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© - Foto: dpa

Archäologie: Sie schlugen sich mit Holzkeulen die Köpfe ein

Am mecklenburgischen Flüsschen Tollense bergen Archäologen erstmals in Mitteleuropa ein Schlachtfeld der Bronzezeit.

„Hier könnte der Mann einen Schlag abbekommen haben.“ Detlef Jantzen vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern untersucht einen dunkelbraun verfärbten, über 3000 Jahre alten Schädel. Ein Taucher hat ihn gerade aus dem Flüsschen Tollense geborgen. Jantzen weist auf einen kleinen schwarzen Riss fünf Zentimeter oberhalb des linken Auges.

Die Tollense fließt hier, nördlich von Altentreptow (Kreis Demmin), rasch und kurvenreich durch ein weites Tal. Weideland mit Kuhherden streckt sich bis zum Wald am Hang der eiszeitlichen Abflussrinne. Auf der Wiese stapeln sich Grassoden, stehen Plastikkisten, liegen Messlatten und Zeichenbretter. Archäologen, Studenten und Ehrenamtliche zeichnen, messen, tüten ein. Jantzen steht an einer säuberlich gestochenen Grube, drei mal vier Meter weit, 1,50 Meter tief. Auf ihrem Grund stecken zweihundert Menschenknochen zwischen Holzresten im Torf, darunter ganz kleine wie von einem Fötus – und ein Pferdehuf.

2000 Knochen fand man bisher an der Tollense. Mehrere zeigen Spuren von Gewalteinwirkung, darunter ein brutal eingeschlagener Schädel. Zwei Drittel der Toten waren junge Männer, meist unter 30 Jahre alt wie auch die beteiligten Frauen. Jugendliche und Männer über 40 gibt es deutlich weniger. Die Knochen zeugen von vielfachem Tod am Fluss. Zum ersten Mal haben Archäologen in Mitteleuropa ein Schlachtfeld der Bronzezeit entdeckt, vermutlich aus der Zeit um 1250 vor Christus. Auch die zahlreichen Pferdeknochen weisen auf eine Kampfsituation.

Verschiedene Umstände kamen zusammen, damit dieser einzigartige Fundplatz heute erforscht werden kann. Der ansteigende Meeresspiegel der Ostsee hob seit der Bronzezeit das Grundwasser im Tollensetal. Dadurch entstand ein Moor, in dem die Knochen gut konserviert wurden. In Sand oder Lehm wären sie längst vergangen. Der Fluss verlagerte sich seitdem wenig im Tal. So blieben die Gebeine gut im Torf versteckt.

Entdeckt hat sie schließlich Ronald Borgwardt aus Burow, seit seiner Kindheit Archäologiefan und heute ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger. 1996 sah er erste Knochen an einer Kuhtränke aus der Uferböschung ragen. Und glaubte an Tote aus dem Zweiten Weltkrieg. Bis ihm eine Pfeilspitze aus Feuerstein in einem der Knochen auffiel. „Der Pfeil“, erklärt Jantzen, „hat den Oberarm von hinten und schräg unten getroffen. Der Getroffene war womöglich ein Reiter.“

Die Flintspitze mobilisierte die Archäologen und löste eine erste Probegrabung aus. Seitdem haben Forschungstaucher kilometerweit verteilt weitere Fundkonzentrationen unter Wasser entdeckt. Erst 2008 aber wurde die Erschließung der Fundstätte in Angriff genommen, in diesem Jahr haben die Archäologen das Grabungsfeld systematisch eingegrenzt. An Land wurden in schmalen Suchgräben vor allem dicht am Ufer Knochen geborgen. Sie lassen sich etwa 90 Individuen zuordnen. Dabei wurden erst fünf Prozent der möglichen Grabungsfläche geöffnet. Ab 2010 wollen die Archäologen, wenn die Finanzierung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft steht, fünf Jahre lang das Schlachtfeld und sein Umfeld erforschen.

„Wir wissen noch nicht, wie die Leichen in den Fluss gerieten“, sagt Thomas Terberger, Archäologe an der Universität Greifswald und Projektleiter neben Detlef Jantzen. Vielleicht warf man sie zur Entsorgung hinein. Einige zerfielen wohl, andere wurden durch Hochwasser wieder an Land geschwemmt. „Möglicherweise gab es aber auch keinen zentralen Kampfort, sondern eher eine Fluchtsituation, wodurch sich die Toten so weit verteilten“, vermutet Terberger.

Nicht nur vom Tod, auch vom Leben in der Bronzezeit erzählen die Knochen im Tal. Erstmals können so viele Individuen anthropologisch untersucht werden, die gleichzeitig gelebt haben. Die getestete DNA ist so gut erhalten, dass Ruth Bollongino (Universität Mainz) hofft, Verwandtschaftsgrade oder Teilnehmergruppen der Tollenseschlacht herauslesen zu können. Aussagen über Ernährung und Gesundheit werden möglich. Durch Isotopenanalysen der Zähne könnte man außerdem erkennen, wo die Beteiligten aufgewachsen sind. Und damit überregionale Aspekte des Waffenganges aufdecken.

Die Archäologen sind sich jedoch sicher: Der Fundplatz bei Altentreptow wird unser Bild von der Bronzezeit verändern. Aus den Funden in Gräbern und Horten, in denen Waffen und Schmuck oft aus rituellen Gründen vergraben wurden, schloss man bisher auf schwer gewappnete Krieger mit Speer, Streitaxt, Dolch oder Schwert. „Hier finden wir die Waffen, die jeder herstellen konnte“, berichtet Terberger, „Pfeil und Bogen wurden unterschätzt und waren sicher eine wichtige Distanzwaffe. Und Holzknüppel für den Nahkampf. Es sieht so aus, als sei man hier mit einfachsten, aber hocheffektiven Waffen aufeinander losgegangen.“ Auch die gefundenen Verletzungen weisen auf Pfeilschüsse und Schlagwaffen. Die dazugehörigen Holzkeulen wurden jetzt zum ersten Mal entdeckt. Sie sehen aus wie Baseball- oder Kricketschläger.

Bronzewaffen konnten sich wohl nur sehr wenige Elitekrieger leisten, und sie spielten bei Feldzügen eher eine geringere Rolle. Falls im Tollensetal eingesetzt, wurden die teuren Stücke vermutlich abgesammelt. Auch von Fibeln, Knöpfen oder Gürtelscheiben an der Kleidung fehlt bisher jede Spur, als seien die Leichen gründlich gefleddert worden. Merkwürdig auch, dass so viele Tote gar nicht beerdigt wurden. Hatten die Sieger nach der Schlacht kein Interesse mehr am Tollensetal? Gab es auf der Verliererseite niemanden, der sich um die Toten kümmern konnte? War die lokale Bevölkerung überhaupt involviert?

Wer im 13. Jahrhundert vor Christus im oder am Tollensetal gelebt hat, ist noch unbekannt, weil die Archäologie hier im Norden lange die Siedlungsforschung vernachlässigte. Daher weiß man sehr wenig vom Leben auf dem Lande: Lebten die Bronzezeitleute in Einzelgehöften, in Weilern oder Dörfern? Vom Ackerbau oder eher von der Viehzucht? Immerhin fanden sich jetzt im Tollensetorf Roggenpollen als allererste Siedlungsanzeiger.

Bei einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von vier bis fünf Menschen pro Quadratkilometer glaubt auch Jantzen nicht an eine Dorfprügelei oder einen Streit zwischen Familienclans. „Vielleicht ging es um Ressourcen, etwa um Salz. Vielleicht war die Tollense ein Grenzfluss und hier eine Furt, die jemand kontrollieren wollte.“

Der Schlüssel zum Konflikt könnte aber in der Tatsache liegen, dass die Tollense selbst als Transportweg diente, sagen die Archäologen. Handel und Handwerk nahmen sichtbar Aufschwung in der Bronzezeit. Die Wohlhabenden im Norden saßen nicht auf den reichen Lößböden Mitteldeutschlands, konnten kein Kupfer schürfen wie die Zeitgenossen in den Alpen. Aber auch sie wollten die Bronzeaxt schwingen, Schwert, Schmuck und Pferdegeschirr nutzen. Und sie wussten sich das begehrte Metall zu beschaffen, wie die Grabbeigaben belegen. Gründe genug für handfesten Streit.

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