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Eine junge Wissenschaftlerin sitzt am Laptop und schreibt.

© Imago/Michael Weber

Bloggende Wissenschaftler: Kurz und persönlich

Wissenschaftler haben das Bloggen für sich entdeckt - auch um Debatten anzustoßen. Das Publikum schätzt die neuen Zuspitzungen.

Vor den Trollen, diesen boshaften Störenfrieden, hatten sie zunächst ein bisschen Angst. Denn wo im Netz über Feminismus geschrieben wird, sind hasserfüllte Kommentatoren nie weit. „Aber bisher sind wir von solchen Anfeindungen verschont geblieben“, erzählt Sabine Hark, Professorin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der TU Berlin. Seit einigen Monaten betreibt Hark zusammen mit Kolleginnen die Webseite http://blog.feministische-studien.de/ als Ergänzung zu der gleichnamigen Fachzeitschrift. Lange hatten die Wissenschaftlerinnen überlegt, wie sie auf sinkende Reichweiten und Abonnentenzahlen der Printpublikation reagieren sollten. Am Ende stand fest: Ab jetzt wird gebloggt.

„Wir wollten ein schnelleres, politisch aktuelleres Format etablieren, in dem wechselnde Autorinnen und Autoren aus feministischer Perspektive über Themen ihrer Wahl schreiben.“ Und das tun sie: Auf dem Blog finden sich Texte über Pegida in Dresden ebenso wie über Social Freezing im Silicon Valley. Aktuelle Debatten werden aufgegriffen und aus Sicht der Genderforschung kommentiert und gedeutet. Gut lesbar soll das Ganze auch noch sein. „Unser Anspruch ist es, wissenschaftliche Perspektiven gegenstandsbezogen niedrigschwelliger zu formulieren.“

"Ohne den oft verzerrenden Filter durch die Medien"

Mit diesem Anspruch liegen Hark und ihr Team voll im Trend. Denn gebloggt wird mittlerweile quer durch alle Fächer und Disziplinen. Nach Jahren der Skepsis, ob eine schlichte Blogsoftware mit Kommentarfunktion die richtige Umgebung für wissenschaftliche Autoren ist, hat sich herumgesprochen, dass man mit dem Format nicht nur ein großes Publikum erreichen kann. Blogs bieten außerdem die einmalige Möglichkeit, sich in gesellschaftlichen Debatten Gehör zu verschaffen. Der Klimatologe Stefan Rahmstorf, Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor an der Universität Potsdam, bloggt schon seit zehn Jahren. „Eine Motivation war, Ergebnisse aus der Klimawissenschaft direkt erläutern und diskutieren zu können, ohne den oft verzerrenden Filter durch die Medien.“ Anfangs publizierte Rahmstorf seine Beiträge auf dem englischsprachigen Blog www.realclimate.org, den er mit Kollegen aus den USA gegründet hat. Mittlerweile schreibt er auf Deutsch unter www.scilogs.de/klimalounge. Die Scilogs-Blogs werden vom Spektrum des Wissenschaft Verlags betrieben, hier schreiben neben Wissenschaftlern auch Journalisten.

Die Chance, innerhalb von Tagen Debatten anzustoßen

Auch andere Blogs schlagen diese Brücke. Vor sechs Jahren gründete der Berliner Jurist und Fachjournalist Maximilian Steinbeis die Seite www.verfassungsblog.de, damals noch „als reinen Einzelblog, als Spielwiese für mich“. Doch bald baute Steinbeis das Konzept aus und lud Wissenschaftler ein, auf seiner Seite zu publizieren. „Die Idee des Projekts war es, eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und politischer Öffentlichkeit zu schaffen.“ Die Nachfrage nach wissenschaftlicher Expertise ist groß, gerade wenn es um aktuelle Urteile oder Gesetzesentwürfe geht. Seit 2011 kooperiert der Verfassungsblog mit dem Wissenschaftskolleg zu Berlin und hat sich seitdem zu einer wichtigen Diskursplattform für europäische Rechtswissenschaften entwickelt. „Es geht bei den Blogposts nicht darum, Forschungsergebnisse zu präsentieren, sondern Debatten anzustoßen“, erklärt Steinbeis. Außerhalb des Internets sei das viel mühsamer zu organisieren. „Im Netz ist es innerhalb von Tagen möglich.“

Mittlerweile ist der Verfassungsblog selbst Gegenstand einer wissenschaftlichen Analyse geworden. Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Humboldt-Universität, an dem eine Juristin und ein Wissenschaftsethnologe beteiligt sind, wird derzeit untersucht, was eigentlich passiert, „wenn Juristen und Juristinnen verfassungsrechtlich bloggen. Erreichen sie mit dem Blog ein Publikum und damit auch Diskussionspartner, die sie in den klassischen Kommunikationsformaten nicht erreichen?“

Lesen, was Forscher auf Exkursion erleben

Bei der Helmholtz-Gemeinschaft würde man diese Frage vermutlich spontan mit ‚Ja’ beantworten. Mit 37 000 Mitarbeitern in 18 Forschungszentren ist die Helmholtz-Gemeinschaft die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Seit 2013 wird auch hier gebloggt. Mittlerweile sind unter dem Dach des Blognetzwerks blogs.helmholtz.de zehn Einzelblogs versammelt. „Wir bieten grundsätzlich allen Mitarbeitern an, mitzumachen“, sagt Projektleiter Henning Krause. Bislang haben sich aber vor allem Helmholtz-Wissenschaftler zum Bloggen entschieden, die sich auf Expeditionen befinden. Sie berichten live aus Forschungsstationen aus der Arktis oder der Antarktis. „Wir haben aber auch einen Blog, in dem über die Arbeit im Teilchenbeschleuniger in Darmstadt geschrieben wird.“ Um wissenschaftlichen Austausch gehe es in den anschaulichen und oft ausführlich bebilderten Artikeln nicht, sagt Krause. Die Texte richten sich ausdrücklich an ein breites Publikum, sie sollen einen lebendigen Einblick geben in den Alltag der Forscher. „Blogs sind für uns ein Teil der Außendarstellung.“

Manche trauen sich erst nach einem Coaching

Beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart sieht man das ähnlich, trotzdem hat sich in den letzten Jahren noch ein weiterer Vorteil des Bloggens herauskristallisiert. Seit 2009 bietet das Institut unter http://blog.iao.fraunhofer.de/ seinen Wissenschaftlern ein Forum für ihre Beiträge. „Während Pressemitteilungen im Namen des ganzen Instituts geschrieben werden, sollen und dürfen auf dem Blog auch einzelne Meinungen zum Ausdruck kommen“, erklärt IAO-Pressereferentin Verena Krug. Rund hundert Wissenschaftler haben in den letzten sechs Jahren mitgeschrieben, manche trauten sich allerdings erst, nachdem sie ein Coaching bekommen hatten. Denn mit wissenschaftlichen Aufsätzen sind Blogeinträge nicht vergleichbar. Wer bloggt, darf „ich“ sagen, darf pointiert formulieren, darf auch mal zuspitzen. „Das fiel vielen zunächst schwer.“

In den letzten Jahren haben die anfänglichen Berührungsängste abgenommen, sagt Krug. Mittlerweile sähen viele Wissenschaftler vor allem die Vorteile. Denn ein Blog, auf dem regelmäßig neue Texte veröffentlicht werden, generiert deutlich mehr Aufmerksamkeit als eine statische Webseite oder eine kurze, sachliche Pressemitteilung. Auf Blogs kann man Artikel verschlagworten, sich zu Themen gezielt positionieren, eine Community aufbauen und als Experte seine Sicht der Dinge darstellen. Die stilistische Freiheit reicht dabei ziemlich weit. Darum kann man, bei aller vorhandenen Fülle, kaum von einem typischen wissenschaftlichen Blogeintrag sprechen.

Kritik an bloggenden Wissenschaftlern

Aufgeregt diskutiert die Szene derzeit die Kritik des Wissenschaftsjournalisten Holger Wormer, der auch an der TU Dortmund lehrt, an den Forscher-Blogs: In einem Spiegel-Online-Gespräch hielt er ihnen vor, den kritischen Journalismus ersetzen und umgehen zu wollen, aber nur „winzige Leserschaften“ zu haben. Erwidert haben ihm erboste Blogger, darunter der Physiker Markus Pössel.

Die Texte im Netz jedenfalls unterscheiden sich hinsichtlich Niveau und Komplexität, auch Standardlängen gibt es nicht. Manche Einträge sind kurz und anschaulich, andere lang und ohne Vorwissen kaum lesbar. Meist ist der Tonfall deutlich persönlicher als bei einem wissenschaftlichen Aufsatz, gelegentlich auch mal richtig bissig – je nach Zielgruppe oder Wirkungsabsicht.

"Auch mal eine satirische Gegenrede verfassen"

An Abwechslung mangelt es also nicht. Klimatologe Rahmstorf ist – nach vielen Jahren als Netz-Autor – sogar davon überzeugt, dass Wissenschaftler durch das Bloggen selbst noch dazulernen können: „Man setzt sich mit Themen außerhalb der eigenen Forschung auseinander – und zwar intensiver, als wenn man eine Studie nur mal so durchliest in der üblichen Arbeitsroutine. Man muss die Sache ja für Laien klar auf den Punkt bringen.“ Dazu kommt die anregende Interaktion mit den Lesern. Und die Möglichkeit, auch mal eine satirische Gegenrede zu verfassen, „etwa wenn jemand in den Medien behauptet, im Mittelalter sei Grönland fast eisfrei gewesen“.

Alles in allem, resümiert Genderforscherin und Neu-Bloggerin Sabine Hark, „macht das Ganze total viel Spaß“.

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