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Hilfe! Die Raupen des Tabakschwärmers sind immun gegen das Nervengift Nikotin. Gegen sie kommen nur Wanzen an.

© MPI f. chemische Ökologie, P. Kumar

Botanik: Sind Pflanzen intelligent?

Pflanzen haben zwar kein Gehirn. Trotzdem können sie Risiken einschätzen, Strategien entwickeln und sich gezielt wehren.

Pflanzen – behauptet der italienische Botaniker Stefano Mancuso – können sehen, hören, riechen, schmecken und tasten. Obwohl sie ohne entsprechende Organe, ohne Nervenzellen und Gehirn auskommen müssen, verfügen sie über zusätzliche Sinne, darunter einen für Schwerkraft, über das Vermögen, Giftstoffe im Boden aufzuspüren, und sogar eine Art Gedächtnis. Sie sind imstande, auf Veränderungen in ihrer Umwelt zu reagieren.

„Im Gegensatz zu Tieren können Pflanzen nicht flüchten, wenn sie bedroht werden“, sagt Mancuso. „Sie müssen daher viel früher wahrnehmen, wenn sich in der Umgebung etwas verändert.“ Er hat keinen Zweifel daran, dass Pflanzen sich ständig Informationen beschaffen, sie verarbeiten und miteinander austauschen. Denn die meisten ihrer Zellen, insbesondere in den Wurzeln, würden elektrische und chemische Signale erzeugen und weiterleiten. Außerdem seien die Wurzeln benachbarter Pflanzen häufig in riesigen Kommunikationsnetzwerken zusammengeschlossen.

Primitiver Sinn für Risiken

Zumindest haben Pflanzen einen primitiven Sinn für Risiken, schreiben der Biologe Efrat Dener von der Ben-Gurion-Universität des Negev und Alex Kacelnik von der Universität Oxford im Fachjournal „Current Biology“. Die Biologen haben Erbsen in zwei direkt nebeneinander stehende Töpfe gepflanzt. Zuerst war der Boden des einen Topfes nährstoffreich, der andere dagegen äußerst karg. Erwartungsgemäß bildeten die Wurzeln im nährstoffreichen Boden etliche Verzweigungen und wuchsen im kargen Boden nur kümmerlich. In der zweiten Phase des Experiments bekamen die Erbsen in beiden Töpfen über einen längeren Zeitraum zwar exakt die gleiche Menge Nährstoffe. Doch die Zufuhr erfolgte das eine Mal regelmäßig und in jeweils gleicher Dosierung, das andere Mal willkürlich in unterschiedlicher Menge. Die Erbsen investierten hier immer dann Energie und Ressourcen in die Wurzelbildung, wenn die Versorgungslage konstant gut war. Doch was passiert, wenn die Versorgungslage schlecht ist, aber in dem einen Topf ständig schwankt und in dem anderen die ganze Zeit unverändert bleibt?

Erbsen als "dynamische Strategen"

Das Ergebnis: Nur wenn das Nährstoffangebot unberechenbaren Veränderungen unterworfen war, gingen die Erbsen das Risiko ein und ließen ihre Wurzeln sprießen. Dener und Kacelnik schließen daraus, dass Erbsen dazu fähig sind, sich auf veränderliche Verhältnisse aktiv einzustellen. „Die Erbsenpflanzen sind dynamische Strategen“, sagt Kacelnik.

Eine der ungewöhnlichsten Pflanzen ist der Wilde Tabak (Nicotiana attenuata). Das Nachtschattengewächs wird zwar nur ein Jahr alt, aber seine Samen können hunderte Jahre im Boden überdauern. Sie warten dort auf einen Flächenbrand. Sobald sie den Geruch von verbranntem Holz wahrnehmen, keimen sie und profitieren davon, dass das Feuer Konkurrenten und Feinde dezimiert hat.

Die Pflanze lockt Wanzen an, auf dass sie die schädlichen Raupen fressen

Der amerikanische Biologe Ian Baldwin, der das Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena leitet, ist von der Tabakpflanze fasziniert. Seit Jahrzehnten erforscht er sie in der Mojave-Wüste in Utah und hat dabei Unglaubliches beobachtet. Laut Baldwin produziert die wilde Tabakpflanze mindestens 144 verschiedene flüchtige Substanzen und schafft es, immer diejenigen zu verströmen, die die Situation erfordert. Sie kann mindestens 32 für sie bedrohliche Insektenarten voneinander unterscheiden. Werden ihre Blätter von einem Insekt angenagt, erkennt sie am Speichel in ihren Wunden, um welchen Angreifer es sich handelt – und bekämpft ihn gezielt.

Gegen das Nervengift Nikotin zum Beispiel sind die gefräßigen Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) zwar völlig immun. Doch wenn die Raupen zubeißen, verraten sie sich durch ihren Speichel und ihren Kaurhythmus. Daraufhin drosselt die Tabakpflanze sofort die Nikotinproduktion und stellt statt dessen Duftstoffe her, die Wanzen anlocken. „Die Pflanze ruft tatsächlich um Hilfe“, sagt Baldwin. Die Wanzen fackeln nicht lange und fallen über die jungen, noch nicht ausgewachsenen Raupen her. Die Tabakpflanze unterstützt den Beutezug, indem sie beizeiten chemische Verbindungen abgibt, die die Verdauung der Schädlinge durcheinanderbringen und dadurch ihr Wachstum hemmen.

Bergahorn und Buche wehren sich gegen Rehe

Nicht weniger raffiniert wehren sich Bergahorn und Buche dagegen, dass ihre Triebe von Rehen abgefressen werden. Eine Sturmbö würde neue Zweige nur abreißen, ein Reh dagegen hinterlässt Speichel. Auf diesen Speichel reagiert der Baum, indem er das Signalhormon Salizylsäure produziert. Daraufhin bildet sich eine Extraportion Gerbstoffe. Das schreckt die Rehe ab und regt außerdem Wachstumshormone an, schreiben Forscher um Bettina Ohse von der Universität Leipzig im Fachblatt „Functional Ecology“. So versucht der Baum, den Schaden einzugrenzen und zu kompensieren.

Tabakpflanzen dagegen spannen Kolibris ein, um ihre Gene in der Umgebung zu verbreiten. Die Vögel haben normalerweise die Angewohnheit, Nektar in nächster Nähe zu sammeln. Um das zu verhindern, versetzen die Tabakpflanzen ihren Nektar ab und an mit Nikotin. Gerät ein Kolibri an den verdorbenen Saft, wird er eine andere Blüte ansteuern und die Pollen über größere Entfernungen tragen.

Die Befunde deuten darauf hin, dass Mancusos Thesen nicht nur Spekulation sind: Pflanzen kooperieren, sie teilen mit Artgenossen Ressourcen und stehen einander bei, wenn sie von Feinden attackiert werden.

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