zum Hauptinhalt
Eine Versuchsanlage soll am Standort einer deutschen Brauerei entstehen.

© fotofuerst - stock.adobe.com

Bakterien fressen Kohlendioxid: Brauen für den Klimaschutz

Neu entdeckte Mikroben machen aus Klimagas Ethanol. Der Alkohol kann auch als Treibstoff genutzt werden.

Aus Zucker macht Hefe beim Bierbrauen Alkohol und Kohlendioxid, seit Jahrtausenden schon. Nun sind Biotechnologen auf eine neue Idee gekommen. Sie verfüttern in einem Kessel unter anderem Kohlendioxid an Mikroben – und herauskommt: Ethanol. Damit kann man Autos tanken und chemisch ein wenig umgewandelt können mit dem Sprit auch Flugzeuge fliegen. 
Somit macht die neue Brautechnologie das klimaschädliche Kohlendioxid zum Rohstoff. Und sie liefert Ethanol, ohne dafür Ackerflächen zu beanspruchen. „Angetrieben hat uns, dass die Biokraftstoffproduktion dringend benötigte Anbauflächen für Lebensmittel wegnimmt und den Hunger in der Welt verschlimmert“, sagt Michael Köpke, Direktor für synthetische Biologie vom US-Unternehmen Lanzatech. Stattdessen will das Start-up mit Hauptsitz in Chicago nutzen, was seit jeher über Schornsteine in die Atmosphäre geblasen wird. 

Aus Abgasen entstehen tausende Tonnen Alkohol

Seit kurzem braut das Start-up Ethanol neben einem Stahlwerk in China. Aus den Abgasen der Fabrik entstünden pro Jahr bis zu 40 000 Tonnen Alkohol, so Köpke. Das Unternehmen errichtete eine weitere Kohlendioxidbrauerei in der belgischen Stadt Gent, und auf dem Gelände eines Metallverarbeiters in Südafrika entstehe eine dritte Anlage.  Zu Hilfe kam dem Unternehmen der Variantenreichtum der Natur. 1995 stießen belgische Forscher auf bis dahin unbekannte Bakterien, die Kohlenmonoxid vertilgen und daraus Ethanol herstellen: Clostridium autoethanogenum. Auf diesem Bakterium basiert die Brautechnologie des Unternehmens. Lanzatech verfüttert an die Mikroben nicht nur Kohlenmonoxid und Kohlendioxid, sondern auch energiereichen Wasserstoff.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier fürApple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Dieses Dreigespann heißt unter Chemikern „Synthesegas“. Es ist seit über einem Jahrhundert die Basis für die massenhafte Erzeugung von diversen Kohlenwasserstoffen in der chemischen Industrie. Streng genommen frisst Lanzatechs Mikrobe also einen Wertstoff, der schon sehr lange wirtschaftlich verwendet wird. Synthesegas entsteht bei der Stahlproduktion, aus Raffinerien und Biomassekraftwerken. Allerdings: „Bisher braucht man einen Katalysator, der empfindlich gegen Schadstoffe etwa Schwefelverbindungen im Abgas ist.

Unser Bakterium ist robuster. Es gibt etliche Anlagen, bei denen das Synthesegas bis heute abgefackelt wird. Dort kommen wir jetzt zum Zug“, so Köpke.  Auch das Spezialchemieunternehmen Evonik aus Essen hat sich für die Investition in die Brautechnologie entschieden. Im Herbst 2020 nahm am nordrhein-westfälischen Standort Marl erstmals eine Versuchsanlage ihren Betrieb auf, in der zwei Bakterienspezies arbeiten: Neben Clostridium autoethanogenum auch Clostridium kluyveri. 

Bis dato noch nicht wettbewerbsfähig

Eine große Herausforderung ist es allerdings, den Prozess wirtschaftlich zu machen. „Die Ethanolherstellung aus Synthesegas ist bis dato nicht wettbewerbsfähig mit der Bioethanolherstellung aus Zucker“, sagt der Chemiker Volker Müller von der Universität Frankfurt, der selbst auf dem Gebiet forscht. 

In Marl soll Alkohol aus Kohlendioxid daher nur der Anfang sein. „Das Großartige ist, dass die Bakterien auch andere Chemikalien produzieren können. Unser Fokus liegt auf werthaltigen Spezialchemikalien“, sagt Thomas Haas, der Projektverantwortliche bei Evonik. „Das Geheimnis liegt in der gemeinsamen Kultur beider Bakterien.“ Je nach Vitaminen und Spurenelementen produzieren diese unterschiedlichen Stoffe. Die Innovationskraft dieser Technologie liegt also im bakteriellen Zusammenschluss.  Bis zur kommerziellen Reife dürften allerdings etliche Jahre vergehen. Die Versuchsanlage in Marl produziert lediglich einige Kilogramm Alkohol pro Stunde und demonstriert die Machbarkeit der Kohlendioxidbrautechnologie. 

„Wir würden zunächst Anlagen dort errichten, wo Kohlendioxid leicht zugänglich ist, aber der Abgasstrom keinen Sauerstoff enthält. Das wären Biogasanlagen und Bioethanolanlagen.“ Auf jedes Molekül Alkohol setzen letztere nämlich ein Molekül Kohlendioxid frei, in Summe riesige Mengen jeden Tag. Die könnten Evoniks Bakterien in einem zweiten Braukessel zu Chemikalien umsetzen.  Die schöne Geschichte von der Kohlendioxidbrauerei hat allerdings einen Haken. Sowohl bei Lanzatech als auch bei Evonik brauchen die Bakterien Wasserstoff. Und Wasserstoff lässt sich großtechnisch nur sehr energieaufwändig mit Strom via Elektrolyse herstellen. 

Bei Evonik soll die Energie dafür zwar aus erneuerbaren Energien stammen, betonen die Projektbeteiligten. Aber ist es wirklich sinnvoll, unerwünschtes Kohlendioxid mit derart großem Energieaufwand in einen Stoff zu verwandeln, der anders auch schon energieschonender hergestellt werden kann? Und wäre es dann nicht sinnvoller, gleich auf Wasserstoff als Energieträger zu setzen, der bei seiner Verbrennung kein Kohlendioxid freisetzt? 
Beide Einwürfe wären korrekt, würde eine Wasserstoffwirtschaft sämtliche menschlichen CO2-Quellen beseitigen. Dem aber ist nicht so. Kohlendioxid entsteht bei vielen Prozessen, die bisher nicht zu ersetzen sind. Bestes Beispiel sind Zementfabriken. Auf sie gehen vier bis acht Prozent des globalen CO2-Ausstoßes zurück. Eine technologische Senke für das Treibhausgas wäre deshalb mehr als willkommen, um zu den Klimazielen beizutragen. 

Die Bakterien reagieren empfindlich auf Sauerstoff

Die Kohlendioxidbrauerei braucht jedoch nicht nur den energieintensiven Wasserstoff. Auch die Zusammensetzung des restlichen Gases ist entscheidend. Zum einen reagieren die verwendeten Bakterien empfindlich auf Sauerstoff. Zu viel davon tötet sie ab. 

Zum anderen verdauen die Bakterien genau genommen nur Kohlenmonoxid, das ihnen im Gemisch mit Kohlendioxid angeboten wird - aber kein reines Kohlendioxid, wie es aus dem Auto oder den Schornsteinen von Häusern und Kraftwerken kommt. 

Es müsste erst unter Einsatz von Energie in Kohlenmonoxid umgewandelt werden. Damit ist die Auswahl der Schlote, an den die Braukessel gehängt werden können, beschränkt. An den Schornstein eines Kohlekraftwerks etwa kann man die Braukessel nicht hängen – zu viel Sauerstoff und zu wenig Kohlenmonoxid. 

Die Mikrobe ist ein Glücksfall

Am Meeresboden lebt jedoch eine Mikrobe, die zumindest im letzten Punkt helfen könnte. Sie ist zwar sauerstoffempfindlich, frisst dafür aber reines Kohlendioxid und Wasserstoff – braucht also kein Kohlenmonoxid. Sie heißt Acetobacterium woodii. 

„Ein Glücksfall“, sagt der Chemiker Volker Müller von der Universität Frankfurt. An Zementfabriken, Chemieanlagen und Kraftwerken könne man künftig das Kohlendioxid abtrennen, in Tanks pressen und dann andernorts an dieses Bakterium verfüttern. Acetobacterium woodii könne Methanol und Ameisensäure herstellen, beides wichtige Basischemikalien, so Müller. „Interessant sind aber langkettige Moleküle. Je länger die Kohlenstoffkette, desto höher der Preis. Super wären Kerosin mit neun bis siebzehn Kohlenstoffatomen oder Biokunststoffe mit 100 000 und mehr Kohlenstoffatomen.“  All das ist jedoch noch Zukunftsmusik. Seine erste Versuchsanlage mit Acetobacterium woodii entstehe am Standort einer deutschen Brauerei, sagt Müller. Wo die Bier- und die Kohlendioxidbrauerei zusammenkommen, dürfe er jedoch noch nicht verraten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false