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Eine Frau betrauert von deutschen Besatzern erhängte Männer.

© imago stock&people

Bundeswehr und Wehrmacht: Linke kritisiert Potsdamer Militärforscher

Die Linken-Fraktion im Bundestag wirft dem Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte vor, den Holocaust zu ignorieren. Das Institut sieht es anders.

„Ignoranz gegenüber der Erforschung des Nationalsozialismus und insbesondere des Holocaust“ wirft die Linke im Bundestag dem Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) vor. Die Forschungstätigkeit dort erschöpfe sich „im Zelebrieren der Bundeswehrgeschichte in der Bundesrepublik zwischen 1949 bis 1989“, kritisiert die Linken-Abgeordnete Brigitte Freihold.

In einer Kleinen Anfrage wollte die Linkenfraktion vom Bundesverteidigungsministerium unter anderem wissen, welche Forschungen zum Holocaust sowie zum Zweiten Weltkrieg in Osteuropa in den vergangenen zehn Jahren am Zentrum durchgeführt wurden. Das ZMSBw habe seit 2008 „keine eigenständige Schrift zum Thema ,Holocaust‘ veröffentlicht und darüber hinaus auch keine weitere Forschung zu diesem Thema durchgeführt“, heißt es in der Antwort von Ralf Brauksiepe, Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium.

Zwei von 44 Historikern arbeiten zu Osteuropa im Weltkrieg

Hintergrund der Anfrage seien rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr, schreiben die Fragestellerinnen in einer Vorbemerkung. Eine kritische Aufarbeitung der NS-Geschichte, des Holocaust und des deutschen Vernichtungskriegs in Osteuropa sei „vor dem Hintergrund der Debatte um Leitbilder und Traditionen der Bundeswehr von enormer Bedeutung“. Freihold kritisiert nun ein „gravierendes Defizit in der Aufklärung über den NS“ am Potsdamer Zentrum, dessen Arbeit sich auch an Soldaten und Offiziere richtet.

Gefragt haben die Abgeordneten auch, wie etwa die deutsche Besatzung in Osteuropa, die Rolle der Wehrmacht im Holocaust oder die Hungerpolitik gegen die Sowjetunion in Bildungsangeboten für Bundeswehrangehörige inhaltlich umgesetzt werden. Solche Themen fänden in den „Medien der historischen Bildung für die Streitkräfte“ – Ausstellungen, Lehrbücher, Unterrichtsmaterialien und die ZMSBw-Zeitschrift „Militärgeschichte“ – eine „angemessene Darstellung im Rahmen der Gesamtdarstellung des Zweiten Weltkriegs“, heißt es. Von den 44 Historikerinnen und Historikern beschäftigen sich laut Brauksiepe zwei speziell mit Osteuropa im Zweiten Weltkrieg.

Kooperation mit östlichen Nato-Partnern angemahnt

Insbesondere wollte Freihold wissen, ob das ZMSBw aktuell zum 75. Jahrestag der „Aktion Reinhardt“, bei der zwischen März 1942 und November 1943 in deutschen Vernichtungslagern wie Treblinka und Sobibor über zwei Millionen Juden sowie Sinti und Roma ermordet wurden, forscht oder Bildungsprojekte auflegt. Dies ist nach Auskunft des Staatssekretärs nicht der Fall.

Die Abgeordnete mahnt auch Kooperationen des ZMSBw mit Forschungseinrichtungen in östlichen Nato-Partnerstaaten an. Ein Austausch über NS-Geschichte könnte „einen positiven Beitrag für eine europäische Perspektive der Erinnerung zum NS-Widerstand entfalten“ und damit dem „Aufleben des Nationalismus demokratische Ideale entgegensetzen“.

Institut wollte zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die UdSSR aufklären

Dass der Angriffs- und Vernichtungskrieg der Deutschen im Zweiten Weltkrieg am ZMSBw zu kurz kommen, entspricht allerdings nicht dem Selbstverständnis des Zentrums. So hatten Potsdamer Militärhistoriker beispielsweise zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 2016 mehr Aufklärungsarbeit gefordert.

„Es geht darum, Akzente mit historischen Fakten zu widerlegen, die politisch gefährlich sind“, sagte der Historiker Michael Epkenhans damals den Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN), der Schwesterzeitung des Tagesspiegels. Der Darstellung des Zweiten Weltkriegs als Präventivkrieg wolle man ganz massiv widersprechen, um diesem Versuch des Geschichtsrevisionismus einen Riegel vorzuschieben.

Im vergangenen Jahr fand am ZMSBw zudem ein Workshop zum Traditionserlass der Bundeswehr im Beisein von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) statt. Unter der Überschrift „Kostbares Erbe oder drückende Last der Vergangenheit?“ ging es darum, überlieferungswürdige Werte und soldatische Vorbilder zu definieren.

Neuer Leiter: Holocaust-Geschichte für Soldaten wichtig

Der neue Leiter des ZMSBw Jörg Hillmann sagte den PNN, dass es wichtig bleibe, die Erinnerung an die beiden Angriffskriege, die im vergangenen Jahrhundert von deutschem Boden ausgingen, wachzuhalten. „Die Soldaten müssen wissen, dass Deutschland in der Zeit von 1933 bis 1945 in den Abgrund geführt wurde – unter Beteiligung deutscher Soldaten“, so Hillmann. Ganz besonders wichtig sei es auch zu wissen, dass von deutschem Boden die „systematische und industrielle Vernichtung der europäischen Juden“ ausgegangen ist.

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