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Großer Andrang. 2,87 Millionen studieren in Deutschland - so viel wie nie.

© Oliver Berg/dpa

Bildung: Der neue Studierendenrekord ist eine Chance

Deutschland könnte den Ansturm auf die Unis nutzen. Doch bei den Hochschulen wird weiter gespart. Ein Kommentar.

Wird Deutschland von Germanistinnen und Theaterwissenschaftlern überschwemmt? Drängen etwa Abertausende junger Menschen auf den Arbeitsmarkt, die gelernt haben, komplizierte Texte in altmodischen gelben Reclamheften zu analysieren, während das Land verzweifelt Krankenpfleger und Klempnerinnen, Bauingenieurinnen und Computerprofis sucht? Studieren zu viele und dann auch noch das Falsche?
Die Frage kann sich aufdrängen, nachdem die neue Rekordzahl von 2,87 Millionen Studierenden in Deutschland bekannt gegeben wurde. Würde Deutschland am Bedarf des Arbeitsmarktes vorbei massenhaft Akademiker produzieren und dabei die duale Ausbildung kannibalisieren, dann wäre es ein schwerer politischer Fehler gewesen, dass Bund und Länder in den vergangenen zehn Jahren über 700.000 Studienplätze mit dem Hochschulpakt geschaffen haben.
Natürlich ist richtig, dass mehr junge Leute eine Ausbildung machen müssten, wenn es für sie keinen Studienplatz gäbe. Bestimmt wäre der Fachkräftemangel in manchen Berufen dann auch nicht ganz so groß, wie er jetzt ist. Allerdings: Will man die Zukunftswünsche junger Leute so missachten, wie es etwa in der Planwirtschaft der DDR üblich war?
Viele wollen studieren, weil sie sich davon ein gutes Einkommen und sichere Beschäftigungsaussichten versprechen. Manche suchen an der Uni auch geistige Anregungen, die eine Berufsausbildung so nicht bieten kann. Meist erfüllen sich die Hoffnungen der Studierenden. Der Arbeitsmarkt zeigt Interesse, auch an Germanisten.

In Deutschland studieren mehr Technik und Naturwissenschaften als anderswo

Und bei den begehrten Absolventen aus Naturwissenschaften und Technik liegt Deutschland weltweit vorn. Die Politik hat dafür gesorgt, dass hier zusätzliche Studienplätze aufgebaut wurden. Mehr Frauen könnten gewonnen werden, wenn das Technikstudium um gesellschaftsrelevante Aspekte ergänzt würde. Wer glaubt, dass Frauen sich aus biologischen Gründen nicht für Technik interessieren, befindet sich im Genderwahn. Das zeigt schon ein Blick in andere Länder, in denen Technik nicht als Männersache gilt.
So ist nichts schlecht am Studierendenrekord. Will Deutschland mehr Azubis gewinnen, sollte es dazu nicht Studienplätze abbauen. Vielmehr sollte es sich stärker um die Qualifizierung der im Moment abgehängten Gruppe von Schülern mit und ohne Hauptschulabschluss kümmern. Es sollte sich für junge Zuwanderer öffnen (auch im „Spurwechsel“ für Flüchtlinge) und mehr duale Studiengänge schaffen, die Ausbildung und Studium miteinander verzahnen.
Das Studierendenhoch dürfte von Dauer sein. Doch die Hochschulen sind unterfinanziert, das Betreuungsverhältnis hat sich weiter verschlechtert. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hätte jetzt die Möglichkeit, etwas Großes ins Werk zu setzen: indem sie den Unis mit dem neuen Hochschulpakt, über den gerade verhandelt wird, jährlich ansteigende Bundeshilfen gewährt. Das hat sie aber bereits abgelehnt. Vielleicht, weil sie zu schwach ist, um sich bei den Finanzpolitikern durchzusetzen. Die vielen Studierenden werden weiter als Last gesehen und nicht als Chance.

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