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Emissionen von Treibhausgasen steigen, verursachen eine beispiellose Erwärmung und ihre Folgen werden teurer sein als Aufwendungen für Klimaschutz.

© Tagesspiegel/Rita Böttcher

Bilder einer Krise: Der weite Weg zum Erreichen der Klimaziele

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Klimapolitik klafft eine Lücke. Drei Skizzen zeigen, wo das Jahrhundertprojekt „Klimaschutz“ steht.

„Wir sind hier, um die Alarmglocken weiter zu läuten", sagte António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, zur Vorstellung des „Emissions Gap Report“ des Umweltprogramms UNEP. „Wir sind auf dem Weg zu einer katastrophalen globalen Erwärmung von 2,7 Grad Celsius“, sagte Guterres.

„Die Welt braucht das Siebenfache der zuletzt geäußerten Ambitionen um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen“, sagte die UNEP-Direktorin Inger Andersen auf der Pressekonferenz am Dienstag. Das Vierfache sei erforderlich um die Erwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten.

Die „Lücke“ im Titel des Berichts klafft zwischen diesem beschlossenen Ziel der Vereinten Nationen und den von den Regierungen bislang angekündigten Verminderungen des Ausstoßes von Treibhausgasen.

Klimaschutz ist bislang eine Lippenbekenntnis, weder in Emissions- noch in Temperaturentwicklungen zu erkennen. Nicht einmal Covid-19 konnte den Megatrend zu immer mehr Treibhausgasausstoß brechen. Das mit jedem Jahr größere Vorhaben, bis zur Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität zu erreichen, wird bislang aufgeschoben.

Am Sonntag startet die 26. Weltklimakonferenz in Schottland. Sie soll das Forum sein, auf dem die Staaten der Welt ihre Bemühungen zum Klimaschutz koordinieren und verstärken. Schon neue Absichtserklärungen könnten als Signal wirken.

Es wäre ein großer Erfolg der Konferenz, wenn die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Klimapolitik mit ehrgeizigeren Einsparungszielen geschlossen würde. Drei Skizzen, abgeleitet von wissenschaftlich erarbeiteten Abbildungen, zeigen, wo wir stehen und dass es schon aus wirtschaftlichem Interesse geboten ist, die Ankündigungen auch umzusetzen. „Es ist an der Zeit, das endlich zu schaffen“, sagte Andersen.

Dazu gehört auch, drei häufig geäußerte Bedenken gegenüber verstärktem Klimaschutz neu zu bewerten.

„Wir tun doch schon so viel“

Die Emissionen von Treibhausgasen wachsen, wachsen und wachsen – im letzten Jahrzehnt zwar etwas langsamer als zuvor, aber eine Trendwende, der viel beschworene Knick nach unten, ist nicht in Sicht (siehe Grafik „Emissionen“). „Insgesamt zeigen wissenschaftliche Studien und erfasste Daten, dass die Fortschritte bei der Reduzierung der Treibhausgasemissionen begrenzt sind.“ So formulierte es ein Forschungsteam um Jan Minx vom Berliner Mercator Research Institute MCC im Fachmagazin „Environmental Research Letters“. Die Forscherinnen und Forscher haben die Entwicklung und die Treiber der Emissionen bis zum Jahr 2018 ausgewertet.

Tatsächlich belegt die Studie, dass die zunehmenden Bemühungen im Klimaschutz dem „Weiter wie bisher“ der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas bisher nicht gewachsen sind.

Selbst die Verminderung des Ausstoßes in der Covid-19-Pandemie mit zeitweise drastischen Einschränkungen des globalen Handels erscheint mittlerweile nur als vorübergehende Absenkung.

Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen erreicht neue Höchststände und ein Wandel zur kohlenstoffarmen Wirtschaftsweise zeichnet sich zumindest auf globaler Ebene noch nicht ab. Zwar gibt es CO2-Einsparungen in den Energiesystemen in Europa und Nordamerika, vor allem durch die Umstellung auf Gas als Brennstoff und die Nutzung erneuerbarer Energien. In anderen Regionen, in denen die Industrialisierung in vollem Gange ist, wird aber weiterhin vor allem auf fossile Brennstoffe gesetzt.

Die Nutzung erneuerbarer Energien wie in Windparks auf dem Meer verbessert die Treibhausgasbilanz der Energiesystem einiger Länder.
Die Nutzung erneuerbarer Energien wie in Windparks auf dem Meer verbessert die Treibhausgasbilanz der Energiesystem einiger Länder.

© Reuters/Morris Mac Matzen

Insbesondere in Asien treibt die wachsende Nachfrage nach Materialien, Wohn- und Nutzflächen, Energiedienstleistungen und Reisen den Emissionsanstieg in der Industrie, im Gebäudesektor und im Verkehrswesen. In Lateinamerika, Südostasien und Afrika führt die Ausdehnung der Landwirtschaft in Tropenwaldgebiete zu einem Anstieg der Emissionen aus der Landnutzung.

„Der Einstieg in den Emissionsausstieg ist noch nicht geschafft“, sagte Minx dem Tagesspiegel. Dabei blieben nur noch wenige Dekaden um die Transformation zu einer treibhausgasneutralen Gesellschaft zu schaffen – das erklärte Ziel einer zunehmenden Zahl von Staaten auf der Welt, darunter die Großemittenten China, USA, Russland und die EU. „Dafür müssen wir es nun endlich schaffen den globalen Megatrend von 270 Jahren Emissionswachstum zu brechen“, sagt Minx.

„So schlimm wird es nicht werden“

Der Ex-US-Vizepräsident Al Gore stieg auf eine Hebebühne, um das Ausmaß der Kohlendioxid-Zunahme in der Atmosphäre seit der Industrialisierung zu verdeutlichen. Nach vielen Jahrtausenden, 800 gelten heute als gesichert, eines eher gemächlichen Auf und Ab unter dem vorindustriellen Wert von 280 ppm (Teile pro Million Teile), kletterte die Kurve schon bis zum Erscheinen seines Films „Eine unbequeme Wahrheit“ im Jahr 2006 auf etwa 380 ppm. Seither ist sie nach Angaben der US-Behörde NOAA auf etwa 413 ppm gestiegen.

Al Gore machte sich mit seiner Präsentationseinlage zur Zielscheibe für Kritik an der Klimawissenschaft. Im Jahr 2007 erhielt er jedoch gemeinsam mit dem Weltklimarat IPCC den Friedensnobelpreis – für ihre Verdienste, Klimawissen zu sammeln und zu verbreiten. In diesem Jahr ging der Physiknobelpreis zur Hälfte an zwei Forscher: Syukuro Manabe von der Princeton University und Klaus Hasselmann vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. Sie modellierten mit als Erste, wie sich die Zunahme von CO2 auf die Erdtemperatur auswirkt.

Für die zurückliegenden Jahre ist dies bereits gut dokumentiert. Seit rund 150 Jahren werden Temperaturen in Messreihen aufgezeichnet. Um Temperaturen der weiter zurückliegenden Jahre zu berechnen, greift die Klimawissenschaft auf Proxydaten zurück, zum Beispiel in Baumringen, Eisbohrkernen und Korallenstöcken gespeicherte Information.

Ein Team um den US-Forscher Michael Mann veröffentlichte 1999 eine Studie, die zeigte, wie sich die Temperatur auf der Nordhalbkugel im vergangenen Jahrtausend entwickelt hat. Der Temperaturverlauf wurde aufgrund seiner Form mit dem steilen Anstieg im zurückliegenden Jahrhundert als „Hockeyschläger“ berühmt. Auch Michael Mann wurde seither als Wissenschaftler stark angegriffen, doch die Abbildung mit ihrer Aussage, „dass das späte 20. Jahrhundert ungewöhnlich ist für zumindest das zurückliegende Millennium“ wurde vielfach bestätigt und auch erweitert.

Der in diesem Jahr erschienene Bericht des Weltklimarats zu den physikalischen Grundlagen des Klimawandels präsentiert einen neuen Hockeyschläger, für die Temperaturentwicklung auf dem gesamten Globus und für zwei zurückliegenden Jahrtausende (siehe Grafik „Erwärmung). Im Vergleich zur Zeit von 1850 bis 1900 lag die globale Temperatur in der Phase von 2010 bis 2019 etwa 1,1 Grad Celsius höher.

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Freigesetzte Treibhausgase sorgten bislang für eine Erwärmung um ein bis zwei Grad Celsius, freigesetzte Aerosole, zum Beispiel Ruß aus der Verbrennung, wahrscheinlich für eine Abkühlung um null bis 0,8 Grad Celsius. Natürliche Schwankungen in dieser Zeit fallen kaum ins Gewicht.

Die Autoren des Klimaberichts gelangen anhand dieser Ergebnisse zu ihrer zentralen Aussage, dass „der menschliche Einfluss das Klima in einem Tempo erwärmt, das in den letzten mindestens 2000 Jahren beispiellos ist“.

Die Erdtemperatur wird weiter steigen, wenn die Emissionen nicht sinken, zeigten bereits die Berechnungen der diesjährigen Physik-Nobelpreisträger. Nach der am Montag veröffentlichten Neubewertung der Einsparungsziele durch die UN wird bis zum Ende des Jahrhunderts ein Temperaturanstieg um 2,7 Grad Celsius erwartet.

„Mehr Klimaschutz ist zu teuer“

Eine solche Erwärmung wird voraussichtlich Klimaschäden verursachen, die die globale Wirtschaftsleistung um fast ein Zehntel verringern könnten (siehe Grafik „Klimakosten“). Das geht aus einer Studie hervor, die ein Team um Falko Ueckerdt und Katja Frieler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Jahr 2019 veröffentlichte.

Die wirtschaftlichen Einbußen fallen voraussichtlich umso höher aus, je stärker die Erwärmung wird (pinke Kurve). Dagegen sinken die Aufwendungen für Klimaschutz (gelbe Kurve). Addiert man beide Werte ergeben sich die Gesamtkosten des Klimawandels (blaue Kurve).

Die Forscher:innen berechneten, dass diese bei einer Begrenzung der Erwärmung auf etwa zwei Grad Celsius am geringsten sind. Bei ehrgeizigeren Zielen wie den 2015 in Paris anvisierten 1,5 Grad Celsius schlagen Kosten des Klimaschutzes stärker zu Buche. Die Studienergebnisse beruhen auf Einschätzungen der wirtschaftlichen Wachstumsverluste durch Klimawandel für 186 Länder und Berechnungen der Kosten für Klimaschutz mit einem Computermodell.

Das 2015 erreichte Klimabkommen von Paris, hier begrüßt vom damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, dem französischen Außenminister Laurent Fabius und dem französischen Präsidenten zu dieser Zeit, Francois Hollande, ist die Grundlage der aktuellen Klimaverhandlungen.
Das 2015 erreichte Klimabkommen von Paris, hier begrüßt vom damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, dem französischen Außenminister Laurent Fabius und dem französischen Präsidenten zu dieser Zeit, Francois Hollande, ist die Grundlage der aktuellen Klimaverhandlungen.

© REUTERS/Stephane Mahe

„Unsere rein ökonomische Bewertung unterstützt das internationale Pariser Abkommen zum Klimawandel“, resümierten die Wissenschaftlerinnen. Das darin erklärte Ziel, die Erwärmung weit unter zwei Grad Celsius zu halten, liegt beim Kostenoptimum. Allerdings verweist das Team auch darauf, dass es bei seinen Berechnungen nicht-marktwirtschaftliche Schäden ausklammerte.

Neuere Untersuchungen legen nahe, dass es sich sehr wohl lohnen könnte, die Erwärmung schon früher zu stoppen, denn bereits jetzt treten Folgen wie Ernteausfälle, Überschwemmungen und Hitzewellen ein, deren Ausmaß nicht allein wirtschaftlich zu bemessen ist.

Eine kürzlich im Fachjournal „Nature Climate Change“ veröffentlichte Studie beispielsweise zeigt, dass fast 85 Prozent der Weltbevölkerung und 80 Prozent der Landfläche bereits heute von Klimafolgen betroffen sind und diese durch Tausende von Fallstudien belegt sind. Zudem zeigt sie einen Missstand in der Forschung auf: Mögliche Klimafolgen in reichen Ländern sind viel besser untersucht, als in armen Ländern.

Die Forschung beginnt erst zu erfassen, welche Schäden der bereits eingetretene Klimawandel global verursacht. Wie die Folgen weiterer Erwärmung eingedämmt werden könnten, ist dagegen gut untersucht: Es geht weiterhin darum, Emissionen von Treibhausgasen zu vermindern.

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