zum Hauptinhalt
Hoffnung auf Teilhabe. Das Gemälde des deutsch-jüdischen Malers Moritz Daniel Oppenheim von 1834 zeigt einen uniformierten Soldaten im Kreise seiner nach jüdischem Brauch lebenden Familie.

© bpk

Ausstellung zu "Staatsbürgerschaften" im Deutschen Historischen Museum: Einige Bürger sind gleicher als andere

Eine neue Ausstellung im DHM vermittelt die Geschichte der Staatsbürgerschaft. Diese führte immer schon Menschen zusammen - und trennte sie zugleich.

Ein uniformierter preußischer Soldat unter Kippa tragenden Familienmitgliedern: Das in den frühen 1830er-Jahren entstandene Gemälde des deutsch-jüdischen Malers Moritz Daniel Oppenheim „Die Heimkehr des Freiwilligen aus den Befreiungskriegen zu den nach alter Sitte lebenden Seinen“ sollte die Vereinbarkeit von Patriotismus und jüdischer Tradition illustrieren. 

Tatsächlich erhofften sich nicht wenige männliche Juden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vom Dienst an der Waffe auch gesellschaftliche Teilhabe. Gesetze, die sie staatsbürgerlich gleichstellen sollten, wurden aber – etwa in Deutschland oder Frankreich – nach kurzer Zeit wieder rückgängig gemacht. Bis der NS-Staat dann die Juden aus dem Volk und letztlich aus dem Menschsein herausdefinierte.

[„Staatsbürgerschaften. Frankreich,Polen, Deutschland seit 1789“. Deutsches Historisches Museum, Pei-Bau, Hinter dem Gießhaus 3, Berlin-Mitte. 01. 07. 2022 - 15. 01. 2023, 8€/4€, www.dhm.de.]

Oppenheims von Zuversicht gezeichnetes Gemälde ist nun gemeinsam mit zahlreichen anderen Exponaten in der Ausstellung „Staatsbürgerschaften. Frankreich, Polen, Deutschland seit 1789“ zu sehen, die im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums am 01. Juli 2022 eröffnet.

Ein- und Ausschluss-Mechanismen

In einer verflechtungsgeschichtlichen Perspektive werden Entstehung und Genese des immer schon janusköpfigen Konzepts der Staatsbürgerschaft vermittelt. Denn diese sei ein Ein- und Ausschlussmechanismus, der mit dem Innen auch ein Außen definiere, sagt der die Schau kuratierende Historiker und Rechtswissenschaftler Dieter Gosewinkel im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

„Eine solche Ambivalenz prägt die Staatsbürgerschaft seit der Französischen Revolution“. Diese gebar den citoyen, den Staatsbürger, der trotz anders lautender Verheißungen lange bloß ein Bürger war und keine Bürgerin.

Die Égalité blieb ein bloßes Ideal, staatsbürgerschaftlich diskriminiert wurden neben Juden auch lange Zeit Frauen. Aus den Sphären des politischen Lebens verbannt avancierten sie in Deutschland, Frankreich und Polen erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts zu rechtlich vollwertigen Staatsbürgerinnen. 

Auch in den französischen und deutschen Kolonien wurde eine strikte Trennung vollzogen – den europäischen Siedlern und Kolonisatoren standen die Entrechteten und Rassifizierten, „die Verdammten dieser Erde“ gegenüber. In eigenen, je sorgfältig gestalteten Räumen zeigt die Ausstellung die Kämpfe dieser Gruppen um gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung.

Im Nationalsozialismus war die "Volksgemeinschaft" die relevante Kategorie, die das Eigene vom Fremden unterschied.
Im Nationalsozialismus war die "Volksgemeinschaft" die relevante Kategorie, die das Eigene vom Fremden unterschied.

© DHM

Auch multiple Diskriminierungen werden dabei thematisiert: Jüdische Frauen aus Osteuropa hatten es in Preußen besonders schwer – in einem Videospiel können die Besucher:innen der Schau in die Rolle der jungen Rosa Luxemburg schlüpfen und nachvollziehen, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, hätte sie nicht eine Scheinehe geschlossen, um preußische Staatsangehörige zu werden.

Ein Exponat, das ähnlich wie das Oppenheim-Bild, die Hoffnung europäischer Jüdinnen und Juden auf vollwertige Staatsbürgerschaft illustriert, ist eine elsässisch-jüdische Mappa, ein synagogales Wickeltuch aus dem späten 19. Jahrhundert, auf dem hebräische Schriftzeichen in den Farben der französischen Trikolore prangen.

Abstammung vs. Boden

Dass die Rechtssituation für Jüdinnen und Juden in Deutschland, Frankreich und Polen prekär war, unsicher blieb bis zur Lebensgefahr, und in völliger Rechtlosigkeit kulminierte zeigt auch, dass sich die Bürgeridee von ethnischen Erwägungen nicht frei machen konnte. Auch in Frankreich, das oft als Musterbeispiel des Territorialprinzips angeführt wird, habe sich dieses mit dem Abstammungsprinzip oft im Widerstreit befunden, sagt Gosewinkel.

In Deutschland, wo die Staatsbürgerschaft als Rechtsbegriff später als in Frankreich und Polen entstand, habe spätestens mit der Reichsgründung von 1871 eine Politik der „ethnischen Homogenisierung“ eingesetzt. Im NS-Recht dann wurde die „Volksgemeinschaft“ zur einzig bestimmenden Kategorie, um das „Eigene“ vom „Fremden“ zu trennen.

Dabei zeigt die DHM-Ausstellung über Einblicke in jene Debatten, die in den 2000er-Jahren zur doppelten Staatsbürgerschaft geführt wurden, dass das „ius sanguinis“, das Abstammungsprinzip, hierzulande immer noch maßgeblich ist, und erst in der jüngeren Vergangenheit durch ein „ius soli“, ein Bodenrecht, ergänzt wurde. Immerhin haben Kinder von lange Zeit im Land lebenden Ausländer:innen heute die Möglichkeit Deutsche zu werden, auch wenn die Abstammung in vielen Köpfen noch immer ein zentraler Differenzmarker ist.

Dem Umstand, dass das Staatsbürgerschaftsprinzip seit 1789 immer wieder mit anderen politischen, ideologischen und religiösen Vorstellungen der Zugehörigkeit konkurrierte, soll die Ausstellung mit einem im Oktober beginnenden Veranstaltungsprogramm Rechnung tragen. In einer Diskussionsreihe soll gezeigt werden, dass kollektive Identitäten historisch bedingte Vorstellungen sind, die sich durch die Zeit hindurch verändern.

Plakat "Typisch Deutsch", Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Köln 2000.
Plakat "Typisch Deutsch", Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Köln 2000.

© Deutsches Historisches Museum

Auch jenseits der ethnischen Aufladung des Staatsbürgerschaftskonzepts sei dieses oft mit nationalen Gefühlen verknüpft gewesen, sagt Gosewinkel. Demnach ist die Staatsbürgerschaft nicht nur ein Rechtstitel, sondern auch ein stark diskursives Konzept, das Gemeinschaftsempfindungen befördert. „Die Staatsbürgerschaft ist eine relationale Kategorie“, sagt der Jurist und Historiker. Nur in Differenz zu anderen Gruppen werden die Konturen der eigenen deutlich.

Die Schule der Nation

Nicht von ungefähr war die Wehrpflicht im 19. und 20. Jahrhundert auf das engste mit der Konzeption des (männlichen) Staatsbürgers verkoppelt. So thematisiert die DHM-Ausstellung auch das Leitbild des patriotischen „Soldaten-Staatsbürgers“. Noch der ex-nationalsozialistische Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger nannte die Armee „die Schule der Nation“, bis Willy Brandt ihn schließlich korrigierte und erklärte die Schule sei „die Schule der Nation“.

Seit die Wehrpflicht in Deutschland und Polen ausgesetzt und in Frankreich aufgehoben wurde, werde das Konzept der Staatsbürgerschaft vornehmlich zivil definiert, sagt Gosewinkel. So gebe es zwar eine historisch nicht ganz zufällige Verbindung von Staatsbürgerschaft und modernem Nationalstaat, und mithin auch von jener zum Nationalismus. „Das Konzept Staatsbürgerschaft ist aber nicht notwendig an starke nationale Gefühle gebunden“.

Und doch sind Staaten nicht denkbar ohne Grenzen. Zwar werden nationale europäische Staatsbürgerschaften – wie das Schlusskapitel der Ausstellung zeigt – heute von einer transnationalen europäischen Bürgerschaft überwölbt. Nicht zuletzt die Corona-Krise aber habe gezeigt, dass die innereuropäische Bewegungsfreiheit schnell an Schlagbäumen enden könne, sagt Gosewinkel.

Der Pass als edelster Teil eines Menschen

Es war Bertolt Brecht, der den Pass sarkastisch den „edelsten Teil eines Menschen“ nannte. Wie privilegiert man als Besitzer eines mitteleuropäischen Passes ist, wird einem erst offenbar, wenn man plötzlich jene Freiheit verliert, von einem Weltteil in den anderen zu reisen. "Manche bevölkern den Globus, andere sind an einen Ort gekettet", sagte der Soziologe Zygmunt Bauman mit Blick auf die Globalisierung. Zwar wird in der Ausstellung thematisiert, dass es über Lebenschancen entscheidet, ob man Staatsbürger:in eines Landes werden kann. Was etwas zu kurz kommt, ist aber die Tatsache, dass verschiedene Staatsbürgerschaften unterschiedliche Wertigkeiten haben, manche Pässe edler als andere sind und die Geburtslotterie über Schicksale bestimmt. 

Die deutsche Staatsbürgerschaft etwa garantiert eine weitreichendere Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit als die Staatsbürgerschaft von Uganda. So sind Grenzen auch globale „Sortiermaschinen“, wie der Soziologe Steffen Mau formuliert. Die Globalisierung habe keine generelle Entgrenzung befördert, so Mau, sondern ein „Mehr an Selektivität“. Erwünschte und unerwünschte, leistende und nutzlose, harmlose und gefährliche Personen werden genau unterschieden.

Lochstanzer "Juif" ("Jude"), Frankreich 1940-1945.
Lochstanzer "Juif" ("Jude"), Frankreich 1940-1945.

© Deutsches Historisches Museum / Foto: Indra Desnica

Wer die territoriale Grenze passiert, hat noch nicht die gesellschaftliche Grenze genommen. So hätte man in der DHM-Ausstellung noch vermitteln können, inwiefern die Kopplung bürgerlicher Rechte an das Prinzip der Staatsbürgerschaft demokratische Legitimationsprobleme herstellt. Etwa weil Menschen, die in Deutschland seit langer Zeit leben, aber keinen Bordeauxroten Pass in der Hand halten, jene Gesetze, die ihr Leben bestimmen, nicht mittels Wahlen mitgestalten können. Dass, wer als „Sans-Papier“ ohne gültigen Aufenthaltstitel keinen einfachen Zugang zu menschenrechtlich relevanten Institutionen wie Schulen oder Krankenhäusern genießt, ist ebenfalls ein großes Problem, das Staatsbürger:innen erspart bleibt.

Recht auf Rechte

Die Philosophin Hannah Arendt formulierte einst ein unbedingtes „Recht auf Rechte“. Als aus Deutschland geflüchtete staatenlose Jüdin hatte sie am eigenen Leib erfahren, dass die Menschenrechte gerade für die nichts Wert sind, die sie am dringendsten brauchen. Ihr immanenter Widerspruch bestehe eben darin, dass sich nur jene effektiv auf sie berufen können, die auch staatsbürgerschaftliche Rechtssubjekte sind. In einer staatlich gestalteten Welt, sei die Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft das erste und einzige Menschenrecht.

Die Ausstellung „Staatsbürgerschaften“ vermittelt eindrucksvoll wie sich diese historisch entwickelt haben. „Wir erleben heute eine Gleichzeitigkeit von globaler Öffnung und Renationalisierung“, sagt Dieter Gosewinkel. So zeigt die Schau – wie DHM-Präsident Raphael Gross bei der Ausstellungspräsentation am Mittwoch erklärte – dass es keine „gleichförmig positive Entwicklung hin zu jeweils offeneren und diskriminierungsfreieren Formen oder auch zu mehr transnationaler Durchlässigkeit gibt“. 

Die Ambivalenzen von Staatsbürgerschaften bleiben bis auf weiteres bestehen. Die zivilisatorischen Errungenschaften, die mit dem Konzept erstritten worden sind, können auch wieder verloren gehen.

Zur Startseite