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Meereisschwund verändert die Ernährung der Narwale.

© Paul Nicklen/paulnicklen.com

Auf den Zahn gefühlt: Stoßzähne von Narwalen archivieren vergangene Umweltbedingungen

Ihre Stoßzähne verschafften Narwalen den Beinamen „Einhörner der Meere“. Sie zeigen aber auch auf, wie sich der Lebensraum verändert.

In der Arktis sind der Klimawandel und die Belastung mit dem Schwermetall Quecksilber die größten Bedrohungen für Raubtiere wie Narwale, die an der Spitze der Nahrungskette stehen. Eine Untersuchung der Stoßzähne dieser Meeressäuger zeigt, dass sie im letzten halben Jahrhundert auf den Rückgang des Meereises reagieren.

Ihre Ernährung und damit auch die Belastung durch das Umweltgift haben sich verändert, berichtet ein internationales Forschungsteam in der Zeitschrift „Current Biology“. In den letzten Jahren ist die Quecksilberbelastung stark angestiegen.

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Kognitive Funktionen, Verhalten und Fortpflanzungsfähigkeit werden beeinträchtigt

„Unsere Forschung zeigt, dass der Klimawandel erhebliche Auswirkungen auf die arktischen Ökosysteme hat, mit Folgen für die Belastung durch toxische Schadstoffe wie Quecksilber“, sagt Ko-Autor Jean-Pierre Desforges von der kanadischen McGill University. Anhand der natürlichen Wachstumsschichten der Stoßzähne männlicher Narwale konnten die Forscher die jährliche Veränderungen der Quecksilberbelastung bis zurück in die 1960er Jahre dokumentieren.

Der Stoßzahn der Narwale ragt aus der linken Seite des Oberkiefers der Männchen und kann bis zu drei Meter lang werden. Ähnlich den Ringen in einem Baumstamm wird jedes Jahr eine neue Wachstumsschicht hinzugefügt. Da der Stoßzahn über den Blutkreislauf mit dem Körper verbunden ist, zeichnet jede neue Schicht Aspekte der Physiologie des Tieres auf, erklären die Forschenden.

Dazu gehören Informationen darüber, was und wo die Tiere im Laufe des Jahres gefressen haben und wie stark sie Schadstoffen aus menschlichen Aktivitäten ausgesetzt waren.

Schwermetalle wie Quecksilber und andere Schadstoffe sammeln sich in jedem Glied der Nahrungskette an. Je höher Tiere in der Nahrungskette stehen, desto mehr Quecksilber sammeln sie im Laufe ihres Lebens in ihrem Körper an“, sagt Desforges. Erhöhte Mengen an Schwermetallen im Körper sind giftig und können die kognitiven Funktionen, das Verhalten und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen.

Zunehmende Belastung mit Umweltgift

Die Forscher fanden, dass Narwale in den Jahren von 1990 bis 2000 geringe Mengen an Quecksilber anreicherten, da ihre bevorzugte Beute relativ weit unten in der Nahrungskette angesiedelt war. Vor 1990 bestand ihre Nahrung vor allem aus Tieren, die an das Meereis gebunden sind, wie Heilbutt und arktischer Kabeljau. In dieser Zeit war die Eisbedeckung in Gebieten wie der Baffin Bay sehr groß. Nach 1990 nahm die Eisbedeckung Jahr für Jahr kontinuierlich ab und die Ernährung der Narwale änderte sich. Sie fraßen mehr Fische des offenen Ozeans wie Lodde und Polardorsch. Ab etwa 2000 stieg der Quecksilbergehalt in den Stoßzähnen der Narwale jedoch deutlich an, ohne dass sich die Ernährung gleichzeitig änderte. Die Forschenden führen den Anstieg der Quecksilbergehalte auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe in Südostasien zurück. Der Anstieg könnte aber auch auf die durch den Klimawandel veränderte Meereisbedingungen zurückzuführen sein, die den Quecksilberkreislauf in der Arktis verändern.

In den letzten 30 bis 40 Jahren hat der Klimawandel die Meereisbedeckung in der Arktis stark reduziert. Viele Arten sind auf der Suche nach Nahrung oder Brutplätzen auf das Eis angewiesen. Für den Narwal dient das Eis wahrscheinlich als Schutz Schwertwalen. Der Eisschwund wirkt sich auf die Lebensbedingungen aller Arten und die gesamte arktische Nahrungskette aus.

„Narwale sind arktische Säugetiere, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind“, erklärt Ko-Autor Rune Dietz von der Universität Aarhus in Dänemark. Den Tieren fehlten die physiologischen Eigenschaften, die helfen, Umweltschadstoffe zu eliminieren. „Sie können Quecksilber nicht durch die Bildung von Haaren und Federn loswerden wie Eisbären, Robben oder Seevögel“, sagt Dietz. Künftig will er in Museen weltweit gelagerte Stoßzähne aus verschiedenen Epochen analysieren. Patrick Eickemeier

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