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Bienen: Der Bienenversteher

Das erste Volk wollte er eigentlich gar nicht haben. Heute ist Jürgen Tautz Deutschlands führender Bienenexperte.

Jürgen Tautz staunte nicht schlecht, als er die Haustür öffnete: eine Kiste surrender Bienen. Sie sollte sein Leben verändern. Der Überbringer, der Bienenforscher Martin Lindauer, mit dem er schon seit geraumer Zeit eine Fahrgemeinschaft zur Universität Würzburg unterhielt, kommentierte das hinterlistige Gastgeschenk von Professor zu Professor mit den Worten: Für einen Biologen wäre es ein großes Versäumnis, sich nie mit Bienen beschäftigt zu haben.

„Meine Frau und ich waren entsetzt“, sagt Tautz. Doch nachdem sie im heimischen Garten einen Platz für den Bienenstock gefunden hatten, saß er von Woche zu Woche immer öfter im Liegestuhl vor dem Eingang. Er beobachtete das Treiben und diskutierte mit Lindauer darüber. Irgendwann stand er vor der Entscheidung, ob er mit Mitte Vierzig noch einmal sein Forschungsfeld wechseln sollte. To bee or not to bee?

Fünfzehn Jahre später rollt das Auto des weißhaarigen Wissenschaftlers auf ein kleines Biotop zu. „Das ist unser Institut“, sagt Deutschlands prominentester Bienenforscher und zeigt auf ein einfaches Wohnhaus mit Garten. Nichts deutet darauf hin, dass hier Forscher am Werk sind. Auffällig sind nur ein paar Holzschuppen zwischen Apfelbäumen, Blumenwiesen und Gemüsebeeten.

Sobald er von Bienen spricht, gerät Tautz ins Schwärmen. „Eine einzige Kolonie Honigbienen kann an einem Tag mehrere Millionen Blüten besuchen“, sagt er. Etwa 170 000 Arten umfasse die Liste der Blütenpflanzen, die von ihnen bestäubt würden. Viele Blütenpflanzen profitierten dermaßen von Apis mellifera, dass sie sich im Laufe der Evolution völlig an die Bedürfnisse der Honigbiene angepasst hätten - eine einzigartige Monopolstellung im Tierreich.

50 bis 70 Bienenvölker zählen zu dem abseits der mächtigen Unigebäude am Würzburger Hubland gelegenen Institut. Der Honigertrag kommt der Forschung zugute. „Hubland Sommer“ ist gerade ausverkauft, „Frühlingsblüte“ noch zu haben. Für 3,40 Euro das Glas.

Bienen halten sich gegenseitig über ergiebige Futterquellen auf dem Laufenden. Schon Lindauers Lehrer, der österreichische Nobelpreisträger Karl von Frisch, entschlüsselte, wie Bienen im dunklen Stock über Tanzfiguren miteinander kommunizieren. Beim Schwänzeltanz informieren sie sich über die Attraktivität, Richtung und Entfernung einer Futterquelle. Auf diese Weise rekrutieren sie neue Sammelbienen.

Aber die Insekten haben kein genaues Entfernungsmaß, sie benutzen ihr Auge als Kilometerzähler. Das hat Tautz bei Experimenten herausgefunden. Er ließ Bienen durch einen gemusterten Tunnel zu einem Futterplatz fliegen und beobachtete anschließend ihren Tanz im Stock. Fazit: Rasch wechselnde Konturen vermitteln Bienen den Eindruck, weit geflogen zu sein. Sie schätzen die Distanz anhand des grob gerasterten Landschaftsmusters ab.

Das gelingt ihnen mit zunehmendem Abstand immer weniger gut. Doch Tautz hatte schon vom heimischen Liegestuhl aus beobachtet, dass ortskundige Sammelbienen Neulinge an aussichtsreiche Nektarquellen heranführen. Dort treffen sie oft in kleinen Gruppen ein. Bienen, die zuvor getanzt haben, umfliegen die Blüten und weisen Nachzüglern den Weg. Es gibt also auch eine Kommunikation nach dem Tanz.

Dank moderner Forschungsmethoden hat Tautz viele Erkenntnisse seiner Vorgänger präzisiert und korrigiert. Mit Hilfe von Laser-Doppler-Vibrometern analysiert er die Schwingungen der Wabenzellen beim Bienentanz, mit Wärmebildkameras das Brutverhalten der Insekten. Die Aktivitäten einzelner, mit Mikrochips ausgestatteter Honigbienen lassen sich inzwischen über ein ganzes Bienenleben hinweg verfolgen. Es gibt fleißige und faule, kluge und dumme, friedliche und aggressive Artgenossen.

Tautz ist gesellig. Am liebsten diskutiert der 59-jährige Verhaltensforscher im Kreis seiner Doktoranden und Studenten. Er weiß nicht, wer gerade anwesend ist. Dabei schwirren seine Mitarbeiter nicht ganz so zahlreich wie Bienen durch das unorthodoxe Institut mit den offenen Türen. Zuvor wohnte hier ein Schreiner mit seiner Familie. Auf der ersten Etage gibt es ein Zimmer für Gastwissenschaftler und einen gemütlichen Arbeitsraum mit zwei grünen Sofas. Dort trifft man sich regelmäßig zu Besprechungen.

Die Zahl der offenen Fragen reißt nicht ab. „Der Bienenstaat gleicht einem Zauberbrunnen“, sagte Karl von Frisch, dessen Werk zuerst Lindauer und nach dessen Tod nun Tautz fortführt. „Je mehr man daraus schöpft, desto reicher fließt er.“

Das Bienenvolk ist eine Gemeinschaft der Schwestern, deren Zahl im Sommer auf 50 000 anwächst. Nur zur Begattung der Königin werden zwischendurch ein paar männliche Bienen, die Drohnen, großgezogen. Die Schwestern sind von der Fortpflanzung ausgeschlossen. Als Ammen kümmern sie sich lediglich um die Brut, versorgen die Larven mit einem Drüsensekret, dem Gelee Royale, dessen Qualität mit der Vielfalt der besuchten Blüten steigt.

Tautz und seine Nachwuchsforscher haben viele neue Einblicke in die Arbeitsteilung der Bienen gewonnen. So konnten Brigitte Bujok und Marco Kleinhenz mit Wärmebildern nachweisen, dass Bienen die Kinderstuben im Nest durch Muskelzittern aufheizen. Eingestreut zwischen den verschlossenen Wabenzellen, in denen die Larven heranwachsen, liegen leere Zellen. Darin verschwinden Bienen kopfüber. Diese Heizerbienen erwärmen ihren Körper bis auf 43 Grad Celsius und liefern so eine optimale Bruttemperatur. Früher hielt man sie für Faulenzer. Heute weiß man: Sie verrichten Schwerstarbeit.

Ihr Honigumsatz ist enorm. Rebecca Basile fand in ihrer Doktorarbeit einen weiteren Bienenjob: den der Tankbiene. Mit hochkonzentriertem Honig beladen, zieht sie durchs Nest und päppelt unterzuckerte Heizerbienen auf. Daneben sind im Sommer auch Fächeltrupps aktiv, um die Gefahr einer Überhitzung einzudämmen.

Tautz selbst schrieb seine Doktorarbeit in Konstanz bei Hubert Markl, dem ehemaligen Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, über die Schallwahrnehmung bei Schmetterlingsraupen. Später beschäftigte er sich mit dem zentralen Nervensystem von Flusskrebsen – so lange, bis ihn Lindauer auf Bienen ansetzte. „Ich hatte von Anfang an Respekt vor Bienen“, sagt der Forscher, der auf Bienenstiche ähnlich allergisch reagiert wie auf die universitäre Bürokratie. Aber von Anfang an beeindruckte ihn auch, welche Tricks die Insekten draufhaben, um ihr Überleben zu sichern.

Ein Bienenstock ist eine ideale Brutstätte für Krankheitserreger, für Pilze, Bakterien oder Viren. Derzeit ist die Varroa-Milbe Staatsfeind Nummer eins (siehe Kasten). Doch als vor wenigen Jahren das Erbgut der Honigbiene entziffert wurde, kam heraus: Bienen haben so gut wie keine Gene für ihr Immunsystem. „Weniger als eine Stechmücke.“ Ihren evolutionären Höhenflug verdanken sie unter anderem einer strengen Hygiene im Nest, das einem Überwachungsstaat gleicht.

Die am Institut gesammelten Erkenntnisse und Fragen gibt Tautz in Vorträgen, Büchern und Filmen an andere weiter. Sein Assistent Hartmut Vierle schafft gerade die technischen Voraussetzungen für ein außergewöhnliches Projekt: Die Bienenforscher möchten Schülern auf der ganzen Welt ermöglichen, ein Bienenvolk online zu beobachten und eigene Studien zu betreiben.

Die Pilotphase mit Schulen aus neun Ländern ist gerade angelaufen. Tautz, vielfach als Wissenschaftskommunikator ausgezeichnet, freut sich schon jetzt über die Resonanz. Und über das Eigenleben, das sich daraus entwickelt hat. „An der Hälfte der Schulen sind bereits Bienenvölker angeschafft worden.“ Aus solcher Saat, hoffte er, könnte eine neue Generation von Hobbyimkern hervorgehen. Vielleicht auch von Bienenforschern.

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