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Bluetooth im Kloster: Farbspuren im Zahnstein einer vor 900 Jahren gestorbenen Nonne deuten darauf hin, dass auch Frauen religiöse Bücher abschrieben und verzierten.

©  Christina Warinner/Science Advances

Bluetooth im Kloster: Eine Nonne mit kostbarem Lapislazuli an den Zähnen

Ein Fund legt nahe: Nicht nur Mönche, auch Klosterfrauen arbeiteten vor 900 Jahren mit dem wertvollen Farbstoff Ultramarin-Blau.

Jan Vermeer nutzte das wertvolle Farb-Pigment für seine Bilder und schon lange davor soll es bereits Albrecht Dürer mit Gold aufgewogen haben. Bis heute ist Ultramarin-Blau, das aus dem Schmuckstein Lapislazuli gewonnen wird, ein teures, weil seltenes und aufwendig zu beschaffendes Produkt. Seit der Steinzeit wird Lapislazuli in Minen im westlichen Hindukusch Afghanistans gewonnen und seit mindestens tausend Jahren in einem sehr aufwändigen Verfahren mit vielen Arbeitsschritten zu Ultramarin-Blau verarbeitet. Jetzt haben Forscher vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena diesen extrem wertvollen Farbstoff im Zahnstein einer Frau gefunden, die vor rund 900 Jahren im Kloster Dalheim im heutigen Nordrhein-Westfalen begraben wurde.

Ein Zufallsfund im Zahnstein

„Eigentlich wollten wir mikroskopisch kleine Pflanzenreste untersuchen, die im Zahnstein eingelagert werden“, erinnert sich Christina Warinner. „Dabei fielen uns dann winzige blaue Farb-Teilchen auf.“ Zunächst entwickelten die Forscher daher eine Methode, mit der sie diesen blauen Farbstoff aus dem Zahnstein isolierten.

Mit Methoden wie Röntgenstrahlen-Spektroskopie im Raster-Elektronenmikroskop ließen sich in den so erhalten Farbpigmenten allerdings weder Kupfer, Kobalt oder Eisen nachweisen, berichten die Forscher in der Online-Zeitschrift „Science Advances“. Diese drei Metalle bilden den Kern-Bestandteil der im Mittelalter normalerweise verwendeten blauen Farben. Die einzige Ausnahme bildet Ultramarin-Blau, das Anita Radini von der University of York in England und Monica Tromp vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena dann auch mithilfe der Mikro-Raman-Spektroskopie im Zahnstein der Frau nachweisen konnten.

Eine Überraschung. Nie zuvor war Ultramarin-Blau im Zahnstein oder in Zähnen eines Menschen nachgewiesen worden. Wie aber sollte ein extrem wertvoller Farbstoff, der damals nur in Afghanistan gewonnen und sehr wahrscheinlich im Orient hergestellt wurde, in den Zahnstein einer wohl 45- bis 60-jährigen Frau gelangt sein, die in einem Kloster im Zentrum Deutschlands bestattet worden war? Die Überreste der Frau waren mitten zwischen weiteren Skeletten auf einem kleinen Friedhof neben den Grundmauern der Klosterkirche von Dalheim ausgegraben worden und dürften daher sehr wahrscheinlich von einer Nonne stammen.

Keine Spuren harter, körperlicher Arbeit

Gestorben war die Frau zwischen 997 und 1162, stellten die Forscher fest. An ihrem Skelett fanden die Forscher keinerlei Spuren, die schwere körperliche Arbeit hinterlässt, die damals sehr viele Menschen leisten mussten. Das passt zu besser gestellten Kreisen, aus denen in dieser Zeit normalerweise auch die Mönche und Nonnen der Klöster stammten. Das vermutet die Historikerin Alison Beach von der Ohio State University im US-amerikanischen Columbus. Frauen aus der damaligen Oberschicht waren meist gut ausgebildet und konnten in der Regel Lesen und Schreiben.

Ultramarin-Blau wurde im mittelalterlichen Europa für Verzierungen von wertvollen, meist religiösen Büchern verwendet, die in Klöstern in mühevoller Kleinarbeit abgeschrieben wurden. Allerdings sind der Nachwelt keine Bücher des Kloster Dalheims oder der nach Schätzungen des Westfälischen Museums für Archäologie in Münster dort lebenden 14 Nonnen erhalten geblieben.

Pinsel mit dem Mund angefeuchtet

Vier Möglichkeiten für den Ursprung des Ultramarin-Blaus in den Zähnen der Klosterfrau diskutieren die Forscher: So küssten Frauen rituell religiöse Gemälde und könnten so die Farbpigmente in den Mund bekommen haben. Allerdings ist dieser Brauch erst rund drei Jahrhunderte nach dem Tod der Frau von Dalheim nachgewiesen.

Als sehr unwahrscheinlich gilt auch die zweite Möglichkeit einer Einnahme von Lapislazuli als Arznei. Dafür gab es im 11. und 12. Jahrhundert zwar einige Beispiele. Diese stammen aber alle aus den islamisch geprägten Regionen der Welt. Alternativ könnte die Frau das Ultramarin-Blau auch nur hergestellt und dabei die Pigmente aufgenommen haben. Allerdings gibt es erst für das 15. Jahrhundert Hinweise auf eine Herstellung der Farbe in Mitteleuropa. Daher liegt die Vermutung nahe, dass italienische Händler die fertige Farbe etwa aus Alexandria bezogen und nach Dalheim lieferten.

Nur sehr erfahrene und geübte Schreiber hätten dann dieses Luxusprodukt zum Verzieren von Büchern verwendet. „Wenn sie dabei den Pinsel mit dem Mund angefeuchtet haben, kann das so aufgenommene Ultramarin-Blau leicht im Zahnstein abgelagert worden sein“, sagt Warinner.

Offenbar haben also auch Frauen – zumindest ab dem 11. Jahrhundert – Bücher abgeschrieben. „Ich bin gespannt, wie viele weitere mittelalterliche Künstler wir beim Untersuchen weiterer Zähne in den Gräbern dieser Zeit finden werden“, meint Warinner.

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