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Ob ein Brustkrebs mit Chemotherapie behandelt werden kann, hängt vom genetischen Make-up im Zellkern (blau) der Krebszellen einer Patientin ab. Tests können das nachweisen und Patientinnen die Chemotherapie ersparen. Doch in Deutschland sperren sich die Behörden noch immer gegen eine Erstattung der Kosten.

© picture alliance / dpa

Brustkrebsgentest: Endloses Prüfen: Fahrlässige Körperverletzung

Gentests können Brustkrebspatientinnen die Chemotherapie ersparen. Aber das deutsche Gesundheitssystem schiebt den Einstieg in die moderne Medizin auf die lange Bank. Ein Kommentar

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Über 60 Prozent brauchen keine Chemo

Soll zum Beispiel eine Brustkrebspatientin eine Chemotherapie bekommen, werden vorher die Gene oder Proteine in ihrem Tumorgewebe überprüft. Das erlaubt eine Vorhersage, ob eine Chemo eher hilft oder schadet. Über 60 Prozent der Brustkrebspatientinnen im frühen Stadium, denen Ärzte früher zu einer Chemotherapie geraten hätten, ersparen solche „Genexpressionstests“ die kurz- und langfristigen Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Dementsprechend stieg der Einsatz der Tests, wie des 21-Gentests Oncoytpe DX, in den USA von 1,1 Prozent im Jahr 2005 auf 10,1 Prozent in 2009, so eine aktuelle Studie im Fachblatt „Jama“. Und auch in Deutschland sind die Tests gefragt. Im letzten Jahr wurden allein für Oncotype rund 5000 Anträge auf Erstattung der Kosten des Tests gestellt – rund 3000 Euro. Denn hierzulande stehen Genexpressionstests noch immer nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung – wegen einer beispiellos bummelnden Verwaltung, die Patienten den Zugang zu medizinischen Innovationen erschwert.

Nicht so in anderen Ländern. Seit 2006 wird Oncotype in den USA von den Centers for Medicare & Medicaid Services erstattet, die Gesundheitsleistungen für Senioren und finanziell Bedürftige erbringen und eher nicht dafür bekannt sind, Geld für nutzlose Diagnostik aus dem Fenster zu werfen. In Großbritannien hat das NICE Institut, das die Nützlichkeit von Medikamenten und Diagnosemaßnahmen bewertet, die Genexpressionstests Oncotype, MammaPrint, IHC4 und Mammostrat bereits 2013 geprüft und vor allem Oncotype als sinnvoll eingestuft. Seitdem erstattet der Nationale Gesundheitsdienst NHS die Kosten. In Deutschland hingegen sind die Patientinnen immer noch auf den guten Willen ihrer Krankenkasse oder das eigene Portemonnaie angewiesen. Zwar hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) im Oktober 2013 einen „Erprobungsantrag“ für Oncotype positiv beschieden. Einen Rechtsanspruch auf Durchführung der Erprobung hat der Testhersteller deshalb aber nicht. Nach Paragraf 137e Sozialgesetzbuch dürften Verfahren, die einen potenziellen Zusatznutzen haben, zwar schon in der Erprobungsphase von den Kassen erstattet werden. Aber das hat der GBA abgelehnt, aus Gründen der „Budgetpriorisierung“.

Und noch eine Prüfung und noch eine...

Stattdessen beschloss das Gremium im März 2014, das Institut für Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) zu beauftragen, diverse Genexpressionstests (darunter auch Oncotype) erneut auf ihre Nützlichkeit hin zu überprüfen. Also genau das zu tun, was das britische NICE schon längst getan hat. Im vierten Quartal 2015 soll das IQWIG-Gutachten vorliegen. Aber danach geht die Behörden-Odyssee weiter. Denn dann muss erst die Höhe der Kostenerstattung im „Bewertungsausschuss“ und dem "Institut für Entgeltfestsetzung" beschlossen werden, Gremien der Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen.

Verwirrend? Kafkaesk? Mehr als das: Ein solch endloses Verfahren zur Einführung (oder Verhinderung?) medizinischer Innovationen, die Menschenleben retten oder Leiden lindern sollen, grenzt an fahrlässige Körperverletzung. 70 000 Patientinnen erkranken jährlich allein an Brustkrebs.

Auf die lange Bank geschoben

Natürlich sollen Medikamente und Tests nur eingesetzt werden, wenn ihre Nützlichkeit ausreichend geprüft wurde. Aber warum ist es im Interesse der Patienten nicht möglich, dem Urteil angesehener Institutionen wie Medicaid/Medicare oder dem NICE zu folgen, bis die landeseigenen Bummelinstitutionen mit ihren eigenen Bewertungen hinterhergekommen sind? Wem das allein aus medizinischen Gründen nicht einleuchtet, der möge den Taschenrechner hinzuziehen. Ja, 3000 Euro für einen diagnostischen Test sind viel Geld. Doch wenn damit Tausenden von Brustkrebspatientinnen eine bis zu 15 000 Euro teure Chemotherapie erspart werden kann, dann rechnet sich das auch für die Solidargemeinschaft.

Die Kostenträger im deutschen Gesundheitssystem schieben den Start in eine modernere Medizin auf die lange Bank. Und die Politik schaut zu. Nun soll immerhin das „Versorgungsstärkungsgesetz“ dafür sorgen, dass positive Entscheidungen des GBA binnen sechs Monaten von Gremien wie dem Bewertungsausschuss in die Praxis umgesetzt werden müssen. Sechs Monate. Für eine Brustkrebspatientin muss das wie Hohn klingen.

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