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Jugendliche, zwei Schülerinnen und ein Schüler, beugen sich in einem Klassenraum über ihre Kollegblöcke und schreiben.

© Britta Pedersen/picture alliance/ZB

Bildungserfolg geflüchteter Kinder in Deutschland: Guter Start für die Jüngsten, sprachliche Defizite vor dem Schulabschluss

Fehlende Kitaplätze und mangelnde Sprachförderung: Eine Studie des Instituts für Bildungsverläufe zeigt, wo Integrationsprobleme bei Flüchtlingskindern liegen.

Syrische Einserabiturient:innen zeigen es auch in diesem Jahr wieder: Das deutsche Bildungssystem kann es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, trotz einer oft traumatisierenden Flucht und vielen Monaten ohne Schule in der neuen Heimat überaus erfolgreich durchzustarten.

Einer aktuellen Studie zufolge jedenfalls bezeichnen weit über 90 Prozent der Erzieher:innen die Integration von Flüchtlingskindern als gelungen. Und rund 22 Prozent der geflüchteten Jugendlichen ab 14 Jahren besuchen ein Gymnasium .- allerdings mit Stand Winter 2020 nur zu rund 12 Prozent in einer Regelklasse.

Das geht aus einem am Montag veröffentlichten Überblick des Bamberger Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi) hervor. Insgesamt 4800 Kinder und Jugendliche im Kitaalter und zwischen 14 und 16 Jahren sowie ihre Eltern wurden für die ReGES-Studie (Refugees in the German Educational System; Geflüchtete im deutschen Bildungssystem) von 2018 bis 2020 von mehreren Teams von Forschenden begleitet (zum vollständigen Studienbericht geht es hier).

Auch die Eltern profitieren, wenn ihr Kind in der Kita ist

73,1 Prozent der beteiligten Familien stammen aus Syrien, 12,9 Prozent aus dem Irak und 8,6 Prozent auf Afghanistan. 10,2 Monate befanden sich die Familien im Schnitt auf der Flucht, die meisten von ihnen sind 2015 in Deutschland angekommen. Befragt wurden Kinder, Jugendliche und Eltern in Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen.

[Lesen Sie auch den Bericht von Sylvia Vogt über zwei syrische Abiturientinnen: Vor sechs Jahren geflüchtet, jetzt das Abi mit 1,0 bestanden]

"Die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in unser Bildungssystem gelingt zwar zu großen Teilen, dennoch lassen sich verschiedene Problemfelder identifizieren", schreibt Hans-Günther Roßbach, ehemaliger Direktor des LIfBi und 2016 erfolgreicher Antragsteller für die Studie. So sei es erfreulich, dass vier von fünf der geflüchteten Kinder zwischen vier und sechs Jahren eine Kita besuchen.

Dort kommen sie mit der deutschen Sprache und mit anderen Kindern in Kontakt - und ihre Eltern mit anderen Eltern. Die Kinder profitierten von den vielen Lernmöglichkeiten speziell im Sprachbereich, betont Roßbach. 94,1 Prozent der Erzieherinnen berichten der Studie zufolge denn auch von einer "gelungenen Integration" der Flüchtlingskinder.

Drei kleine Kinder im Alter von etwa drei bis sechs Jahren sitzen in einem Flüchtlingslager in einem Igluzelt.
Im Schnitt haben geflüchtete Kinder und Jugendliche während ihrer Flucht und nach dem Ankommen in Deutschland mehr als ein Jahr Schulbesuch versäumt.

© Valdin Xhemaj/dpa

Gleichzeitig aber würden "zum Teil große kulturelle und personelle Herausforderungen gesehen, auf die Träger und Politik vermehrt achten sollten", wie Roßmann anmahnt. Denn das Kitapersonal ist teilweise unzureichend auf die "neue" Klientel vorbereitet: Etwas weniger als die Hälfe der Erzieherinnen und Erzieher habe in den vergangenen 24 Monaten an einer spezifischen Fortbildung zur Förderung von Kindern mit Migrations- oder Fluchthintergrund teilgenommen, heißt es.

Nicht in die Kita - meist sind fehlende Plätze der Grund

Darüber hinaus liegt die Quote der Flüchtlingskinder, die eine Kita besuchen mit 79,2 Prozent noch deutlich unter der von Kindern mit Migrationshintergrund ohne explizite Fluchtgeschichte (94,2 Prozent; ohne Migrationshintergrund: 97,9 Prozent).

Nur in den seltensten Fällen haben sich die Eltern bewusst gegen die Kita entschieden: 8,3 Prozent begründen dies mit "anderen religiösen und kulturellen Werten", die dort bestimmend seien, 5,8 Prozent mit "Angst vor Ausgrenzung" ihrer Kinder. Zwei Drittel aber haben schlicht keinen Kitaplatz für ihr Kind bekommen und einige Eltern berichteten von fehlenden Informationen über den Zugang zur Kita.

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Das Bundesprogramm „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ und andere Initiativen für ein niedrigschwelliges Angebot an Familien und Kinder mit Fluchthintergrund sollten deshalb dringend fortgesetzt werden, appelliert Hans-Günther Roßbach. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer und auch mit der Berufstätigkeit der Mütter wächst der Studie zufolge auch die Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder betreuen zu lassen.

Nur 18,7 Prozent trauen sich Literatur und Sachbücher zu

Ein zweiter Schwerpunkt von ReGES liegt auf der Altersgruppe der 14 bis 16-Jährigen und ihren Deutschkenntnissen. Positiv fällt zunächst einmal das Selbstbewusstsein der Jugendlichen auf: Ihre deutschen Sprachkompetenzen schätzen sie als gut bis sehr gut ein - und bekommen dies auch von ihren Eltern bestätigt.

Kinder sitzen in einer Kita an Tischen und spielen, im Vordergrund sind Bauklötze und ein gepuzzeltes Schloss zu sehen.
Eine gute Integration in der Kita bescheinigen 94,1 Prozent der Erzieher:innen den Flüchtlingskindern.

© Monika Skolimowska/dpa

Knapp 20 Prozent der Befragten sind auf einer Hauptschule, 22 Prozent auf der Realschule, rund 12 Prozent in Sekundarschulen ohne Oberstufe, 17 Prozent in Gesamtschulen mit Oberstufe und 22 Prozent auf dem Gymnasium - jeweils mit Anteilen von rund zehn bis sieben Prozent in Zuwandererklassen. Förderschüler sind nicht an der Studie beteiligt.

Ob Verstehen, Sprechen, Lesen oder Schreiben: 28 bis 25 Prozent bescheinigen sich quer durch alle Schulformen "sehr gute" Kenntnisse, "eher gut" finden sich 63 bis 59 Prozent (absteigend in der Reihenfolge der genannten Kompetenzen). In der Kategorie "eher schlecht" bewegt sich die Quote zwischen 7 und 13 Prozent, bei "gar nicht" zwischen 0,1 und 0,3 Prozent.

Nach Schulnoten haben die Forschenden vom LIfBi nicht gefragt, wohl aber differenziert nach Sprechsituationen und Textarten. Begrüßung und Vorstellung, nach dem Weg fragen, Essen bestellen und einfache Fragen beantworten: Hier schätzen zwischen 93 und 82 Prozent der Jugendlichen ihre sprachlichen Fähigkeiten als sehr gut ein.

Weit über die Hälfte bekommt keine Extra-Sprachförderung

Geht es darum, etwa Fernsehsendungen problemlos zu folgen oder sich aktiv an längeren Gesprächen zu beteiligen, bescheinigen sich nur noch 74 bis 55 Prozent "eher gute" Kompetenzen. Und lediglich 18,7 Prozent können Literatur und Sachbücher lesen und 15,2 Prozent anspruchsvolle Texte schreiben.

Dass die Jugendlichen diese von ihnen selbst gesehenen Defizite bis zu ihrem Schulabschluss aufholen, ist kein Selbstläufer. Denn 64,9 Prozent der Jugendlichen nahmen zum Erhebungszeitpunkt an keiner Maßnahme zur Förderung der Deutschkompetenzen teil. Das sei "alarmierend", erklärt Hans-Günther Roßmann und fordert einen Ausbau der schulischen und außerschulischen Sprachförderung.

Auch Gisela Will, ReGES-Projektkoordinatorin, sieht noch großen Aufholbedarf - bei Jugendlichen und in den Bildungseinrichtungen. "Die Schullaufbahn der befragten Jugendlichen war aufgrund der Flucht und im Zuge des Ankommens in Deutschland durchschnittlich länger als ein Jahr unterbrochen."

"Mögliche Kumulationen der Risiken in den Bildungswegen geflüchteter Jugendlicher" müsse man im Blick behalten. So müsse untersucht werden, wie es sich auswirkt, dass die jungen Geflüchteten "häufig in niedrigeren – dem Alter der Jugendlichen nicht entsprechenden – Klassenstufen" unterrichtet werden.

Die Auswirkungen der Coronakrise, der monatelangen Schulschließungen und des Distanzunterrichts berücksichtigt die jetzt vorgelegte Auswertung noch nicht. Die Forschenden versprechen aber "weitere Analysen mit den Daten der späteren Erhebungswellen". Die Studie wird noch bis Ende dieses Jahres vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Eine weitere Studie, die Bildungswege sowie Bildungsentscheidungen von jungen Geflüchteten an zentralen Schnittstellen des deutschen Bildungssystems untersucht, wurde im Januar dieses Jahres bewilligt.

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