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Wertschätzung ist gefragt: Deutsch-Sommercamp mit Roma-Mädchen in Berlin

© Kitty Kleist-Heinrich

Bildungsaufsteigerinnen: Schule ist für Sinti und Roma kein sicherer Ort

Trotz Vorurteil und Illegalität: Frauen und Mädchen aus Europas am stärksten diskriminierter Minderheit gelingt der Aufstieg. Weil ihre Familien hinter ihnen stehen.

Wie gelingt Sinti und Roma der Bildungsaufstieg in Deutschland? Zwei Forscherinnen, die dies jetzt für Frauen der Minderheit untersucht haben, fordern zuallererst deutliche Veränderungen der Lehreraus- und -weiterbildung und neue Schulbücher. Für Sinti und Roma seien „Schulen nach wie vor keine sicheren Orte“, sagte die Erziehungswissenschaftlerin Jane Schuch von der Berliner Humboldt-Universität am Mittwoch bei der Vorstellung ihrer qualitativen Pilotstudie über Bildungsaufsteigerinnen. Mit ihrer Kölner Kollegin Elizabeta Jonuz hat sie Frauen befragt, die als erste ihrer Familien höhere Bildungs- und Berufsabschlüsse erreicht haben.

Hindernisse: Vorurteile und Illegalität

Bei allen Unterschieden zwischen den 17 befragten Frauen im Alter von 18 bis 55 Jahren hätten sie – bis auf eine Ausnahme – eines gemeinsam: „Sobald sie den geschützten Raum der Familie verließen, machten sie Diskriminierungserfahrungen, zunächst in der Schule“, sagte Schuch. Elizabeta Jonuz, die an der Uni Köln auch Lehrkräfte ausbildet, ergänzte, ihre Studierenden wüssten wie die Mehrheit der deutschen Elite wenig bis nichts etwa über den NS-Völkermord an Sinti und Roma, die bis heute nicht nur Europas größte, sondern auch am meisten diskriminierte Minderheit sind. Unterrichtsmaterialien enthielten weiter Klischees. Schulkinder heute machten so „dieselben Diskriminierungserfahrungen wie ihre Mütter“. Eine der befragten Frauen, eine studierte Philologin berichtet über ein Geigenvorspiel ihrer Tochter in der dritten Grundschulklasse: "Die Lehrerin wunderte sich: Du spielst doch erst so kurz, warum spielst du so gut? Dann sagte mein Kind: weil ich zweimal in der Woche Einzelunterricht habe. Dann sagt die Lehrerin: Oder weil deine Mama eine Roma ist?" Als daraufhin die andern Kinder in der Klasse fragen, was denn eine Roma sei, antwortet die Lehrerin: "Die kennt man besser unterm Namen Zigeuner." Als das Mädchen am nächsten Tag in die Schule kommt, wird es mit dem gesamten Set an Vorurteilen konfrontiert, erzählt die Mutter: "Die Kinder haben ihr gesagt, ihr zieht weiter, ihr seid Diebe, deine Eltern werden mit dir betteln gehen, ihr habt bestimmt irgendwo einen Wohnwagen." Weder die Lehrerin noch die Schulleiterin seien bereit gewesen, über den Vorfall zu sprechen.

"Es entsteht eine Mittelschicht von Sinti und Roma"

Für ihre Studie befragten Jonuz und Schuch Sintezza der zweiten und dritten Nachkriegsgeneration, Romnja, die in den 1990er Jahren als Kinder aus dem zerfallenden Jugoslawien und Kosovo nach Deutschland flohen und Romnja, deren Großeltern bereits als Gastarbeiter aus Jugoslawien kamen. Neben antiziganistischen Vorurteilen litten die Frauen, soweit sie nicht Deutsche sind, nach eigenen Angaben unter ihrem jahre- bis jahrzehntelang unsicheren Aufenthaltsstatus. Einige waren noch „Illegale“, als sie ihre Berufsabschlüsse machten.Ausnahmslos alle schilderten hingegen ihre Familien als ihre wichtigsten Stützen beim Bildungsaufstieg. Obwohl sie diese Bildung in einer als feindlich erlebten Außenwelt erwerben mussten und dadurch die Ablösung von ihrer Herkunft befürchteten, kam es nicht zum Bruch, die Verbundenheit auch mit der Kultur der Sinti und Roma blieb. Auch aufmunternde Lehrerinnen und andere Menschen außerhalb der Familie spielten eine Rolle, aber in geringerem Maße. Die Autorinnen kritisierten eine Studie im Auftrag des EU-Parlaments über Frauen der Minderheit in Deutschland. Dort waren deren Traditionen als Haupthindernis für Bildung und Berufstätigkeit von Sintezza und Romnja bezeichnet worden. Trotz einiger deprimierender Befunde und etlicher Steine, die den Frauen im Weg liegen: Die Forscherinnen sehen die Bildungsaufstiege in der Minderheit optimistisch: "Innerhalb der Minderheit ist eine Mittelschicht im Begriff zu entstehen", sagt Elizabeta Jonuz.

Im vergangenen Jahr hatte die Stiftung EVZ erstmals „Empfehlungen zur gleichberechtigten Bildungsteilhabe von Sinti und Roma in Deutschland“ veröffentlicht. Darin wurden neben einem diskriminierungsfreien Bildungssystem der Einsatz von mehr Sinti und Roma als Lehrerinnen, Sozialarbeiter und Wissenschaftlerinnen gefordert. Zudem müssten Wissen und Forschung über Sinti und Roma, die teils noch im Nationalsozialismus wurzelten, reformiert werden. Eine aktualisierte und erweiterte Fassung der Empfehlungen wird am Donnerstag vorgestellt.

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