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Hans-Otto Pörtner ist Ökologe am Alfred-Wegener-Institut. Im sechsten Berichtszyklus des Weltklimarats IPCC leitet er die Arbeitsgruppe „Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit“.

© Kerstin Rolfes/Alfred-Wegener-Institut

Auswirkungen des Klimawandels: „Wir wären gut beraten, natürliche Grenzen zu respektieren“

Hans-Otto Pörtner erklärt, wie der Klimawandel auf Fische wirkt – und wie er seine Forschung mit seinem Vorsitz im Weltklimarat vereinbart.

Herr Pörtner, hat man als Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Folgen, Verwundbarkeit, Anpassung“ des Weltklimarats IPCC noch Zeit für eigene Forschung?

Es ist ziemlich eng. Ich habe mit dem Alfred-Wegener-Institut vereinbart, dass ich die Hälfte meiner Zeit dem IPCC widmen kann. Das mit der Leitung der Sektion „Integrative Ökophysiologie“ des AWI zusammenzubringen, ist in der Summe aber mehr als 100 Prozent.

Ihre aktuell im Magazin „Science“ veröffentlichte Studie behandelt Auswirkungen des Klimawandels auf Fische. Was haben sie herausgefunden?
Die Entwicklungsstadien der Fische vom Embryo im Ei über die Larve bis hin zum laichbereiten ausgewachsenen Tier unterscheiden sich darin, welche Temperaturen sie vertragen. Das hängt damit zusammen, dass die Fische in diesen Entwicklungsstadien nur zu Jahreszeiten oder in Lebensräumen leben, die durch bestimmte Temperaturen charakterisiert sind. Bisher war die Frage unbeantwortet, was das für die Klimaempfindlichkeit einer Art bedeutet. Viele Arbeiten haben sich auf ausgewachsene Tiere konzentriert, die aber am wenigsten empfindlich gegenüber Temperaturänderungen sind. Wir haben in unsere Analyse sämtliche Stadien einbezogen und sehen, dass Fische als Embryonen oder als laichbereite Tiere einen viel engeren Toleranzbereich haben, als Larven oder heranwachsende Tiere. Schon eine geringe Erwärmung kann große Auswirkungen auf die Fortpflanzung der Fische und ihre Ökosysteme haben.

Warum sind Embryonen und laichbereite Fische besonders anfällig?
Wir sehen bei den fast 700 Fischarten, die wir analysiert haben, dass dieses Muster ein allgemeingültiges Prinzip ist: Laichbereite Tiere und Embryonen sind enger an den unteren Rand der Temperaturtoleranz gebunden. Im kühleren Wasser, das mehr Sauerstoff enthält als wärmeres, sparen sie Energie und können ihren Körper mit Sauerstoff versorgen. Die Spezialisierung der lebenswichtigen Prozesse auf ein enges Temperaturfenster spart Energie, aber um den Preis erhöhter Wärmeempfindlichkeit.

Durchscheinende Fischeier mit Embryonen
Die Zellen von Fisch-Embryonen im Ei (hier Kabeljau) beziehen ihren Sauerstoff direkt aus dem Wasser. Zu hohe Temperaturen führen zu Sauerstoffmangel und stören die Entwicklung.

© Flemming Dahlke

Bei Embryonen und laichbereiten Tieren wirkt der gleiche Mechanismus?
Im Prinzip ja. Es ist der Energiebedarf der Zellen und die Notwendigkeit, die Zellen mit Sauerstoff zu versorgen. Das gilt für beide. Embryonen haben noch keine Kiemen und keinen Blutkreislauf. Sauerstoff diffundiert zu den Zellen, bis auf eine aktive Sauerstoffversorgung über den Blutkreislauf umgestellt wird. In dieser Phase gibt es eine große Temperaturabhängigkeit. Wenn sich der Organismus dann entwickelt, werden die Systeme leistungsfähiger. Steuern die Fische dann auf die Paarungszeit zu, sammeln sie einen Vorrat an Eiern oder Spermien im Körper an, der bis zu 20 Prozent ihres Gewichts ausmachen kann und der auch mit Sauerstoff versorgt werden muss. Um ihren Energiebedarf zu begrenzen, spezialisieren sich die Tiere in dieser Phase erneut auf einen engeren Temperaturbereich. Es ist faszinierend, dass wir Grundmuster, die wir auf zellulärer Ebene sehen, auf der höchsten Ebene des intakten Organismus wiederfinden.

Was passiert, wenn die Temperaturen zu weit ansteigen? Können die Fische ausweichen, in Richtung der Polarzonen oder in größere Tiefen mit kühlerem Wasser?
Im Wesentlichen bestimmt die Temperatur, wo eine Tierart leben und sich fortpflanzen kann. Was passiert, wenn die Umgebungstemperatur steigt, testen wir gerade im Megaexperiment Klimawandel auf globaler Skala. Und wir sehen, dass Arten schon bei geringen Temperaturveränderungen ihre Lebensräume verlagern. Das würde bei Fischen auch die Laichgebiete betreffen. Abhängig von der Lebensweise ist das aber nicht möglich. Lachse zum Beispiel wandern zum Laichen aus dem Meer die Flussläufe hinauf, in denen sie selbst geschlüpft sind. Sie müssen stromaufwärts schwimmen und Eier und Sperma bilden. Energetisch sind sie nahe am Limit. Wenn dann das Wasser des Flusslaufes zu warm ist, kommt es zum Massensterben. Laichgründe kann man nicht einfach verschieben, das gilt auch für andere Arten. Das Gefüge der Ökosysteme wird durch den Klimawandel durcheinandergebracht. Daher müssen wir auch mit einem Verlust von Biodiversität rechnen.

Frisch geschlüpfte Fischlarve
Frisch geschlüpfte Fischlarve

© Flemming Dahlke/Alfred-Wegener-Institut

Was passiert mit den Fischbeständen?
Unsere Studie konzentriert sich auf die verwundbaren Lebensstadien der Fische und wir betrachten Szenarien, die der Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius entsprechen bis hin zu einer Entwicklung, die noch über das „Weiter wie bisher“ hinausgeht. Wir sehen, dass bei starker Erwärmung bis zu 60 Prozent der Arten ihre angestammten Laichgebiete verlassen müssen. Im glimpflichsten Fall sind es nur etwa zehn Prozent. Eine solche Entwicklung wird die Bestände schrumpfen lassen. Lebensräume werden sich verschieben, mancherorts werden Arten aussterben. Erste Anzeichen dafür sehen wir schon. Die Risiken sind höher als wir bisher dachten. Das ist dramatisch für Länder, die in hohem Maße auf Erträge aus der Fischerei angewiesen sind. Wir müssen das für die fischereilich bedeutenden Arten aber noch weiter untersuchen.

Die Studie erscheint noch rechtzeitig, um im nächsten Bericht des IPCC berücksichtigt zu werden. Ist es legitim, den Klimasachstand anhand eigener Studie zu beurteilen?
Ob die Arbeit in den Sachstandsbericht eingeht, ist Sache der Autoren des Kapitels Ozeansysteme, nicht meine. Ich freue mich als Wissenschaftler, wenn Interesse besteht. Die Studie liefert einen übergreifenden Einblick und ist prominent publiziert. Die Voraussetzungen sind gut. Aber die wissenschaftliche Entscheidung liegt nicht bei mir, sondern bei den Experten unseres Autorenteams. Die Objektivität ist gewährleistet.

Hat die Coronakrise Ihren Arbeitsplan mit internationalen Autorentreffen durcheinandergebracht?
Die Autorentreffen sind sehr wichtige Termine, die man mit ihrer Dynamik und Vielfältigkeit des Austauschs nicht einfach durch Videokonferenzen ersetzen kann. Wir können aber die Vorteile von Videokonferenzen durchaus nutzen. Wir sind gespannt, ob wir unser Programm durchziehen können. Wir stimmen unsere Veröffentlichungstermine nach Möglichkeit auf die Verhandlungen im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen ab. Der wissenschaftliche Austausch mit den Regierungsdelegationen war beim letzten Sachstandsbericht ja instrumental wichtig für die Temperaturgrenzen von 1,5 und deutlich unter zwei Grad Celsius maximaler Erwärmung im Pariser Klimaabkommen von 2015.

Ihre Arbeitsgruppe behandelt praktisch alle Bereiche, in denen Klimawandel auf menschliche und natürliche Systeme wirkt. Kurz: Alles. Wie gehen Sie mit der Arbeitsbelastung und der Themenvielfalt um?
Eine Erfahrung macht man im IPCC: Es ist eine enorme Erweiterung des Sichtfelds. Wer mitmachen möchte, kann keine Scheuklappen tragen. Es geht darum, die Verbindungen zwischen den Systemen zu sehen und zu erkennen, wie wir den Planeten nachhaltig bewirtschaften können und wie die Menschheit nachhaltig überleben kann. Dann aber zu sehen, dass einige Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft Scheuklappen tragen, ist eine Belastung. Auf der einen Seite fühlt man sich gut dabei, an der Diskussion teilzuhaben und objektive Beiträge zu leisten. Ich bin aber auch Staatsbürger, Vater und Großvater und werde ungeduldig, wenn Politiker mit sehr kurzsichtigen Interessen mit den Sachverhalten umgehen. Wir wären gut beraten, die Grenzen zu respektieren, die die Natur uns setzt.

Finden Sie diese Einsicht in ihrer aktuellen Studie wieder?
Wir können einen Spannungsbogen ziehen von einer Arbeit in der Meeresbiologie und der Physiologie hin zur menschlichen Gesellschaft. Wir haben es hier mit Gesetzmäßigkeiten zu tun, denen wir auch unterworfen sind. Kürzlich ist eine Studie erschienen, die zeigt, dass die Hitzeempfindlichkeit von Schwangeren und Säuglingen am größten ist. Auch wir durchlaufen Lebensstadien, auch uns sind als Art Temperaturgrenzen gesetzt. Wir werden Lebensraum verlieren, weil wir den Planeten aus seinem stabilen Klimakorridor hinaustreiben. Dort, wo Wärme und hohe Luftfeuchtigkeit zusammenkommen, wird es für den Menschen physiologisch zunehmend schwierig.

In ihrer aktuellen Studie resümieren Sie, das Risiko sei „größer als erwartet“. Ist es der Fluch der Klimaforschung, düstere Aussichten mit neuem Wissen immer düsterer zeichnen zu müssen?
Nein. Ich betrachte es als klare Sicht, die entsteht. Unsere Handlungsoptionen sind eingeschränkt. Je länger wir warten, desto mehr werden wir diesen Risiken ausgesetzt sein. Es lohnt sich unbedingt, den Klimawandel zu begrenzen. Es lohnt jede Anstrengung und es lohnt auch die massive gesellschaftliche Transformation, die dafür erforderlich ist, die Pariser Klimaziele anzustreben. Das ist die klare Botschaft unserer Arbeitsgruppe. Es ist keine Option, die Dinge laufen zu lassen. Der Preis, den wir mit den Auswirkungen auf unsere Lebensgrundlagen zahlen, wird immer höher. Und er ist höher als der Preis für die Umstellung auf nachhaltiges Wirtschaften. Die junge Generation nimmt diese Botschaft nun auf und macht Druck auf die Politik. Ich betrachte das als Erfolg unserer Bemühungen.

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