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Teleskop

© dpa

Astrophysik: Das Riesenauge von La Palma

Es hat eine Sehstärke wie vier Millionen menschliche Augen: Am Freitag wird das größte Spiegelteleskop der Welt eingeweiht. Es soll Objekte beobachten, die kurz nach dem Urknall entstanden sind.

Die Natur macht es vor: Je dunkler der Lebensraum bestimmter Tierarten ist, umso größer sind ihre Augen. So schaffen sie es, selbst schwache Lichtsignale wahrzunehmen, etwa in der Tiefsee. Bei einem Kolosskalmar, der im vergangenen Jahr nahe der Antarktis gefangen wurde, haben Biologen die bislang größte Pupille eines Tieres gemessen: 27 Zentimeter.

Das gleiche Prinzip nutzen auch Astronomen, wenn sie Teleskope konstruieren. Je größer der Spiegel ist, umso mehr Lichtstrahlen ferner Objekte kann er bündeln und ein verwertbares Signal an die angeschlossenen Messgeräte schicken.

Die Sternwarte, die am morgigen Freitag auf der Kanareninsel La Palma offiziell in Betrieb gehen soll, hat deshalb einen Spiegel mit 10,4 Meter Durchmesser. Damit ist das „Gran Telescopio Canarias“ (GTC) das größte Spiegelteleskop der Welt. Zumindest für einige Jahre. Wie gestern bekannt wurde, soll bis 2018 auf dem Vulkan Mauna Kea (Hawaii) sogar eine Anlage mit einem 30-Meter-Spiegel entstehen.

Aber noch halten die Spanier den Rekord. Deren König Juan Carlos will die 130 Millionen Euro teure Sternwarte persönlich einweihen. Die Baukosten wurden größtenteils von der spanischen und kanarischen Regierung bezahlt. Die ersten Anregungen für die Beobachtungsstation hatte Francisco Sánchez, Direktor des Astrophysikalischen Instituts der Kanaren, bereits 1987 gegeben. Vor zehn Jahren schließlich begannen die Bauarbeiten. „Es ist ein Wunder“, sagt Sánchez rückblickend. Schließlich hatte sich Spanien nie zuvor an ein technologisch so kompliziertes Projekt gewagt.

Herzstück der Anlage, die Licht im sichtbaren und Infrarotbereich einfangen soll, ist der große Spiegel. Er ist aus 36 sechseckigen Segmenten aufgebaut. Jedes der rund 450 Kilogramm schweren Teile besteht aus einer Glaskeramik, wie sie auch auf modernen Küchenherden zu finden ist. Der Vorteil des Werkstoffs ist, dass er sich bei Temperaturänderungen nur minimal ausdehnt. So wird gewährleistet, dass die Optik der Sternwarte präzise arbeitet – egal, ob es ein lauer Abend oder kalte Nacht ist. Hergestellt wurden die Teile aus Glaskeramik von der Mainzer Firma Schott, die auch den Acht-Meter-Spiegel der Europäischen Südsternwarte in Chile konstruiert hat.

Um das Licht ferner Sterne effektiv zu den Messgeräten zu reflektieren, wurde die Glaskeramik direkt am Bauplatz auf La Palma mit Aluminium bedampft. Zuvor mussten die einzelnen Segmente jedoch zur Feinpolitur nach Frankreich. Dort wurden mit einer Genauigkeit von 15 Nanometer (Millionstel Millimeter) die letzten Unebenheiten abgetragen. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist rund 3000-mal so dick.

Dank des großen und optisch extrem reinen Spiegels hat das GTC eine „Sehstärke“ wie vier Millionen menschliche Augen. Damit könnte es theoretisch von La Palma aus die zwei Scheinwerfer eines Autos unterscheiden, das in Australien über Land fährt.

Praktisch ist das aber unmöglich, denn die Erde ist gekrümmt und in der Atmosphäre werden viele Lichtstrahlen abgelenkt. Um diesen Effekt zu minimieren, wurde das GTC in 2400 Meter Höhe auf dem Berg Roque de los Muchachos errichtet, wo die Wissenschaftler gewissermaßen den Sternen ein Stück näher sind. Zudem ist der Himmel über La Palma besonders sauber: Per Gesetz sind fremde Lichtquellen in der Umgebung verboten.

Um die Beobachtungsqualität weiter zu verbessern, können die einzelnen Segmente des Hauptspiegels in ihrer räumlichen Ausrichtung verändert werden. Damit soll das Bündel von Lichtstrahlen, das beim Durchqueren der Atmosphäre durcheinandergeraten ist, wieder auf gleichen Kurs gebracht werden. Außerdem setzen die Konstrukteure auf ein Verfahren namens „adaptive Optik“. Dabei werden die einzelnen Spiegelelemente gezielt verformt, um kurzfristige Störungen des Lichtstroms auszugleichen. Bis zu 1000-mal pro Sekunde können solche Korrekturen erfolgen.

Mit dem Hochleistungsteleskop wollen die Wissenschaftler vor allem weit entfernte Galaxien beobachten und damit bis in eine Zeit kurz nach dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren blicken. Um das Gerät effektiv nutzen zu können, soll ein Computer die Arbeit koordinieren und automatisch festlegen, welche Instrumente und Beobachtungsprogramme unter den jeweiligen Wetterbedingungen die besten Resultate erwarten lassen. Auch das erneute Bedampfen der Spiegelsegmente, das alle ein paar Monate nötig sein wird, soll durch einen schrittweisen Austausch mit Ersatzmodulen erfolgen. So kann die Zeit für Zwangspausen weiter reduziert werden.

Noch bessere Beobachtungsbedingungen als das GTC bietet, verspricht das Riesenteleskop namens „TMT“, das bis 2018 auf dem Mauna Kea in Hawaii errichtet werden soll. Die Abkürzung steht für „Thirty Meter Telescope“: eine Sternwarte mit einem 30 Meter großen Spiegel. Damit werde die Anlage über rund neunmal soviel Fläche zur Datensammlung verfügen wie die derzeit größten optischen Teleskope, teilt die TMT Observatory Corporation mit. Als Standort war zunächst auch der Berg Cerro Armazones in der chilenischen Atacamawüste erwogen worden. Auf dem Mauna Kea seien die Wetterbedingungen allerdings günstiger und stabiler, begründete jetzt die Organisation ihre Entscheidung.

Dank ausgefeilter Korrekturtechniken werde der Unschärfe-Effekt der Erdatmosphäre keine Rolle mehr spielen, das TMT liefere so klare Bilder wie ein Weltraumteleskop, kündigte die Gesellschaft an. Die hawaiianischen Behörden müssten dem Vorhaben aber noch zustimmen. Und auch die Finanzierung ist noch nicht gesichert: Die Gesamtkosten für das Projekt liegen bei mehreren Hundert Millionen Euro.(mit dpa)

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