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Drohnenbild einer archäologischen Grabungsstätte in einer kargen afrikanischen Landschaft.

© Carlos Magnavita

Archäologie zur Geschichte Afrikas: Ein Palast unter dem Sand

Frankfurter Archäologen graben im Tschad nach der ersten islamischen Hauptstadt des Königreichs Kanem-Borno. Ein Beitrag zur Geschichte des Kontinents.

Das Land ist flach und leicht gewellt, hier und da stehen Bäume, die Sonne brennt, und der Boden ist ockergelb, soweit das Auge reicht. Kaum vorstellbar, dass hier einst Menschen siedelten. Doch der geschulte Blick des Archäologen nimmt kleine, unnatürliche Veränderungen wahr, flache Hügel könnten auf Besiedlung deuten.

Seit 2018 forschen Carlos Magnavita, Archäologe des Frobenius-Instituts für kulturanthropologische Studien der Goethe-Universität Frankfurt, und Dangbet Zakinet von der Université de N’Djamena im Tschad nach den Ursprüngen von Kanem-Borno, dem ältesten bekannten historischen Reich in Zentralafrika, das vom 8. bis zum 19. Jahrhundert existierte. Das Gebiet Kanem liegt östlich des Tschadsees, Borno westlich davon. Gerade die mittelalterlichen Anfänge sind bisher wissenschaftliches Niemandsland.

Das bisherige Bild von Kanem-Borno beruht auf Schriften des arabischen Historikers al-Ya’qubi aus dem 9. Jahrhundert, Ibn Saids aus dem 13. Jahrhundert und des bedeutenden Historikers und Politikers Ibn Chaldun (1332-1406). Er berichtet davon, dass dem Sultan der Hafsiden (im heutigen Tunesien) 1257 eine Giraffe durch „den König von Kanem und Herrscher von Bornu“ geschenkt wurde, was auf eine gewisse Bedeutung des Reiches schließen lässt.

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Bereits im 19. Jahrhundert hatte der Afrikaforscher Gustav Nachtigal 1870 im Auftrag des Königs von Preußen dem Sultan von Borno seine Aufwartung gemacht und Geschenke überreicht. Heinrich Barth hatte 1851 Kanem-Borno bereist und äußerst kritisch eine afrikanische Sklavenjagd beschrieben, deren Zeuge er geworden war. Durch diese Berichte war das älteste vorkoloniale Reich Zentralafrikas in Europa einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden.

Keine Moschee, aber doch ein repräsentatives Bauwerk

Bei einer Geländebegehung stießen die Archäologen jetzt auf mehrere Siedlungen, in deren Mitte unter einem flachen Hügel eine Hauptsiedlung vermutet wird. Im Rahmen einer ersten Grabung im November 2019 legte das deutsch-tschadische Team ein Gebäude mit den Maßen 16 mal 24 Meter frei, dessen Mauern aus gebrannten Ziegeln noch zur Hälfte standen.

Die Wissenschaftler waren wie elektrisiert, denn sie vermuteten zunächst, eine Moschee entdeckt zu haben. Es wäre die größte und älteste des Tschad gewesen, aber die Untersuchung der Funde und des Bauwerks bestätigten dies nicht.

Grabungsfenster in einem flachen Hügel, die Strukturen eines großes Gebäudes zeigen.
Das repräsentative Gebäude der Hauptstadt von Kanem-Borno wurde noch nicht vollständig ausgegraben.

© Carlos Magnavita

Dennoch muss es ein repräsentatives Gebäude gewesen sein, denn alle Innenräume waren mit Kalk verputzt. Das zeige den großen Einfluss Nordafrikas auf diese Region, erklärt Magnavita. Auch die zwölf Siedlungen um diesen Fundort namens Tié herum seien aus gebrannten Ziegeln gebaut, was auf Elite-Siedlungen deute. „Wir wissen, dass im Königreich von Kanem-Borno die Eliten ihre Siedlungen immer aus gebrannten Ziegeln errichtet hatten.“

Und noch etwas steht seit kurzem fest: Dieser große Bau, der entweder ein Palast oder ein Verwaltungszentrum war, ist nach neusten Untersuchungen zwischen dem 12. Und dem 13. Jahrhundert erbaut worden. „Es ist somit das älteste bekannte und am besten erhaltene Beispiel eines Prachtbaus westlich des Niltals im heutigen Sudan und östlich des Niger-Flusses in Nigeria“, sagt Carlos Magnavita.

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Die Region des Tschadsees als Wegkreuz

Dieser herausragende Fund bestärkt den Archäologen in seiner Vermutung, dass das Reich von Kanem-Borno eine bedeutendere Rolle im innerafrikanischen Handel gespielt haben muss als bisher vermutet. Deswegen ist sein Projekt über „die Tschadseeregion als Wegkreuz“ Teil des großen DFG-Projektes „Entangled Africa“, das das Deutsche Archäologische Institut 2018 angeregt hatte, um mit anderen deutschen Universitäten und afrikanischen Partnern Beziehungen zwischen einzelnen Regionen Afrikas zu erforschen, ohne immer den europäischen Blick von außen auf die Region zu werfen. Projektvideos im Blog des Deutschen Archäologischen Instituts finden Sie hier.

[Lesen Sie auch unseren Bericht über das DFG-Projekt "Entangled Africa": Auf der Suche nach der Geschichte Afrikas]

Deuten die verputzten Wände in den freigelegten Bauten der Wohlhabenden und der Mächtigen auf nordafrikanische Einflüsse, so zeigen Kleinfunde, die bei dem Survey (Geländebegehung) in der Region gemacht wurden, darüber hinaus auf weiterreichende Beziehungen. „Wir haben Glasperlen, Kupferobjekte und Eisennägel entdeckt, die Importwaren von der Ostküste Afrikas sind. Die Perlen stammen wahrscheinlich vom Indischen Ozean, das wird gerade in Laboren in den USA untersucht, Corona verzögert leider die Untersuchungen“, sagt Magnavita.

Ein Stück Gold aus Nubien?

Ein Stück Gold, das man in dem großen Gebäude gefunden habe, stamme vielleicht aus Nubien. Gerade werde ein Pünktchen Gold mit Hilfe eines Lasers in einem Labor in Mainz verdampft, um die chemische Zusammensetzung und damit die Herkunft genau zu ermitteln. Zudem haben die Wissenschaftler mindestens drei Glasperlen gefunden, die nachweislich aus Nigeria stammt. Diese Art von Perlen sei im Yoruba-Raum Westafrikas sehr bekannt gewesen, was auf Handelsbeziehungen hindeute.

Eine Landkarte von Zentralafrika, in der der Tschadsee und die Gebiete Kanem und Borno eingezeichnet sind.
Die Lage des ehemaligen Königreichs von Kanem-Borno in der Region des Tschadsees.

© Projekt/Tschadseeregion als Wegkreuz

Es sind keine spektakulären Funde im materiellen Sinne, aber ihre Herkunft gibt den Archäologen wertvolle Informationen über die Verbindungen, die die Menschen von Kanem-Borno Richtung Westafrika, Nil und Sudan sowie nach Norden hatten. Damit wäre Kanem-Borno ein bedeutender Knotenpunkt im innerafrikanischen Verkehr zwischen Westafrika und Sudan und dem Niltal gewesen.

Die Mehrheit der Menschen der Region waren Bauern, die vom Fischfang und der Salzgewinnung aus dem Salzsee lebten. Mit Speisesalz wurde vor 1000 Jahren ein schwunghafter Handel getrieben. Auch mit Sklaven handelte man, sie wurden in verschiedenen Gebieten rund um den See gefangen genommen und nach Nordafrika verkauft.

Erste archäologische Quellen zu Kanem-Borno

Arabische Quellen belegen diesen Handel seit dem 9. Jahrhundert. Für all das, was wir über Kanem-Borno wissen, hat man bisher nur auf schriftliche Quellen als Beweis zurückgreifen können, archäologische Quellen werden nun erstmals mit diesem Projekt geliefert.

Die Landschaft habe vor 1000 Jahren nicht viel anders ausgesehen als heute, sagt Magnavita, die Menschen hätten dort versucht, sich mit den schlechten Bedingungen zu arrangieren. Daher muss man auch die Dimensionen der Ergebnisse ins rechte Licht rücken.

Wenn Magnavita sich nun ziemlich sicher sein kann, dass er mit Tié die erste islamische Haupstadt Njimi und damit erste Hinweise auf die Anfänge von Kanem-Borno gefunden hat, so muss man doch eher von einem Verwaltungsort oder Herrschaftssitz und nicht von einer Metropole wie etwa in Mesopotamien reden.

Das Reich ist möglicherweise im 8. oder 9. Jahrhundert entstanden, und es gab vermutlich ebenfalls eine noch frühere „Hauptstadt“ oder Verwaltungsort namens Manan in der Region. Die erste Nennung dieses Ortes in den Quellen stammt aus dem 10. Jahrhundert. Der Ort gehörte einer früheren, nicht-islamischen königlichen Dynastie.

Seine Lage in Kanem ist ebenfalls nicht bekannt, aber das Projekt hat erste Hinweise, wo es gewesen sein könnte, geliefert. Tié bestand aus kleinen Elite-Gehöften mit einem paar dutzend Menschen, die inmitten einer Landschaft von zerstreuten kleinen Dörfern mit ein paar hundert Bauern eingebettet waren. Von einer Urbanisierung des Reichs kann erst mit der Gründung von Birni Gazargamo im 15. Jahrhundert, westlich des Sees in Borno, die Rede sein.

Die Erzählungen der Alten

Die Hauptstadt von Kanem-Borno muss eine wandernde gewesen sein. „Der König musste reisen, um seine Ansprüche durchzusetzen und das Reich zusammenzuhalten. Vielleicht haben wir mit diesem Ort eine von diesen temporären Hauptstädten gefunden“, sagt Magnavita. Ein Verfahren, das auch aus dem frühen Deutschen Reich bekannt ist: Der deutsche Kaiser reiste von Kaiserpfalz zu Kaiserpfalz, um seine Herrschaft zu legitimieren.

Von Seiten des Tschad versucht man, durch Oral History die mündliche Überlieferung in den Dörfern zu sammeln und dabie zu ergründen, ob in den Erzählungen der Alten noch Informationen über das Volk der Kanembu, die vor 700 Jahren die Region bewohnten, zu gewinnen sind.

Vier Jahre haben Carlos Magnavita und seine Mitarbeiter und Kollegen noch Zeit, ihre Forschungen fortzusetzen. Diese Forschungen haben in den letzten beiden Jahren vielversprechende Ergebnisse gebracht – trotz Corona, das weitere Reisen im Moment verhindert. Um das Gebäude genauer zu erforschen, bräuchte man jeoch mehr Mittel – unter anderem für Arbeitskräfte bei den Grabungen. Das teilweise ausgegrabene große Bauwerk wurde jetzt mit Planen bedeckt, um es vor dem Verfall zu schützen.

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