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Eine Person hält ein künstliches Teelicht vor dem Körper, auf ihrem T-Shirt ist "Stop Aids" zu lesen.

© Yui Mok/PA Wire/dpa

Beginn der Welt-Aids-Konferenz: "Flatten the curve" - bei HIV nicht gelungen

Zum Auftakt der diesjährigen Welt-Aids-Konferenz beklagt UNAIDS Rückschläge im Kampf gegen die HIV-Pandemie - auch als Folge der Coronakrise.

Die Weltgemeinschaft wollte die Aids-Epidemie bis 2030 beenden, aber die Zeichen stehen schlecht. Schon vor der Corona-Krise waren viele Länder nicht auf der Zielgeraden, wie das Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS) am Montag zum Auftakt der 23. Welt-Aids-Konferenz berichtete. Wegen der Corona-Pandemie findet sie in diesem Jahr online und nicht wie geplant in den US-Städten San Francisco und Oakland statt.

In mehr als 600 Veranstaltungen werden Expertinnen und Experten über die Immunschwächekrankheit beraten. Die Welt-Aids-Konferenz wird seit 1985 alle zwei Jahre veranstaltet. Das diesjährige Thema ist „Resilienz“.

Die Coronavirus-Pandemie trübe die Aussichten auf das 2030-Ziel weiter, hieß es im UNAIDS-Bericht. Zwar gebe es durchaus Fortschritte. So würden inzwischen dreimal so viele Menschen wie 2010 mit einer antiretroviralen Therapie behandelt. Ende vergangenen Jahres waren das 25,4 Millionen der weltweit schätzungsweise 38 Millionen HIV-Infizierten.

690.000 Menschen starben 2019 an den Folgen ihrer Infektion, 39 Prozent weniger als 2010. Im vergangenen Jahr infizierten sich nach Schätzungen 1,7 Millionen Menschen neu mit dem HI-Virus, so wenige innerhalb eines Jahres wie seit 1989 nicht mehr.

[Lesen Sie auch unsere Analyse zum Thema: Was die Aids-Pandemie für Covid-19 lehrt: Langfristig schützt nur Eigenverantwortung]

Dennoch reiche das nicht. „Die Welt hat zu wenig investiert, zu wenig Menschen Zugang zu Behandlungen verschafft und dabei versagt, die Kurven mit neuen HIV-Infektionen und Todesfällen im Zusammenhang mit Aids bedeutend abzuflachen“, wird im UNAIDS-Bericht kritisiert. Die für 2020 gesetzten Ziele würden verfehlt. So sollten sich weniger als 500.000 Menschen neu infizieren und weniger als 500.000 Infizierte sterben.

2019 hätten nur gut Zweidrittel der finanziellen Mittel für Aufklärung und Behandlung zur Verfügung gestanden. „Dieses kollektive Versagen (...) hat einen hohen Preis: zwischen 2015 und 2020 hat es 3,5 Millionen mehr Infektionen und 820.000 mehr Todesfälle mit Bezug zu Aids gegeben, als es der Fall wäre, wenn die Welt im Plan gewesen wäre, um die Ziele für 2020 einzuhalten.“

UNAIDS fürchtet, dass die Coronavirus-Pandemie die Lage noch schwieriger macht. Menschen konnten in vielen Ländern nicht zur Behandlung ins Krankenhaus gehen. Die Polizei habe mancherorts Corona-Verordnungen genutzt, um gegen Randgruppen der Bevölkerung wie Sexarbeiter vorzugehen, die besonders HIV-gefährdet sind.

Wenn die Behandlung mit antiretroviraler Therapie nur für 20 Prozent der HIV-Infizierten für sechs Monate unterbrochen werde, führe das zu 110.000 zusätzlichen Todesfällen, so UNAIDS.

Auf einer Weltkarte sind verschiedene Zahlen von Aids-Infizierten verzeichnet.
Weltkarte zur Zahl der HIV-Infektionen nach Regionen in 2019.

© dpa/ A. Zafirlis; Redaktion: I. Kugel

Die Stiftung Weltbevölkerung warnt, dass die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie die Bekämpfung von Aids in Afrika um Jahre zurückwerfen könnten. „Bei einem Lockdown von sechs Monaten gehen die UN von einer Verdoppelung der Todeszahlen aus“, sagte der Geschäftsführer der Stiftung, Jan Kreutzberg.

„Durch die Lieferengpässe bei Medikamenten und dem eingeschränkten Zugang der Patienten könnten auf dem Kontinent zusätzliche 500.000 Menschen an den Folgen von Aids sterben.“ Das entspreche dem Stand von 2008. „Vor allem die Infektion von Säuglingen bei der Geburt wird dramatisch steigen“, sagte Kreutzberg.

[Einen Bericht zum Stand der HIV-Impfstoff-Forschung finden Sie hier]

Die Mehrzahl der Medikamente, die sogenannten antiretroviralen Mittel, würden in Indien und China hergestellt. Sie können die infizierte Person zwar nicht heilen, aber die Verbreitung des HI-Virus im Körper eindämmen und teilweise eine Übertragung verhindern. „Durch die Anti-Corona-Maßnahmen sind aber Fabriken zu, Grenzen geschlossen, der Flugverkehr eingestellt, und auch der Schiffstransport ist eingeschränkt und deshalb deutlich teurer“, sagte Kreutzberg.

Auch die Auslieferung in Afrika selbst werde verhindert, weil die Zollabfertigung überlastet sei. „Zudem gewähren die Regierungen nur eingeschränkt Transitgenehmigungen für Lastwagen, weil bei anderen Epidemien wie bei Ebola die Krankheit darüber verbreitet wurde.“

[Was Aids-Infizierte in der Corona-Krise wissen müssen, lesen Sie hier]

Dazu komme, das viele afrikanische Länder zusätzliche Qualitätskontrollen hätten. „Teilweise muss jede Medikamentenlieferung noch mal im Labor getestet werden“, beschrieb Kreutzberg, der viele Jahre in Afrika gearbeitet hat. Da aber auch Labore nur eingeschränkt arbeiteten, sei das Prozedere sehr umständlich und langsam. „Die Lager der Hilfsorganisationen, die die Medikamente verteilen, sind komplett leer.“

Erschwert sei der Zugang auch für die Patienten selbst. „Viele Kliniken haben zu, und wenn nicht, muss man einen Termin machen.“ Davon gebe es wegen der Hygieneregeln jedoch deutlich weniger, und die Menschen müssten zunächst zu den Kliniken gelangen können - „um den Termin zu vereinbaren und noch mal um ihn wahrzunehmen“.

Ein Großteil der HIV-Infizierten kauften die Medikamente im privaten Markt, erläuterte der Geschäftsführer der Entwicklungsorganisation. „Doch vielen Menschen sind durch den Lockdown jegliche Einnahmequellen genommen worden.“ Und auch die Stellen, an denen Medikamente kostenlos zu erhalten seien, seien vielerorts geschlossen oder sehr weit weg.

Ein weiterer Faktor, die den Zugang zu Medikamenten für HIV-Positive erschwert, ist Kreutzberg zufolge die Angst. „Viele Infizierte wissen, dass sie zur Risikogruppe gehören und wollen das Risiko nicht eingehen.“

Grundsätzlich sollten sich Industrie- und Entwicklungsländer bewusst sein, dass die Maßnahmen gegen Corona die Gesundheitssysteme insgesamt belasteten. „Das Thema Corona ist sehr dominant, aber es darf nicht dazu führen, dass wir alle anderen Themen vergessen.“ (dpa/epd)

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