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Zehrend. Die Ackerschmalwand verbraucht Ressourcen fürs Immunsystem.

© p-a/dpa

Biologie: Klein, aber stark

Alles hat seinen Preis: Tiere und Pflanzen müssen für ein kräftiges Immunsystem Einbußen in Kauf nehmen.

Auf einer Wiese wachsen zwei Gänseblümchen. Das eine ist mickrig, das andere groß und kräftig. Wenn beide von den gleichen Schädlingen befallen werden, welche hat die höhere Chance zu überleben? Nach neuen Forschungsergebnissen ist es möglich, dass die kleinwüchsige Pflanze widerstandsfähiger ist.

Damit sie sich gegen gefährliche Krankheitserreger zur Wehr setzen kann, hat die Evolution jede Tier- und Pflanzenart mit einem Immunsystem ausgerüstet. Die funktionieren allerdings nicht so gut, wie man erwarten sollte – und erstaunlicherweise können sich nicht nur Arten in ihren Immunreaktionen stark unterscheiden, sondern auch Populationen und sogar Individuen ein und derselben Art.

Diese Vielfalt ist auf die Eigenarten der Angreifer und ihrer Strategien und das ständige Wettrüsten zwischen attackierenden Viren, Bakterien und Pilzen und den gegen sie sich verteidigenden Organismen zurückzuführen. Die Variationen lassen sich jedoch auch auf einen simplen Umstand zurückführen: Immunsysteme zu unterhalten kostet eine ungeheure Menge an Energie. Die Körperabwehr kann nur verbessert werden, wenn dafür zusätzlich Energie aufgewendet wird. Die muss anderswo eingespart werden.

Unlängst haben Jim Adelman (Universität Princeton), Michaela Hau und Martin Wikelski (Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell) die Immunreaktionen von Singammern erforscht (veröffentlicht in „Functional Ecology“). Zunächst wurden Ammern in Südkalifornien und im Norden des Bundesstaates Washington gefangen. Danach wurde Vögeln aus beiden Populationen bakterielle Zellwände injiziert, die eine 24 Stunden dauernde Reaktion hervorriefen. Die übrigen Ammern blieben unbehandelt. Schließlich wurde bei allen Vögeln 20 Stunden lang die Körpertemperatur gemessen. Bei den infizierten kalifornischen Ammern war die Körpertemperatur durchgehend um mehr als zwei Grad höher als bei ihren nichtinfizierten kalifornischen Artgenossen. Demgegenüber wichen die Temperaturen bei den Ammern aus Washington höchstens um ein Grad voneinander ab, und das auch nur während der ersten Nachthälfte.

Die Wissenschaftler haben hierfür eine schlüssige Erklärung: In Washington sind die Singammern gezwungen, nahezu ihre gesamte Zeit und Energie in ihre Fortpflanzung zu investieren, denn ihre Brutzeit ist mit nur 100 Tagen äußerst kurz. Die kalifornischen Ammern hingegen können einen beträchtlichen Teil ihrer Ressourcen in ihr Immunsystem investieren, denn ihre Brutzeit ist 50 Tage länger.

„Die Ergebnisse belegen, dass begrenzte Ressourcen des Organismus und Bedingungen der Umwelt eine große Rolle für die Stärke der Immunantwort spielen. Und damit der Fähigkeit, sich gegen Infektionskrankheiten zu wehren“, sagt Jim Adelman.

Kürzlich ist es Detlef Weigel und seinen Mitarbeitern vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen gelungen, bei der Ackerschmalwand, einer unscheinbaren Pflanze, eine Variante des Gens ACD6 dingfest zu machen, die das Gewächs gegen eine ganze Reihe von Krankheitserregern schützt (veröffentlicht in „Nature“). Bei jeder Ackerschmalwand, die mit dieser Gen-Variante ausgestattet ist, kommt es zu einer Anreicherung von chemischen Substanzen, die nicht nur zur Bekämpfung von Bakterien und Pilzen, sondern auch von Blattläusen und anderen Insekten dienen.

Doch überall, wo die Ackerschmalwand wächst, trägt bloß jede fünfte das modifizierte ACD6-Gen in sich. Dieser Befund hat die Biologen veranlasst zu vermuten, dass die gesteigerte Abwehrkraft auch Nachteile mit sich bringt.

Tatsächlich bringen die resistenten Pflanzen deutlich kleinere Blätter hervor, und sie brauchen noch dazu viel länger, um neue zu bilden. „Wir konnten zeigen, dass das Gen die Pflanzen zwar resistent gegen verschiedene Krankheitserreger macht, aber gleichzeitig das Blattwachstum stark beeinträchtigt, so dass die Pflanzen weniger Blätter bilden und wesentlich kleiner bleiben“, erklärt Weigel.

Die mit dieser Variante des ACD6-Gens ausgestatteten Pflanzen sind gegenüber ihren schlechter gerüsteten Artgenossen im Vorteil, wenn es darum geht, sich gegen eine große Zahl oder Vielfalt von Schädlingen zu behaupten. Doch dieser Vorteil verwandelt sich an solchen Orten und in solchen Zeiten in einen Nachteil, wo es derart wenige Feinde gibt, dass es ein Leichtes wäre, sie zu bekämpfen. Denn je geringer die Blattmasse ist, desto weniger Samen werden produziert und desto weniger Nachwuchs kann es geben. In Weigels Augen ergibt sich aus alledem eine grundlegende Einsicht. „Auch in der Natur gilt: Nichts ist umsonst!“

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