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Die Wanderung der Süßwasseraale gleicht zunehmend einem lebensgefährlichen Hindernislauf.

© picture-alliance/ dpa

Bedrohte Tierart: Reise mit Hindernissen

Der Europäische Aal wird zur Mangelware. Viele Tiere überstehen die gefährliche Wanderung um die halbe Welt nicht.

Hunderttausende kleine Aale haben Sportfischer in den vergangenen Wochen in Deutschlands Seen und Flüssen ausgesetzt. Denn der Europäische Aal – und damit der beliebte Räucheraal – wird zur Mangelware. Der lang gestreckte Fisch schmeckte schon den Steinzeitmenschen in Skandinavien, wie Aalskelette in den Küchenabfälle dieser Epoche beweisen. Doch jetzt gehen die Bestände zurück. „Zum Beispiel in Brandenburg sind die Aalfänge in den letzten 20 Jahren um zwei Drittel eingebrochen“, sagt Uwe Brämick vom Institut für Binnenfischerei in Potsdam. Die Gründe dafür sind vielfältig; auf seiner tausende Kilometer langen Wanderung muss der Fisch etliche Hürden überwinden. Der Mensch macht die Reise nicht einfacher.

Das Leben der kleinen Aale beginnt irgendwo in der Sargassosee, einem Meeresgebiet östlich von Florida und südlich der Bermuda-Inseln. „Dort wurden die kleinsten Aal-Larven gefunden. Sie waren nur wenige Millimeter lang und vermutlich erst sehr wenige Tage alt“, sagt Brämick. Wahrscheinlich ernähren sich die Tiere zunächst von winzigen im Wasser schwebenden Organismen – dem Plankton. Bald ähneln die kleinen Aale einem durchsichtigen Blatt und werden „Weidenblattlarven“ genannt. Sie klinken sich in den Golfstrom ein und treiben mit der warmen Strömung auf die europäischen Küsten zu. Bereits hier könnte ein Grund für den Rückgang der Aalfänge in Europa liegen: Der Golfstrom verändert sich in natürlichen Zyklen, auch der Klimawandel kann spürbar sein.

Wenn sie in Europa ankommen, sind die Aale im Durchschnitt drei Jahre alt. Aus den Weinblattlarven sind Glasaale geworden. Sie haben bereits den schlangenförmigen Körper ihrer Eltern, sind aber noch durchsichtig. Fünf bis sieben Zentimeter sind diese jugendlichen Aale lang, sie wiegen 0,2 bis 0,4 Gramm. „Die Glasaale sammeln sich in den Flussmündungen Europas, ein Teil bleibt an der Küste, der andere Teil beginnt, die Flüsse hinauf zu wandern“, sagt Brämick.

Vor allem an der französischen Biskaya werden große Mengen der kleinen Aale gefangen. Viele der gesunden Jungfische wurden bisher nach Asien exportiert und dort für Feinschmecker hochgepäppelt. Die beim Fangen verletzten und oft halb toten Tiere werden dagegen in den Mittelmeerländern als Delikatesse verkauft. Auch dieses Abfischen der Glasaale könnte die Bestände gefährden. Seit dem Jahr 2011 hat die Europäische Union daher die Ausfuhr von Glasaalen verboten.

Die überlebenden Aale suchen sich flache, warme Gewässer mit wenig Strömung, in denen sie etliche Jahre verbringen. Auch der Weg dorthin ist seit dem 19. Jahrhundert verbaut. Vor allem an den Oberläufen von Flüssen fehlen an den Wehren Aufstiegshilfen für Fische – ein weiteres Hindernis für die wanderlustigen jungen Aale.

Im Mittelalter fanden die Aale ihr Zuhause oft bereits in den Altarmen an den Unterläufen, die nur bei Hochwasser mit dem Hauptlauf des Flusses verbunden sind. In diesem ruhigen und warmen Wasser fühlen Aale sich wohl und finden im Schlamm am Grund reichlich Würmer und Larven von Zuckmücken, Libellen und anderen Insekten, die als Leibspeise der jungen Schlängler gelten. Heute sind diese Altarme längst zugeschüttet: auf ihnen wurden Fußballplätze und Gewerbegebiete, neue Siedlungen und Freizeitanlagen gebaut.

Solche warmen Gewässer finden die Aale zum Beispiel noch an der Havel in Brandenburg und fressen sich einige Jahre den Bauch voll – falls sie den Weg an den Wehren vorbei schaffen oder von den Fischereiverbänden dort als Glasaale ausgesetzt werden. Frühestens nach sechs Jahren in ihrer ruhigen Wahlheimat machen sie sich in Mitteleuropa wieder auf den Weg Richtung Meer, viele Tiere bleiben bis zu 20 Jahre.

Sobald mindestens ein Viertel ihres Gewebes aus Fett besteht, brechen die Aale an einem Herbstabend zu ihrer letzten großen Reise auf. Die Weibchen sind jetzt mindestens 70 Zentimeter lang, Prachtexemplare werden länger als einen Meter. Aus ihrem kleinen See schlängeln sich die Tiere manchmal sogar über feuchte Wiesen zu einem nahen Bach. Dann geht es immer mit der Strömung Richtung Meer.

Und schon lauern die nächsten Gefahren. Werden Wehre von Wasser überflossen, lassen sich die Aale einfach darübertreiben und überstehen den Sturz in die Tiefe meist gut. Anders sieht es aus, wenn ein kleines Wasserkraftwerk im Weg ist. Oft werden die Tiere in die Turbinen gezogen. „40 Prozent der Aale überleben das nicht oder nur schwer verletzt“, berichtet Brämick. Zigtausende kleine und kleinste Wasserkraftwerke wurden an den Flüssen Mitteleuropas gebaut. So erreichen nur wenige erwachsene Aale die Mündungen der Flüsse.

Die nächste Etappe beginnt: Längst haben sich die Verdauungsorgane zurückentwickelt, fressen können die Aale nicht mehr. Die Tiere verbrauchen ihre Fettvorräte, um zur Sargassosee zu schwimmen und sich Geschlechtsorgane wachsen zu lassen. Sie füllen am Ende der Reise einen großen Teil der Leibeshöhle aus. Dort paaren sie sich dann, danach sterben die völlig ausgezehrten Tiere. Ihr Nachwuchs aber kommt nach einigen Jahren zurück nach Europa und frisst sich in den Flüssen und Seen eine dicke Fettschicht für seine eigene große und letzte Reise in die Sargassosee an – falls die Tiere die Reise überstehen. Die sinkenden Fangzahlen sprechen für sich. Der Weltartenschutzverband IUCN listet den Europäischen Aal mittlerweile in seinen Roten Listen als vom Aussterben bedrohte Art. Wissenschaftler wie Uwe Brämick führen einen Kampf gegen die Zeit, wenn sie versuchen, die Art zu retten.

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