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Biologie: Evolution im Zeitraffer

Südsee-Schmetterlinge haben sich in nur sechs Jahren an ihre Feinde angepasst.

Die Große Eierfliege hat es im Überlebenskampf eilig. So schnell wie dieser Schmetterling hat sich keine Tierart an Umweltbedingungen angepasst. Zumindest nicht unter den Augen von Evolutionsbiologen. Innerhalb von nur sechs Jahren hat sich in der Schmetterlingspopulation der Art Hypolimnas bolina auf den Südseeinseln Savaii und Upolu in Samoa eine neue Genvariante durchgesetzt.

Wie Autoren um Sylvain Charlat (University College London) im Journal „Science“ (Band 317, S. 214) berichten, sind so die Schmetterlingsmännchen für das Bakterium Wolbachia unangreifbar geworden. Noch im Jahr 2001 raffte der Parasit fast alle männlichen Schmetterlinge dahin. Am Ende kam auf hundert Weibchen nur noch ein Männchen.

„Unsere Studie zeigt, dass die Evolution sehr rasch ablaufen kann, wenn eine Population sehr starkem Selektionsdruck ausgesetzt ist“, erklärt Charlat. Zusammen mit Kollegen von der Südpazifik-Forschungsstation der Kalifornischen Universität Berkeley in Französisch Polynesien hatte er die Schmetterlingspopulation 2001 auf der Insel Savaii untersucht. Es zeigte sich, dass 99 Prozent der Exemplare Weibchen waren. Schuld war der Parasit Wolbachia. Denn ist ein Weibchen mit diesem Bakterium infiziert, so wirkt sich das schlimm auf die männlichen Nachkommen aus. Die Embryos sterben, noch bevor sie geschlüpft sind. Erstaunlicherweise bleibt der weibliche Nachwuchs der infizierten Schmetterlinge verschont. Die Weibchen können sich also zur Raupe und schließlich zu einem prachtvollen Falter entwickeln.

Im Jahr 2006 untersuchten die Forscher die Schmetterlingspopulation erneut und fanden jetzt 40 Prozent Weibchen und 60 Prozent Männchen, das Geschlechterverhältnis unter den Edelfaltern hatte sich also innerhalb von nur sechs Jahren nahezu normalisiert. Grund dafür ist ein spezielles Suppressor-Gen, das auch die männlichen Falter gegen den Befall mit Wolbachia resistent macht, weil es die Entwicklung des Bakteriums hemmt.

Wie diese rettende Erbinformation in den Genpool der Schmetterlinge kam, wissen die Wissenschaftler nicht genau. Ursache könnte eine Mutation gewesen sein oder der Import durch eingewanderte Schmetterlinge aus Südostasien auf die Südseeinseln. In anderen Gebieten ist das Suppressor-Gen unter den Edelfaltern nämlich bereits weit verbreitet.

Sicher ist, dass sich das Gen auf den Samoa-Inseln innerhalb von nur zehn Generationen fast über die gesamte Schmetterlingspopulation ausgebreitet hat. Kein Wunder, denn die Tiere, in deren Erbgut dieses Gen fehlte, bekamen bei Bakterienbefall kaum überlebensfähige Nachkommen. Erstaunlich ist allerdings die Geschwindigkeit, mit der sich diese überlebenswichtige Erbinformation unter den Schmetterlingen verbreitet hat: „Soweit ich weiß, ist das die schnellste evolutionäre Anpassung, die jemals beobachtet wurde“, sagt Sylvain Charlat. „Normalerweise dauern solche Prozesse Hunderte oder Tausende von Jahren.“

Der Kampf ums Überleben ist allerdings noch nicht zu Ende. Entwickeln sich die Bakterien so weiter, dass sie auch Schmetterlinge befallen können, die das neue Suppressor-Gen in sich tragen, geht der Wettkampf in eine neue Runde. Nur wenn die Schmetterlinge dann genauso schnell zurückschlagen wie beim letzten Mal, ist ihre Existenz in der Südsee auch in Zukunft gesichert. Dagny Lüdemann

Dagny Lüdemann

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