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Ein Porträtbild von Jan-Martin Wiarda.

© Privat

Begabtenförderung auch jenseits der 70: Wider den Altersgrenzen-Starrsinn an deutschen Hochschulen

Mit der Begründung, Platz für Nachwuchs zu schaffen, werden fähige und produktive Forscher in Rente geschickt. Damit muss Schluss sein, meint unser Kolumnist.

Auch in der Wissenschaft gibt es alte weiße Männer, viele sogar, deren Pensionierung keinen großen Verlust bedeuten wird.

Es sind Professoren, die am liebsten hätten, dass alles so bliebe, wie es immer war. Männergeprägte Hierarchien halten sie für den Ausdruck akademischer Exzellenz, Diversität nennen sie einen Modebegriff.

Und sie arbeiten sich an Jugendlichen ab – speziell solchen, die an der Spitze von Fridays for Future stehen und zu Recht auf die dramatischen Versäumnisse der Älteren hinweisen.

"Alter weißer Mann" ist eine Geisteshaltung

Daraus sollte man freilich nicht schließen, dass die jüngeren Forscherinnen und Forscher automatisch schlauer und innovativer sind. Der Begriff „alter weißer Mann“ beschreibt, so verstehe ich ihn, eine Geisteshaltung, die zwar oft mit dem entsprechenden demografischen Zustand korreliert, aber keineswegs immer.

Anders formuliert: Es arbeiten auch an den Hochschulen jede Menge weltoffene Alte. Und es sind dort leider auch viele erstaunlich beschränkte Junge angestellt.

Warum ich das so betone: Weil die Wissenschaft aufpassen muss, dass sie das so wichtige Ziel Diversität in all seinen Dimensionen lebt. Der Mangel an transparenten Aufstiegsmöglichkeiten für junge Forschende ist nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem.

Die Goldstücke im alten Eisen

Er führt auch dazu, dass einige der besten Leute der Wissenschaft den Rücken kehren. Doch so, wie sie die Jungen häufig geringschätzt, verfährt sie auch mit den Alten. Zwischen 65 und 68 fällt für Professoren und Professorinnen immer noch erbarmungslos das Karriere-Fallbeil.

Dabei wollen viele von ihnen länger arbeiten, weiterarbeiten. Und bei vielen von ihnen wäre es ein Gewinn für die Hochschulen und die Gesellschaft insgesamt, wenn sie auch länger arbeiten dürften. Sie haben sich ihre Neugier bewahrt und ihre Offenheit. Setzt das System Wissenschaft sie vor die Tür, geht nicht nur ein enormer Erfahrungsschatz verloren. Auch die Diversität leidet.

Andere anderswo machen es anders

Andere Länder bekommen das besser hin, an beiden Karriereenden. „Tenure Track“ und Professorinnen um die 30 sind dort ebenso alltäglich wie Wissenschaftler, die noch mit 75 in Hörsälen und Laboren stehen. Und zwar mit attraktiven Verträgen, nicht auf meist mit ein paar Hundert Euro im Monat dotierten Seniorprofessuren, von denen es ohnehin viel zu wenige gibt.

Die Alten sollten nicht die Stellen für die Jungen verstopfen, wird in Deutschland gern argumentiert. Was kurios klingt in einem Wissenschaftssystem, das sich ansonsten, siehe oben, nicht gerade vor Sorge um die Perspektiven seiner Nachwuchswissenschaftler überschlägt.

Brain Drain der erfahrenen Köpfe

Gerade hat der bekannte „Autoprofessor“ Ferdinand Dudenhöffer laut Handelsblatt bekanntgegeben, in die Schweiz zu wechseln, weil er dort „nicht aufs Altenteil“ geschoben werde. An seiner bisherigen Universität Duisburg-Essen, sagt der 68 Jahre alte Dudenhöffer, ein entschiedener Verfechter der Elektromobilität, hätte er keine vernünftigen Arbeitsbedingungen mehr gefunden. Er ist ein prominentes, ein plakatives Beispiel für einen der vielen blinden Flecken der deutschen Hochschulpolitik.
Exzellenz in der Wissenschaft bedeutet immer seltener das Genie im stillen Kämmerlein. Exzellenz entsteht, wo kluge Leute mit unterschiedlichen disziplinären Perspektiven, Lebenswegen und Erfahrungen aufeinandertreffen. Was das bedeutet, ist offensichtlich: Die starre Altersgrenze für Professorinnen und Professoren muss endlich weg.

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