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Sieben Kinder spielen in einer Kita mit einer Holzeisenbahn und in einem Zelt.

© Jan-Philipp Strobel/dpa

Update

Bertelsmann-Studie zur Kita-Qualität: Kitas sind weit vom Ideal entfernt

Muss eine Erzieherin zu viele Kita-Kinder betreuen, werden die wachsenden Bildungsansprüche nicht erfüllt, kritisiert die Bertelsmann-Stiftung. Deren Qualitäts-Kriterien sind auch umstritten.

Gemessen an der Zahl der Kinder, die eine Erzieherin betreut, lässt die Qualität der Kitas viel zu wünschen übrig. Zwar hat sich der Personalschlüssel im Bundesschnitt leicht von 4,8 von einer Vollzeitkraft betreuten Kindern unter drei Jahren im Jahr 2013 auf aktuell 4,3 verbessert. Bei den Kindern über drei sank die Zahl von 9,8 auf 9,3. Von einem kindgerechten Betreuungsverhältnis sei man aber noch weit entfernt, kritisiert die Bertelsmann-Stiftung, die am Mittwoch den aktuellen „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“ vorlegte.

Der Kita-Besuch allein reicht nicht aus

„Der Kita-Besuch allein verbessert nicht die Bildungschancen der Kinder“, erklärte Stiftungsvorstand Jörg Dräger. „Es kommt auf die Qualität der Angebote an.“ Und die hängt aus Bertelsmann-Sicht maßgeblich vom zahlenmäßigen Betreuungsverhältnis ab: Idealerweise sollte sich eine Fachkraft um drei Krippenkinder beziehungsweise um 7,5 Kindergartenkinder kümmern. Fast fünf Milliarden Euro würde es demnach kosten, bundesweit allen Kindern eine gute Betreuung zu bieten. Es fehlten 107 000 Fachkräfte.

Ideale Betreuungsverhältnisse in Baden-Württemberg

Dabei gibt es regional große Unterschiede: Sachsen brauche 16 900, Nordrhein-Westfalen 15 600 neue Stellen, in Berlin sollen es 11 500 sein, in Hamburg nur 3600. Baden-Württemberg erreicht als einziges von 16 Ländern ideale Verhältnisse – mit einer Punktlandung bei den Kleinsten und einem Wert von sogar nur 7,3 Drei- bis Sechsjährigen pro Fachkraft. Allerdings besuchen im Südwesten auch nur 24 Prozent der unter Dreijährigen eine Krippe; bei den Größeren sind es 96 Prozent.

Berlin liegt beim Betreuungsschlüssel im Mittelfeld

In Berlin, wo 42 Prozent der Kleinsten betreut werden, beträgt der Betreuungsschlüssel 1:5,8. Gegenüber 2015 ist das eine Verbesserung um 0,1 Prozentpunkte; andere Vergleichszahlen liegen laut Stiftung nicht vor. Bei den Drei- bis Sechsjährigen, von denen 95 Prozent in der Kita sind, ist wie im Vorjahr eine Erzieherin für 8,8 Kinder zuständig. Bundesweit liegt die Fachkraft-Kind-Relation bei 1:4,3 respektive 1:9,3. Berlin liegt bei den Krippenkindern im unteren Mittelfeld und bei den Kindergartenkindern im Mittelfeld.

Senatorin Sandra Scheeres (SPD) sieht die Stadt auf einem guten Weg: „Bis 2020 werden wir zusätzliche 2400 Erzieherinnen und Erzieher zur Verbesserung des Personalschlüssels finanzieren.“ Damit sollten die Kitagruppen verkleinert werden, erklärte Scheeres am Mittwoch. Die Fachkräfte könnten sich dann „besser um jedes einzelne Kind kümmern und es besser fördern“. Hinzu kämen 4700 Kräfte, die etwa aufgrund der wachsenden Stadt, der Flüchtlingsentwicklung und der späteren Einschulung benötigt würden.

Ost-West-Gefälle: Im Nordosten betreut eine Erzieherin 14 Kinder

Der Bertelsmann-Statistik zufolge zeigt sich ein starkes Ost-West-Gefälle. Auf Spitzenreiter Baden-Württemberg folgt Bremen mit ähnlich guten Zahlen. Schlusslichter sind Mecklenburg-Vorpommern, wo eine Fachkraft 14,1 Kindergartenkinder beziehungsweise sechs Krippenkinder betreut, und Sachsen (13,5 und 6,4). Brandenburg liegt bei den Größeren mit 1:11,6 und bei den Kleineren mit 1:6,3 in der Schlussgruppe.

Das tatsächliche Betreuungsverhältnis ist aber in aller Regel weit schlechter als die statistischen Werte. Denn von der Arbeitszeit, die Erzieherinnen mit den Kindern verbringen, geht die „mittelbare pädagogische Arbeit“ ab, etwa für Dokumentation, Team- oder Elterngespräche.

Familienministerin Schwesig: Qualität hängt von viel mehr ab

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordert deshalb, die bislang fehlende Anerkennung dieser Arbeitszeiten und auch die Freistellung der Leitungskräfte in einem Bundesqualitätsgesetz für Kitas festzuschreiben – verbunden mit Standards für die Erzieher-Kind-Relation. Das könnte dazu beitragen, „für Kinder bundesweit vergleichbare Lebensverhältnisse zu schaffen“, erklärte GEW-Vorstand Norbert Hocke am Mittwoch. Zur Finanzierung eines Bundesprogramms solle das Kooperationsverbot auch für Kitas gelockert werden. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) kündigte einen ersten Bericht zum „Qualitätsprozess“ an, den Bund und Länder 2014 begonnen hätten, für Ende des Jahres an. Schwesig kritisierte die Fixierung der Bertelsmann-Studie auf den Personalschlüssel: „Qualität hängt von viel mehr ab.“

Hessen und Hamburg haben die meisten "Studierten"

Ein qualitatives Kriterium hat die Stiftung aber durchaus untersucht – den Anteil von Hochschulabsolventinnen am pädagogischen Personal. Am höchsten ist der Anteil von Sozial- und Kindheitspädagoginnen in Hessen (zehn Prozent) sowie in Hamburg, Bremen und Sachsen (jeweils neun Prozent). In Berlin haben sechs Prozent einen Hochschulabschluss, in Brandenburg nur drei Prozent.

Nicht gefragt wurde nach Sprachtests, mit denen Erzieherinnen ermitteln, wie sie die Kinder vor der Einschulung fördern müssen, oder inwieweit sie mit den Bildungsplänen vertraut sind. Darin wird etwa die naturwissenschaftliche und künstlerische Erziehung beschrieben, die es braucht, um eine Kita wirklich zu einer Bildungseinrichtung zu machen.

Wohlergehen der Kinder als alleiniger Qualitätsmaßstab

Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München, nennt das „Wohlergehen der Kinder“ als alleinigen Qualitätsmaßstab. Wichtiger als der Personalschlüssel seien Fachkräfte, die auf sämtliche Bedürfnisse der Kindern eingehen könnten, sagt Becker-Stoll in der aktuellen Ausgabe der „Zeit“. Durch den massiven quantitativen Kita-Ausbau sei die Debatte über die Qualität der Betreuung leider vernachlässigt worden.

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