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Eis

© mauritius

Biologie: Auf den Geschmack gekommen

Der Mensch kann mehr schmecken, als vielfach behauptet wird – weil er ein Allesfresser ist.

Katzen sind arm dran – zumindest, wenn es um das Schmecken geht. Ihnen stehen nur etwa 400 Geschmacksknospen zur Verfügung. Süßes nehmen sie überhaupt nicht wahr und auch sonst schmecken sie erbärmlich wenig. Das können Katzen allerdings leicht verschmerzen. Weil sie Raubtiere mit einer Vorliebe für Frischfleisch sind, ist die Gefahr von vornherein gering, dass sie verdorbenes oder vergiftetes Fleisch zu sich nehmen. Pflanzenfresser hingegen haben den differenziertesten Geschmackssinn überhaupt, und manche unter ihnen sind regelrechte Gourmets. Pferde beispielsweise sind mit 35 000 Geschmacksknospen ausgerüstet, wodurch sie ohne Weiteres imstande sind, Hunderte von Grasarten voneinander zu unterscheiden.

Bleiben noch die Allesfresser. Was das Geschmacksvermögen betrifft, stehen sie irgendwo zwischen den Pflanzen- und den Fleischfressern. Der Mensch ist ein typischer Repräsentant dieser Gruppe. Er kommt mit immerhin 10 000 Geschmacksknospen auf die Welt, hat aber das Pech, davon im Lauf der Zeit einen beträchtlichen Teil wieder einzubüßen.

Bis vor kurzem galt der menschliche Geschmackssinn als primitiv, grobschlächtig und bloß für Weniges zu gebrauchen. Doch die Forschung der letzten Jahre hat zutage gefördert, dass sein Leistungsvermögen in Wahrheit erstaunlich groß ist. Warum er das leistet, was er leistet, erklärt die Evolutionstheorie.

Menschen können Süßes, Saures und Salziges schmecken, weil unsere Vorfahren auf diese Art und Weise die richtige Nahrung fanden. So ist, was süß schmeckt, in aller Regel reich an Kohlenhydraten und liefert somit eine erhebliche Menge Energie. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es frei ist von Stoffen, die für den menschlichen Organismus giftig sind. Übrigens kann sogar der Dünndarm Süßes schmecken. Wie die Zunge ist auch er mit dem dafür erforderlichen Rezeptor T1R3 ausgerüstet.

Dass Menschen imstande sind, Saures zu schmecken, hat hingegen den Sinn, sie vor unreifem Obst und verdorbener Nahrung zu warnen. Unlängst hat der US-amerikanische Biologe Charles Zuker (Universität von Kalifornien in La Jolla) herausgefunden, dass ein einziges Protein namens PKD2L1 für die Wahrnehmung von Saurem sorgt. Auf dieses Protein ist Zuker später auch in bestimmten Nervenzellen des Rückenmarks gestoßen. Möglicherweise soll es dort den Säurehaushalt des Körpers überwachen.

Dass ein Essen salzig schmeckt, mag kein Lob für den Koch sein. Aber der Geschmack verrät uns, dass die Speise Salz oder andere Mineralstoffe enthält. Für den menschlichen Stoffwechsel ist die ständige Versorgung mit Kochsalz unbedingt notwendig. Denn der Körper kann Salz nicht speichern und verliert es darüber hinaus ständig beim Schwitzen.

Um zu verhindern, dass sie von Tieren verspeist werden, stellen etliche Pflanzen Gifte her, darunter auch zyanogene Glukopyranoside. Menschen können diese Substanzen, die im Magen- Darm-Trakt Blausäure freisetzen, leicht identifizieren, denn sie schmecken bitter. Die für Bitterstoffe zuständigen Rezeptoren reagieren 10 000 Mal empfindlicher als die auf Süßes spezialisierten. Diese extreme Empfindlichkeit ist unter anderem das Ergebnis einer genetischen Mutation, die irgendwann in der Altsteinzeit stattgefunden hat. Zu diesem Befund sind vor einiger Zeit Wolfgang Meyerhof und Bernd Bufe vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke sowie andere Wissenschaftler gelangt. 13,8 Prozent der Afrikaner fehlt allerdings diese Genvariante, so dass sie zyanogene Glukopyranoside erst in höheren Konzentrationen schmecken. Doch vermutlich ist das für sie ein Vorteil. Wenn sie nämlich häufiger zyanogenhaltige Nahrung essen, leiden sie zwar häufiger an Sichelzellenanämie. Das wiederum verringert aber ihr Risiko, sich mit Malaria zu infizieren.

„Forscher vermuten, dass Bitterstoffe vor einer ganzen Reihe von Krankheiten schützen. Gleichzeitig weisen epidemiologische Studien darauf hin, dass ein hoher Gemüseverzehr das Risiko für bestimmte Krebs- oder Kreislauferkrankungen senken kann. Viele Menschen lehnen jedoch bestimmte Gemüse ab, weil sie bitter schmecken“, erklärt Meyerhof. Um vermeintlich geschmackvollere Produkte anbieten zu können, sei die Agrar- und Lebensmittelindustrie bemüht, den Bitterstoffanteil in der Nahrung zu reduzieren. „Ob dies dazu beitragen kann, den Gemüsekonsum zu erhöhen, bleibt abzuwarten.“

Mit süß, sauer, salzig und bitter ist es aber noch nicht getan. Im Jahre 1908 entdeckte der japanische Chemiker Kikunae Ikeda einen fünften Grundgeschmack, den er „Umami“ (das japanische Wort für „wohlschmeckend“ oder „köstlich“) nannte. Die evolutionäre Bedeutung des Umami-Geschmacks ist noch nicht völlig geklärt. Doch offenbar dient er in erster Linie dazu, eiweißreiche Nahrung anzuzeigen. Jedenfalls ist er für Milch, Käse oder Sojaprodukte nicht weniger typisch als für hochreife Früchte oder Fisch und Fleisch überhaupt. Umami ist nichts anderes als der Geschmack des Glutamats, der in Lebensmitteln am häufigsten vorkommenden Aminosäure. Das Glutamat verstärkt den jeweiligen Eigengeschmack der Nahrung.

Lange hatte es den Anschein, als ob die Evolution vergessen hätte, den Menschen mit der nützlichen Fähigkeit auszurüsten, mit der Zunge Fettsäuren in der Nahrung aufzuspüren. Denn immer wieder bestätigte sich die Annahme der Ernährungswissenschaft, dass reines Fett nach gar nichts schmeckt. Doch vor kurzem ist es dem französischen Physiologen Philippe Besnard (Université de Bourgogne in Dijon) gelungen, einen Rezeptor ausfindig zu machen, der offenbar auf die Wahrnehmung von Fetten im Mundraum spezialisiert ist. Hierbei handelt es sich um das Glykoprotein CD36. Sobald man bei Säugetieren diesen Rezeptor lahmlegt, vergeht ihnen der Appetit auf fettreiche Nahrung.

Gelegentlich wird darüber spekuliert, ob der menschliche Geschmackssinn noch mehr im Repertoire haben könnte – Süßwasser etwa, oder Alkalisches oder auch Metall. Das ist möglich, aber die Wissenschaft hat hierfür noch keine Indizien entdeckt.

Nicht nur die primären Geschmacksqualitäten der Nahrung, sondern auch ihre Konsistenz, ihr Geruch und ihre Temperatur tragen einiges zum endgültigen Geschmackserlebnis bei. Die für die Temperaturmessung und für Schmerzempfindungen zuständigen Sensoren haben eine merkwürdige Eigenschaft: Sie werden auch dann aktiv, wenn sie mit scharf gewürzter Kost in Berührung kommen. So genügt schon etwas Senf oder Meerrettich, um den Kälterezeptor auf den Plan zu rufen. Der Hitzerezeptor hingegen reagiert auf das Capsaicin, das in Chilifrüchten jeglicher Art enthalten ist. Das Capsaicin hilft nicht nur dabei, den Körper zu kühlen, indem es die Absonderung von Schweiß steigert. Es bekämpft noch dazu Parasiten. Doch der Mensch ist das einzige Säugetier, das den Geschmack von Chilifrüchten nicht als scheußlich empfindet. Um ihre Samen zu verbreiten, verlassen sich die Capsaicin produzierenden Pflanzen daher auf Vögel. Die mögen es offenbar scharf.

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