-Sitzungstermine bereits zu Beginn nicht genügend Parlamentarier anwesend, um etwas beschließen zu können. In derselben Legislatur mussten weitere Sitzungen abgebrochen werden, weil im Lauf der Sitzung zu viele Abgeordnete gegangen waren.

Die Folge für Studierende an Hochschulen mit diesem Problem: Geld kann nicht bewilligt, Projekte können nicht angestoßen werden. Auch in den studentischen Regierungen kommt es zu ähnlichen Problemen. „Es gibt immer wieder Referate, die wenig bis nichts machen“, sagt Martin Schmidt aus Jena. „Und Referatsleiter, die sich wählen lassen, aber nichts machen.“

[Was Berliner Studierendenvertreter*innen über ihre Arbeit im Digitalsemester berichten, lesen Sie hier: Langes Warten auf den Sitz im Krisenstab]

Die meisten Mitglieder studentischer Regierungen aber nehmen ihre Arbeit sehr ernst. Für viele von ihnen ist das ehrenamtliche Engagement in der Studierendenschaft ein Vollzeitjob. Zum Studium kommen die meisten daneben kaum.

Während der Coronakrise ist die Arbeitsbelastung der studentischen Vertreterinnen noch einmal gestiegen. „Im März, April haben wir gut 50 Stunden jeder gearbeitet“, sagt Lisa Bolten aus Lüneburg über ihre wöchentliche Arbeitszeit. Sie bekommt dafür wenigstens eine Aufwandsentschädigung, im Monat 850 Euro brutto.

Die Coronakrise könnte die studentische Demokratie bekannter machen. Lisa Bolten hofft, dass Studierende die Arbeit von Asta und Co. nun endlich anders wahrnehmen: „Jetzt vor allem durch Corona haben die Studierenden doch gemerkt, dass wir alle vertreten und nicht nur einen kleinen Prozentsatz der Uni.“ (Mitarbeit: Max Söllner)

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