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Ein Hummer schwimmt in der Nordsee vor Helgoland.

© Uwe Nettelmann/AWI

Bedrohte Tierart: Hummer für Helgoland

Allein schaffen es europäische Hummer nicht, an den Unterwasserfelsen vor Helgoland zu überleben. Deshalb werden im August wieder 450 Tiere ausgesetzt - dabei müssten es viel mehr sein.

Vom Hummerfang kann in Helgoland niemand mehr leben. In den 1930er Jahren holten die Fischer jedes Jahr bis zu 80 000 Krebse aus der Nordsee, seit den 1950er Jahren haben die Tiere auf den Unterwasserfelsen vor der Insel Seltenheitswert. Die Bestände erholen sich nicht aus eigener Kraft, gleichzeitig verändert die Abwesenheit der Hummer die Unterwasserwelt: Es fehlt der größte Räuber und ein gefräßiges Weidetier.

Daran werden auch die 450 Tiere, die am 3. August ausgesetzt werden, nicht viel ändern. „Eigentlich müsste man in wenigen Jahren eine Viertelmillion kräftiger Hummer aussetzen“, sagt Heinz-Dieter Franke von der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH) des Alfred-Wegener-Instituts. Zoologen wie er erforschen seit mehr als 20 Jahren, wie man dem Krebs mit dem schmackhaften Muskelfleisch im Schwanz und in den Scheren helfen könnte. Bisher ist nicht einmal klar, welche Katastrophe die Hummer so stark dezimiert hat und wieso sie sich seither trotz guter Schutzmaßnahmen nicht mehr erholt haben.

Die Helgoländer Fischer waren es nicht, meint Franke. Vor dem Zweiten Weltkrieg fingen sie reichlich Hummer, ohne dass die Bestände zusammenbrachen. Nach einem verheerenden Angriff 1945 wurde die Insel evakuiert, später nutzten die Briten die verlassenen Felsen als Zielgelände für Bombenabwürfe. Erst 1952 konnten die Helgoländer zurückkehren. Die meisten Hummer waren zu diesem Zeitpunkt bereits verschwunden.

Möglicherweise verwirrte Öl die Hummer

Heinz-Dieter Franke hat die Kriegsfolgen in Verdacht: Damals landeten nicht nur Bomben und Munition, sondern auch viel Treibstoff und Schmieröl in der Nordsee rund um Helgoland. „Hummer sind vor allem in der Nacht aktiv und orientieren sich daher stark an Gerüchen“, sagt der Zoologe. Der Geruch verrät ihnen, wo das Revier des Nachbarn beginnt, wo sie Geschlechtspartner finden, wo es etwas zu fressen gibt und vieles mehr. Das Öl könnte das alles erschwert haben.

Seit den 1950er Jahren werden die Hummer um Helgoland geschützt: Im Sommer gibt es eine Schonzeit, die Fischer dürfen dann nur größere Tiere holen, Weibchen sollten ohnehin im Wasser bleiben. Das hat vermutlich das Aussterben verhindert. Gewachsen ist der Bestand trotzdem nicht, auch wenn die belastenden Chemikalien allmählich abgebaut sind und das Wasser wieder sauberer ist als in den Nachkriegsjahren.

Ein möglicher Grund ist der isolierte Lebensraum. Hummer leben ausschließlich auf felsigem Untergrund. Den gibt es in der Deutschen Bucht der Nordsee aber praktisch nur rund um Helgoland. Die nächsten Artgenossen krabbeln daher erst vor der Felsenküste Englands oder Norwegens im Wasser. „Da nur die Hummerlarven in ihren ersten vier bis sechs Wochen schwimmen können, sind diese Nachbarn zu weit weg, um Nachschub zu liefern“, sagt Franke.

Fremde Hummer können die einheimischen kaum ersetzen. Die Hummerlarven schwimmen nach dem Schlüpfen auf das stärkste Licht zu – normalerweise die Sonne. Die winzigen Helgoländer Larven bleiben aber im Gegensatz zu ihren ausländischen Artgenossen nur kurze Zeit an der Oberfläche. „Sonst laufen sie Gefahr, zu weit abzutreiben“, sagt Franke. Anderswo können die Larven dieses Risiko eingehen, weil sie rasch wieder an eine andere Felsenküste geschwemmt werden. Rings um Helgoland gibt es aber über Hunderte von Kilometern nur eine einzige Felsregion: die von Helgoland. Sterben die Tiere vor Helgoland aus, könnten sie daher für immer weg sein.

Es darf weder zu kalt noch zu warm sein

Der Klimawandel setzt sie möglicherweise zusätzlich unter Druck. Die Weibchen schützen ihre Eier den Winter über am Leib. Wird das Wasser zu kalt, entwickeln sich die Eier nicht weiter. Auch allzu milde Winter helfen nicht. In den 1990er Jahren zum Beispiel entwickelten sich die Eier viel schneller als sonst. Statt im Juli schlüpften die Larven bereits im April. Im Frühjahr aber sind die Bedingungen für die weitere Entwicklung alles andere als gut. Es blieb nur wenig Hummernachwuchs übrig.

Bei manchen Arten gibt es außerdem eine kritische Grenze: Sind zu wenige Exemplare vorhanden, schafft es die Population nicht mehr, aus eigener Kraft zu wachsen. Dann hilft nur, die Tiere in Gefangenschaft zu züchten und auszusetzen, bis der Bestand so weit aufgestockt ist, dass er sich selbst helfen kann. Genau das versuchen die Forscher.

Es ist kein einfaches Unterfangen. Hummer sind schon von klein auf recht aggressiv, nicht einmal vor Kannibalismus schrecken sie zurück. Also müssen schon die Jungtiere einzeln gehalten werden. Das macht die Zucht teuer. Trotzdem ist Franke stolz auf seine Erfolge: „Jedes Jahr konnten wir um die 1200 Hummer aussetzen.“ 15 000 Tiere waren es insgesamt, die Population wuchs nachweislich und blieb auf diesem Niveau: „Wir hatten die Tiere markiert und fanden viele von ihnen auch Jahre später wieder“, sagt der Zoologe.

Helgoländer werben um Hummer-Patenschaften

Dieser Erfolg war keineswegs selbstverständlich, sagt Hans-Ulrich Rösner in Husum, der für die Naturschutzorganisation WWF für das Wattenmeer zuständig ist. „Kaum waren die Hummer dezimiert, haben die kleineren Taschenkrebse ihre Nische besetzt“, sagt er. Rösner befürwortet das Aussetzen der Hummer: „Schließlich handelt es sich um charismatische Tiere, die untrennbar zur Unterwasserwelt in unseren Meeren gehören.“ Ob die ausgesetzten Hummer ihre Taschenkrebs-Nachfolger wieder vertreiben können, war anfangs nicht sicher. Wenn man aber genug Hummer aussetzt, schaffen sie es, sagt Franke.

An den Zahlen könnte die Rettung der Tiere scheitern. Denn die teure Aufzucht der benötigten 250 000 Hummer dürfte bis zu 1,2 Millionen Euro verschlingen. Der Hummerschutz gehört aber nicht zu den Aufgaben der Forschungsorganisation BAH. Ohnehin könnte sie solche Summen nicht aufbringen. Staatliche Naturschützer, Nichtregierungsorganisationen und private Sponsoren wiederum haben scheinbar auch nicht genügend Geld für den Hummer. Die Helgoländer werben daher Einzelsponsoren, die die einjährige Aufzucht eines Hummers mit 25 Euro finanzieren. Das Interesse ist groß, aber nicht groß genug. Die 450 Tiere, die so am 3. August in die Nordsee dürfen, bleiben ein Tropfen auf den heißen Stein.

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