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Forschung und Leere. In Lebus im Kreis Märkisch-Oderland ist es einfacher, die Kirche im Dorf zu behalten, als die Störche. Derzeit läuft die Auswertung der Daten für 2018. Dass es in Brandenburg eher ein schlechtes Storchenjahr war, ist schon jetzt sicher.

© Patrick Pleul/dpa

Artenschutz: Ein klapperdürres Jahr für den Storch

Für viele Weißstörche in Brandenburg war 2018 ein schlechtes Jahr. Schuld ist nicht allein das Wetter gewesen.

2018 war für die Weißstörche Brandenburgs ein schlechtes Jahr. Felder und Wiesen Brandenburgs zeigten sich Mitte August bereits fast storchenfrei. „Ungewöhnlich früh sind sie dieses Jahr aufgebrochen“, sagt Bernd Ludwig, wichtigster Storchenexperte des Landes.

Das Storchenjahr geht ungewöhnlich früh zu Ende

Für ihn bedeutet das auch, dass er ungewöhnlich früh beginnen konnte, das Storchenjahr auszuwerten. Erste Trends sind ähnlich wie im vorigen Jahr, jedoch in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich. „Im Landkreis Dahme-Spreewald etwa war es mit durchschnittlich zwei flüggen Jungstörchen pro Brutpaar ein gutes Storchenjahr, in der Uckermark mit 1,5 Jungstörchen ein schlechtes. Selbst die beiden Storchendörfer Linum und Rühstädt liegen deutlich unter den zwei Jungstörchen pro Horst, die langfristig für den Erhalt unserer Weißstorchpopulation notwendig sind“, sagt Ludwig.

Seit 1964 laufen sämtliche Informationen über Weißstörche bei ihm zusammen. Zu DDR-Zeiten war er zuständig für die „Brandenburgischen Bezirke“, seit 1990 ist er es für das Bundesland. Als er begann, initiierte Ludwig ein jährliches Storchenmonitoring. Zahlreiche ehrenamtliche Kreisbetreuer verfolgen seitdem die Entwicklung der Populationen. Jedes Jahr liefern sie Zahlen zu Brutpaaren, flüggen Jungvögeln sowie Verlusten.

Nicht unrealistisch: Mecklenburg-Vorpommern könnte bald storchenfrei sein

Inzwischen werden in allen Bundesländern jährlich Daten erhoben. Im Jahr 2017 zählten Ehrenamtliche deutschlandweit 6914 Storchenpaare. Mit 1274 lebten die meisten in Brandenburg, gefolgt von Baden-Württemberg mit 1104 und Niedersachsen mit 908 Paaren. Einen bemerkenswerten Abwärtstrend verzeichnet Mecklenburg-Vorpommern: Hier schrumpfte der Bestand von 2004 bis 2017 von 1142 auf 699 Brutpaare. Von diesen 699 Brutpaaren konnten in diesem Jahr 279 keinen einzigen Jungvogel großziehen. Die Möglichkeit, dass das alte Bauernland im Norden bald keine Störche mehr haben könnte, erscheint inzwischen real.

Die genaue Zahl der Brutpaare in Brandenburg sowie deren Bruterfolg 2018 wertet Ludwig aktuell aus. Es zeichnet sich ab, dass die Zahl der Weißstörche in Brandenburg stagniert und landesweit zu wenig Jungstörche in den Horsten groß werden. An Wohnungsnot kann es nicht liegen. Auf jedes Brutpaar kommen derzeit zwei Nisthilfen.

Die Ursachen für den diesjährigen Rückgang der Weißstörche in Brandenburg sind bekannt. Gerade im Mai benötigen die frisch geschlüpften Jungstörche viele Regenwürmer. Mit ihrem kleinen Schnabel können sie größere Nahrung noch nicht zerlegen. „Durch die anhaltende Trockenheit haben sich die Regenwürmer früh im Jahr tief in den Boden verzogen und standen den Küken nicht ausreichend zur Verfügung“, erläutert Ludwig.

Schuld ist nicht nur das Wetter

Daneben nennt er Gründe für den Rückgang der Storchenpopulation, die unabhängig vom Wetter wirken: Riesige Ackerflächen, mit den Energiepflanzen Mais und Raps bestellt, die Anwendung von Pestiziden, untergepflügte Raine: „Hier gibt es für Störche nichts zu holen. Auf diesen Schlägen leben kaum noch Feldmäuse, eine wichtige Nahrungsgrundlage für Adebar.“

Zudem fördere die aktuelle Bewirtschaftung von angesäten Wiesen meist konkurrenzkräftige Gräser. Diese Wiesenflächen seien aber sehr arten- und vor allem blütenarm. Ohne Blüten fehlten Insekten und dies setze sich in den Nahrungsketten bis zu den Störchen fort. Eine lebenswerte Storchenwelt sehe jedenfalls anders aus, sagt Ludwig: „Störche lieben abwechslungsreiche Lebensräume, mit Blühstreifen in Agrarflächen, Ackerrand- und Grabenrainen.“

Und sie benötigen Feuchtgebiete. Nur hier können sich Gras- und Moorfrösche, wichtige Nahrungsquelle von Ciconia ciconia , vermehren. Diese Amphibien wiederum fressen Insekten.

Erst die Insekten, dann die Störche

Diese sind bundesweit insgesamt rar geworden – ein Phänomen, bekannt als „Insektensterben“. Der Storchenkoordinator verweist auf die inzwischen sehr bekannte, 2017 veröffentlichte Studie des Entomologischen Vereins Krefeld. Ihre Daten werden so interpretiert, dass die Zahl der Insekten in den letzten 30 Jahren in Deutschland um rund 75 Prozent zurückgegangen sein könnte.

Die Ursachen gelten offiziell als unklar. Ludwig jedoch sagt, er sei sicher, dass „in erster Linie“ intensiver Einsatz von Insektiziden und anderen Pflanzenschutzmitteln schuld sei. „Diese Mittel haben auch der guten alten Feldmaus den Garaus gemacht.“ Seine vereinfachende Bilanz beruht auf mehr als einem halben Jahrhundert Storchenbeobachtung: Weniger Futter, weniger Nachwuchs, weniger Störche.

Es ist gar nicht lange her, etwa 2010 und 2011, da flogen noch knapp über zwei Jungtiere pro Horst aus. 2014 stieg der Bestand der Störche in Brandenburg auf 1424 Brutpaare, die Höchstzahl seit 1964. Doch entscheidend ist die Zahl der Jungtiere, die ausfliegen. Im Brutpaar-Rekordjahr 2014 wurden nur 1,8 Jungstörche pro Horst flügge. Zu wenig für den langfristigen Fortbestand dieser Art. Derzeit seien es brandenburgweit wahrscheinlich nur noch um 1,5 Jungvögel, die überleben und flügge werden.

Es steht schlecht um die Tiere, obgleich sie nicht erst in jüngerer Zeit Sympathieträger sind. Ganz zu schweigen von ihrer symbolischen Bedeutung, die sich etwa in märkischen Kindersprüchen wie „Klapperstorch du Guter, bring mir einen Bruder, Klapperstorch du Bester, bring mir eine Schwester“, wiederfindet.

Die Langstreckenflieger ist im Nachteil

In anderen Bundesländern geht es den Weißstörchen besser. Erfolgsmeldungen gibt es aus dem Südwesten Deutschlands. „Der Bruterfolg liegt 2018 mit im Mittel voraussichtlich 2,5 Jungstörchen pro Paar in Baden-Württemberg deutlich über dem Vorjahr mit 1,7“, berichtet Ute Reinhard, die dortige Storchenbeauftragte. 38,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche werden hier als Grünland genutzt. In Brandenburg sind es rund 25 Prozent. Auch beim Anbau von Mais und Raps unterscheiden sich die beiden Länder. Werden diese Feldfrüchte im östlichen Bundesland auf rund 26 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche angebaut, sind es im südwestlichen Bundesland 15 Prozent.

In Baden-Württemberg profitieren die Tiere auch von der geographischen Lage. Die Westzieher – also Störche, die traditionell über Gibraltar ihre Winterquartiere erreichen, verkürzen ihren gefährlichen Flug über die Meerenge und die Sahara. Seit einigen Jahren überwintern sie zunehmend in Portugal und Spanien. Müllkippen bieten dort ausreichend Nahrung. Der Rückflug ist kurz und weniger kräftezehrend, und so besetzt das Gros dieser Störche bereits ab Februar seine Horste.

Die Störche Brandenburgs erreichen nach Fernstreckenflügen – von Brandenburg nach Südafrika sind es Luftlinie um 10 000 Kilometer – erst gegen Ende März ihre Brutgebiete.

Wer zu spät kommt, bringt die Brut nicht durch

Das einzige „Europäische Storchendorf“ Deutschlands – ein Titel, den die Stiftung Euronatur für Orte mit besonders großer und nachhaltigen Population vergibt – heißt Rühstädt. Es liegt in der Prignitz an der Elbe und kleineren Nebenflüssen, wie der Wische. Flussauen sind Standorte von Feuchtgrünland und Nahrungsraum für Störche. Der örtliche „Storchenclub“ kümmert sich hier seit 1990 um die Tiere.

Jürgen Herper ist von Anfang an dabei. Doch selbst im storchenreichsten Dorf Deutschlands mit langjährig über 30 belegten Horsten sieht es derzeit mager aus: „Unser Storchenjahr hier war mäßig bis schlecht, Ursachen sind die Trockenheit und Änderungen der Zugzeit“, sagt Herper. 2018 habe sich der Zug wieder verschleppt: „Unsere Störche, die ’Ostzieher’, fliegen über den Bosporus, ein Großteil der Ostzieher ist auf dem Frühjahrszug bei Gegenwind in den Karpaten stecken geblieben.“

Eine große Zahl von Störchen sei auf dem Zug verendet. Andere kamen zu spät zurück, zwölf Paare nach dem zehnten Mai. „Das ist der Stichtag, nachdem keine Brut mehr erfolgreich sein kann.“ 20 Brutpaare haben in diesem Jahr 32 Küken groß gezogen. Das kann nicht reichen, zu wenig, um die Population stabil zu halten, sagt Herper.

Gegen Gegenwind auf dem Zug kann der Storchenverein nichts ausrichten, aber vor Ort nutzt man etwa in Rühstädt viele Möglichkeiten. „Letztes Jahr hatten wir ein feuchtes Jahr, in ganz Deutschland sind die Jungen in den Nestern verklammt und gestorben, weil das Regenwasser nicht ablaufen konnte“, sagt Herper.

Anders in Rühstädt, wo es kaum Verluste gab. „Seit vielen Jahren mieten wir für 14 Tage eine Hebebühne und hacken bei jedem unserer rund 30 Horste alles Nistmaterial lose, Bindfäden, die Jungstörche strangulieren können, sammeln wir gleich mit heraus.“ Nach der Horstdrainierung kann Regenwasser gerade im Mai, wenn die Küken noch klein sind, rasch abfließen. Das ist eine Frage des guten Willens und des Geldes. „Wir bewältigen dass nur mit hoher Eigenleistung, Spenden und Zuschüssen“, sagt Herper.

Ludwig wünscht sich mehr solcher Aktivitäten, vor allem, weil sie wirklich wirksam sind. Brandenburgs Storchenbeauftragter nennt die 2600 Hektar große Zülow-Niederung südlich von Berlin. Mit Geld aus Ausgleichsmaßnahmen für den Neubau des Flughafens BER wurden hier Tümpel angelegt, alte Stauanlagen repariert, Grünland vernässt und Graben- und Ackerrandstreifen neu angelegt: „Hier finden unsere Störche ausreichend Nahrung.“

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Roland Schulz

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