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Auf einem historischen Zeitungsfoto sitzen festlich gekleidete Männer und Frauen bei einer Feierstunde in einem Hörsaal.

© Repro: Tsp

Architektur- und Gesellschaftsgeschichte der FU: „Dieser Bau ist Ihr Bau“

Als das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin im Mai 1962 eingeweiht wurde, war die Stadtgesellschaft dabei. Eine Bildbeschreibung.

Willkommen im Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin am 7. Mai 1962: Das grob gerasterte Foto zeigt eine förmlich, teilweise festlich gekleidete Gesellschaft, deren Blicke einem Punkt jenseits des Bildausschnitts zugewandt sind. Hier darf ein Redner vermutet werden. In der ersten Reihe fallen zwei Personen durch besondere Äußerlichkeiten auf: Der eine trägt Uniform, der andere Amtskette. Ein frei gebliebener Platz erlaubt den Blick auf zwei Frauen in der zweiten Reihe.

Die Bildunterschrift aus dem Tagesspiegel gibt Aufschluss über die Identität der Abgebildeten, den Anlass ihres Zusammenseins, aber auch über den Urheber: Es handelt sich um ein Foto der Nachrichtenagentur dpa. Allerdings ließ sich das Original jetzt nicht mehr im Archiv der dpa finden, weshalb hier eine grobkörnige Reproduktion aus der Original-Zeitungsseite verwendet wird.

Die Bildunterschrift enthält eine gewisse Ungenauigkeit, denn am 7. Mai 1962 war nicht das Otto-Suhr-Institut neu, sondern das Haus in der Dahlemer Ihnestraße 21, in dem es fortan seinen Sitz hatte. Das Institut selbst war bereits 1959 entstanden aus dem Zusammenschluss der relativ großen, auf die Weimarer Republik zurückgehenden Deutschen Hochschule für Politik, deren Leiter Otto Suhr ab 1948/49 gewesen war, und dem kleineren, stärker forschungsorientierten Institut für politische Wissenschaft der Freien Universität.

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An diesem Tag aber ging es um die Schlüsselübergabe für den Neubau. Er war der letzte einer ganzen Reihe von Universitätsneubauten, die sich jetzt entlang der Garystraße gruppierten: Zuerst die 1953 fertiggestellte Mensa, dann der großzügige Henry-Ford-Bau mit Audimax und Bibliothek (1954), die Häuser für Ökonomen (1958) und Juristen (1959) sowie für das Osteuropa-Institut, leicht versetzt parallel zum OSI errichtet, wenn auch ein Jahr früher.

Die Stunde der Exilanten

Die für den Betrachter unsichtbare Person am Rednerpult könnte der Vertreter der Studentenschaft gewesen sein, Ulrich Gründler, oder der Professor Ernst Fraenkel, ein aus dem Exil zurückgekehrter Politologe, der den Festvortrag über „Öffentliche Meinung und internationale Politik“ hielt.

Ein Porträtbild von Willy Brandt.
Willy Brandt im Oktober 1961 als Regierender Bürgermeister von Berlin.

© AKG-IMAGES

Es könnte aber auch der Regierende Bürgermeister gewesen sein: Willy Brandt kam zu spät. Er musste gerade noch Kanzler Adenauer auf dem Flughafen Tempelhof begrüßen und so sprach er als Letzter beim morgendlichen Festakt zur Schlüsselübergabe.

Ob Brandt dort dann allerdings all das sagte, was in dem vom Senatspresseamt verbreiteten Manuskript stand, darf getrost bezweifelt werden. Die von der Presse zitierte Aufforderung, das Institut möge sich mit der staatsrechtlichen Zuordnung Berlins im gegenwärtigen Deutschland befassen, findet sich dort jedenfalls nicht.

Willy Brandt, bekanntlich ebenfalls aus dem Exil nach Berlin gelangt, neigte ohnehin zur freien Rede und im OSI durfte er sich ein wenig wie zu Hause gefühlt haben, hatte er doch schon selbst als Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) unterrichtet.

Über 1000 DM für Häppchen und Tabakwaren zur Bewirtung

Den Schlüssel übergab er dann jedenfalls dem Herrn mit der Amtskette. Dabei handelt es sich um den damaligen Rektor der Freien Universität, Ernst Heinitz. Heinitz hatte einen jüdischen Vater und war daher 1933 als Richter suspendiert und zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden. Er ging ins Exil nach Italien, heiratete, erlangte die Staatsbürgerschaft und schloss sich dem Widerstand an, als die Wehrmacht 1943 anfing, Italien zu besetzen.

Als Rektor von 1961 bis 1963 hatte er auch über das Budget zu entscheiden, das für die Eröffnungsfeierlichkeiten zur Verfügung stand. Die Mittel für repräsentative Zwecke seien sehr begrenzt und „müssen nach Anlegen eines äußerst sparsamen Maßstabes verwirtschaftet werden“, schrieb er dem geschäftsführenden Direktor des Instituts, Gert von Eynern, der rechts in der ersten Reihe sitzt.

Immerhin hat Magnifizenz – wie der Rektor damals angesprochen wurde – über 1000 DM für Häppchen von Rack und Tabakwaren von Boenicke zur Bewirtung der gut 300 Gäste im Anschluss an den Festakt bewilligt und auch noch 750 DM für einen abendlichen Empfang von handverlesenen Honoratioren aus Wissenschaft und Politik im benachbarten Harnack-Haus.

Ein Universitätsinstitut im Stil der frühen 1960er Jahren mit geparkten VW-Käfern davor.
Der Instituts-Neubau in der Ihnestraße in Dahlem nach einem Entwurf von Bruno Grimmek und Werner Klenke.

© Reinhard Friedrich/FU Berlin, UA, Foto-S,RF/0106-06

Nun zu den beiden Damen mit Kopfbedeckung in der zweiten Reihe: links Susanne Suhr, Witwe von Otto Suhr, mit dem sie in der Nazizeit als „Halbjüdin“ zeitweilig versteckt war. Sie ist Journalistin, Sozialdemokratin und Mitglied des Abgeordnetenhauses. Und rechts mit Brille die vielleicht wichtigste Person im Saal: Eleanor Dulles.

„Dieser Bau ist Ihr Bau“ hatte Eynern zu ihr gesagt und das war mehr als eine Höflichkeitsfloskel für den Gast aus USA. Dulles – die Schwester von John Foster Dulles, Außenminister unter Eisenhower, und von Allen Welsh Dulles, dem CIA-Chef – hatte sich ihren Spitznamen als „Mutter von Berlin“ redlich erworben. Sie arbeitete seit dem Kriegseintritt der USA im State Department, dem US-Außenministerium, für das sie dann fast 20 Jahre tätig war, vor allem am „Berlin Desk“ in der Deutschland-Abteilung.

Eleanor Dulles Einsatz für Berlin ist bis heute sichtbar

Da war Eleanor Dulles, was man einen „Mover and Shaker“ nennt: Sie engagierte sich für einen Wiederaufbaus Deutschlands ohne Nazis – und auch ohne Kommunisten – und setzte Abermillionen von Dollar in Bewegung, die in Berlin dem Bau des Studentendorfs Schlachtensee, der Kongresshalle, später auch des Klinikums Steglitz und eben auch dem Ausbau der Freien Universität dienten. Darunter der Neubau des Otto-Suhr-Instituts, bei dem die Amerikaner in etwa die Hälfte der Baukosten trugen: 700.000 Dollar oder rund drei Millionen DM.

Als Dulles an diesem Morgen in der zweiten Reihe des Hörsaals saß, war sie schon ausgeschieden aus dem Staatsdienst, doch ihr Einsatz für Berlin überdauerte die offizielle Funktion. Und so darf man durchaus fragen, warum die Straße vor der Kongresshalle dem Außenminister John Foster Dulles gewidmet ist und nicht seiner Schwester.

Die beiden anderen US-Repräsentanten auf dem Foto hinterließen kaum Spuren in der Geschichte der FU, obwohl sie rings um den Mauerbau am 13. August 1961 im Zentrum des Geschehens standen: Allan Lightner von der US-Mission (zweite Reihe rechts außen) und – in Uniform – der amerikanische Stadtkommandant Generalmajor Albert Watson II.

Eine junge Frau stellt Bücher in Magazinschränke, vor ihr steht ein Bücherwagen.
Eine Bibliotheks-Mitarbeiterin im neuen Magazin des Otto-Suhr-Instituts.

© Reinhard Friedrich/FU Berlin, UA, Foto-S, RF/0106-06

Auch Watson richtete einige Worte an die Festversammlung, wahrscheinlich sogar auf Deutsch, und überreichte dem Institut die Edition „Auswärtige Beziehungen der Vereinigten Staaten“ in sechs Bänden und einen Stapel politisch-philosophischer Schriften des US-Präsidenten und Verfassers der Unabhängigkeitserklärung, Thomas Jefferson. Wahrscheinlich war Watson auch abends als Hausherr im Harnack-Haus dabei, das damals ja Offizierskasino der US-Streitkräfte war.

Vom NS-Propagandisten zum Bezirksbürgermeister

Noch einmal zurück zum Foto: Die Bildunterschrift erwähnt – vorne links – den Senator für Volksbildung, Joachim Tiburtius von der CDU, einen außerordentlich produktiven Schul-, Wissenschafts- und Kultursenator, der in der Nazizeit zur Bekennenden Kirche und damit zu den Nazi-Gegnern zählte. Anders in der Reihe hinter ihm der Bezirksbürgermeister von Zehlendorf, Willy Stiewe. Der CDU-Mann war früher Fotojournalist und gilt als führender Vertreter der NS-Fotopropaganda. In der Bildbetrachtung bleibt der Mann im dunklen Anzug unauffällig, in der Bildanalyse fällt er auf: Unter all den Gegnern des Nationalsozialismus im Saal war er eher eine Ausnahme: bestenfalls ein Mitläufer, der wie so viele erst spät zur Demokratie bekehrt wurde.

Am oberen Bildrand lässt sich links mit etwas Mühe eine Säule erkennen: Auf dieser Höhe war eine damals hochmoderne Trennwand installiert, mit der sich der Hörsaal in zwei Räume trennen ließ. Und ganz links oben fällt strahlend weiß das Tageslicht ein: Der Bau, vom Architekten Bruno Grimmek aus der Senatsbauverwaltung zusammen mit Werner Klenke entworfen, zeichnet sich durch lichtdurchflutete Hörsäle und bungalowähnliche Bibliotheksräume mit bodentiefen Fensterfronten aus.

Das damals populäre Wort von der „Demokratie als Bauherr“ – geprägt von dem Juristen, SPD-Politiker und Architekturkritiker Adolf Arndt – bewies sich im Otto-Suhr-Institut in Form und Inhalt.

Christian Walther

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