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Führt B.1.1.7 zu schwereren Covid-19-Verläufen? Intensivmediziner sind sich uneinig.

© Robert Michael/dpa

Ausbreitung von B.1.1.7 in Deutschland: Führt die Corona-Variante wirklich zu schwereren Krankheitsverläufen?

Aus zwei britischen Studien geht hervor, dass B.1.1.7 tödlicher ist. „Besorgniserregend“, findet ein deutscher Intensivmediziner. Ein anderer widerspricht.

Der Anteil der Corona-Variante B.1.1.7 an den Infektionen in Deutschland steigt rasant an. Mittlerweile wird B.1.1.7 in drei von vier Proben nachgewiesen, wie das Robert Koch-Institut (RKI) zuletzt mitteilte.

Die Frage ist: Wirkt sich die Zunahme der Variante auch auf die Krankheitsverläufe der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen aus? Darüber sind sich führende Intensivmediziner in Deutschland uneinig.

„Es gibt ein klares Signal aus England, dass die Varianten für eine höhere Sterblichkeit bei Covid-19-Patienten sorgen“, sagt Uwe Janssens, Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, dem Tagesspiegel. Janssens stützt sich mit seiner Aussage auf zwei Studien.

Die erste Studie war in dieser Woche im Fachmagazin „Nature“ erschienen. In dieser rechnen die Wissenschaftler der London School of Hygiene and Tropical Medicine mit einem um 55 Prozent höheren Sterberisiko bei Infektionen mit B.1.1.7 im Vergleich zu dem ursprünglichen Virus. Sie berücksichtigten dabei bekannte Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht und Ethnie.

Studienergebnisse machen Intensivmediziner Sorgen

Das absolute Sterberisiko bei einer Coronavirus-Infektion erhöhe sich für einen Mann aus der Gruppe der 55- bis 69-Jährigen damit von 0,6 auf 0,9 Prozent innerhalb von vier Wochen nach einem positiven Test. In die Studie aufgenommen wurden Daten von rund 2,2 Millionen positiven Fällen in Großbritannien vom 1. September 2020 bis zum 14. Februar 2021.

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Eine in der vergangenen Woche im „British Medical Journal“ veröffentlichte Analyse hatte ähnliche Ergebnisse erbracht. Forscher der University of Exeter ermittelten dabei sogar ein rund 64 Prozent höheres Sterberisiko bei einer Infektion mit B.1.1.7 im Vergleich zu anderen Corona-Varianten. Die Wissenschaftler hatten die Todesfälle von knapp 110.000 infizierten Menschen im Alter von über 30 Jahren analysiert, die in Corona-Testzentren gekommen waren.

Aufgrund dieser Studienlage hält Janssens die schnelle Ausbreitung für „besorgniserregend“. Er geht davon aus, dass Menschen zwischen 50 und 70 Jahren schwer erkranken und sich sich die Lage nach Ostern noch einmal deutlich zuspitzen werde, sollten die Zahlen weiter so deutlich steigen. Davor hatte bereits Virologe Christian Drosten gewarnt.

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Stefan Kluge, Leiter der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), sieht die Lage etwas anders als Janssens. „Die Frage, ob sich die Varianten auf die Krankheitsverläufe der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen auswirken, kann kein Intensivmediziner derzeit sicher beantworten“, sagt Kluge dem Tagesspiegel.

Tobias Welte, Leiter der Covid-Intensivstation und Post-Covid-Ambulanz an der Medizinischen Hochschule Hannover, geht noch weiter. Aus seiner Sicht unterscheidet sich eine Covid-19-Erkrankung nach jetziger Erkenntnis nicht zwischen verschiedenen Varianten des Virus.

Trotz der zunehmenden Ausbreitung von B.1.1.7 kann er keine Zunahme der Fälle auf Intensivstationen erkennen. „Auch in Deutschland sinkt die Sterblichkeit deutlich, obwohl sich B 1.1.7 weiter ausbreitet“, teilt Welte dem Tagesspiegel mit. Darin schlägt sich für ihn bereits der Impfeffekt bei den Menschen über 80 Jahre nieder.

Schwere des Verlaufs auch vom Alter abhängig

Eine Folge des Impfeffekts ist für Welte, dass die Neuinfektionsrate bei älteren Menschen stabil ist oder sogar fällt und sich das Virus momentan vor allem in der Altersgruppe zwischen 15 und 50 ausbreite. „Das sind die Menschen, die nicht geimpft sind“, so Welte. Die Rate an schwer kranken Menschen, die jünger als 50 Jahre alt sind, erhöhe sich jedoch relativ nicht.

Das zeige, so Stefan Kluge vom UKE in Hamburg, dass die Schwere des Verlaufs auch vom Alter abhängig ist. Noch klarer wird das mit Blick auf die schweren Krankheitsverläufe bei Kindern. „Ich kann von keiner Zunahme der Intensivfälle unter Kindern berichten. Wenn es Fälle gab, hatten Kinder oft schwere Vorerkrankungen“, sagt Kluge.

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Abgesehen vom Alter könne die Anzahl von schweren Krankheitsverläufen immer auch ein Effekt des Lockdowns sein, so Kluge.

Gerade deshalb stellt Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover sogar die beiden Studien aus England gänzlich infrage. Denn: Aus seiner Sicht haben sie Faktoren wie das Ausmaß und die Stringenz von Lockdown-Maßnahmen und den Effekt der Impfung nicht berücksichtigt.

So sei in Großbritannien um die Weihnachtszeit praktisch kein Lockdown in Kraft gewesen, weshalb sich die Variante leichter verbreiten konnte. Auch setzte der Impfeffekt erst später ein. Mit Beginn des Jahres, als Großbritannien einen harten Lockdown verhängte, ging die Todesfallrate dann schnell nach unten, obwohl sich B.1.1.7 immer weiter verbreitete.

Durch den Impfeffekt liegen die Infektionsraten und Todesfallraten in Großbritannien mittlerweile trotz der Dominanz von B.1.1.7 weit unter den Zahlen in Deutschland. Das könne laut Welte allerdings auch an den Maßnahmen in Deutschland liegen. „Man kann sich darüber streiten, ob wir in Deutschland wirklich einen harten Lockdown hatten und vor allem darüber, ob er eingehalten wurde“, so Welte. „Vorschriften nutzen bei einer Pandemie nun einmal wenig, wenn sie nicht befolgt werden.“

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