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Wankender Gigant. 18 Personen und drei Seile lenken eine tonnenschwere Nachbildung einer Maoi-Skulptur über einen Weg auf Hawaii.

© Carl Lipo

Archäologie: Osterinsel-Kolosse auf Wanderschaft

Ein amerikanischer Wissenschaftler hat eine Theorie vorgestellt, wie die tonnenschweren Statuen über die Insel geschafft wurden: Die Giganten wurden an langen Seilen geführt, glaubt er. Doch nicht alle Forscher teilen seine Ansichten.

Carl Lipo versteht es, seine Forschungsergebnisse in Szene zu setzen. Vor fünf Monaten hat das Fachblatt „Nature“ ein Video des US-Anthropologen auf Youtube eingestellt. Nach 11 Tagen zählte das Filmchen bereits 100 000 Aufrufe, inzwischen sind es rund 300 000.

Die 1:47 Minuten lange Sequenz ist in der Tat faszinierend: Sie zeigt eine riesige Steinfigur, die langsam einen leicht abschüssigen Schotterweg entlanghumpelt. Lipos Mitarbeiter haben an ihrem Kopf Seile befestigt, mit denen sie die Statue unter rhythmischen Rufen hin und her schaukeln. Eine andere Gruppe verhindert derweil mit einem dritten Seil, dass der Koloss auf den Bauch fällt.

Vorwärts wackeln wie ein Kühlschrank

Die Figur, die dort über den Boden Hawaiis wandert, ist die maßstabsgerechte Nachbildung eines Moai. So heißen die berühmten Steinfiguren auf der Osterinsel, rund 3500 Kilometer vor der chilenischen Küste. Mehr als vier Tonnen wiegt die Replik, und sie soll einer These Gewicht verleihen, mit der Lipo und seine Kollegen inzwischen weltweit Aufsehen erregen. Die Moai seien nicht liegend transportiert worden, sondern aufrecht stehend. Ganz ähnlich, wie man bei einem Umzug den Kühlschrank an die richtige Stelle der Küche ruckelt.

Die Moai bestehen aus vulkanischem Tuffgestein. Die Einwohner von Rapa Nui, so lautet der polynesische Name der Osterinsel, stellten sie in einem Krater im Südosten der Insel her. Sie arbeiteten die Figuren mit scharfen Basaltbeilen aus dem weichen Tuff heraus. Zwischen 1000 und 1500 nach Christus entstanden auf Rapa Nui so etwa 900 Statuen. Nach Fertigstellung brachten die Insulaner die Kolosse oft über etliche Kilometer bis zu ihrem endgültigen Ziel.

Wie sie das schafften, ist bis heute ein Rätsel. Die Figuren waren bis zu 10 Meter hoch, die schwersten wogen mehr als 80 Tonnen. Vielleicht ist die Lösung tatsächlich so einfach, wie Carl Lipo sie in seinem Youtube-Video zeigt. Die Argumente, die er zusammen mit seinen Kollegen Terry Hunt und Sergio Rapu Haoa im „Journal of Archeological Science“ vorlegt, klingen plausibel.

Auf der Osterinsel gibt es ein prähistorisches Wegenetz, das vermutlich dem Transport der steinernen Riesen diente. Entlang dieser Wege finden sich mehr als 60 Statuen. Lipo vermutet, dass sie beim Transport gestürzt waren und nicht mehr aufgerichtet werden konnten. Man habe sie zurücklassen müssen.

Diese gestürzten Kolosse weisen Lipo zufolge allesamt eine Besonderheit auf, die der Wissenschaft bislang augenscheinlich entgangen ist: Sie hatten eine schiefe Basis. Dadurch lehnten sie stark nach vorne. Sie konnten also nicht ohne Hilfe stehen und wären auf ihre charakteristische Nase gefallen. Am Ziel wurde diese Basis augenscheinlich so bearbeitet, dass sie nun flach war. Erst danach konnten die Inselbewohner die Kolosse auf Steinplattformen, den Ahu, aufstellen, ohne dass die Moai kippten.

Lipos Transportidee funktioniert nur aufgrund dieses kleinen Unterschieds zwischen Transport- und endgültiger Form. Denn durch die vorgebeugte Haltung der Moai war es ein Einfaches, die Figuren auf der Kante zwischen Basis und Bauch hin- und herzuschaukeln. Genauso, als würde man den Kühlschrank schräg stellen, um ihn leichter durch die Küche ruckeln zu können. Die Reibung zwischen Figur und Weg sei so minimiert worden, vermuten die Forscher. Anders als ein Kühlschrank waren die Steinbildnisse zudem nicht eckig, sondern hatten einen runden Bauch. Die Kante, auf der sie lehnten, war also wie die Kufe eines Schaukelstuhls geformt. Das habe es noch leichter gemacht, die Statuen hin- und herzuschaukeln.

Schon Thor Heyerdahl hatte eine ähnliche Idee

Für diese Theorie sprechen auch mündliche Überlieferungen der Insulaner, nach denen die Moai laufen konnten. Lipo und seine Kollegen waren allerdings nicht die Ersten, die den Steinfiguren den aufrechten Gang beibringen wollten. Der norwegische Anthropologe Thor Heyerdahl war Ende der 1980er Jahre auf eine ähnliche Idee verfallen. Er hatte seine Versuche jedoch nicht mit Lipos „Transport-Form“ der Statue durchgeführt. Entsprechend durchwachsen war der Erfolg.

Mit der Transport-Form hätte es dagegen tatsächlich funktionieren können, sind Lipo und seine Kollegen überzeugt. Ihre Experimente mit der Moai-Nachbildung auf Hawaii belegen das anscheinend. Manche Kenner der Materie sehen das jedoch anders. „Für die Theorie spricht nicht mehr als für viele andere Hypothesen, weil echte Beweise für Lipos Annahmen einfach fehlen“, sagt etwa Andreas Mieth von der Universität Kiel, der seit vielen Jahren auf der Osterinsel forscht. Dass das Experiment im Yotube-Film mit einer Betonfigur durchgeführt wurde, hält Mieth für einen methodischen Schnitzer. Das Material der Originale sei wesentlich fragiler.

Noch deutlicher wird Gerardo Velasco, Ingenieur und ehemaliger Direktor des Verbandes für Wirtschaftsförderung auf Rapa Nui. „Die Studie von Lipo und seinen Kollegen ist fast eine Beleidigung für den gesunden Menschenverstand“, sagt er. „Wenn Sie einen 10-Tonnen-Moai aus weichem vulkanischem Tuff über eine Distanz von zehn Kilometern oder mehr wandern lassen, kommt am Ziel nur noch der halbe Körper an. Für Einheimische ist diese Vorstellung geradezu lächerlich.“

Moai-Stauen auf der Osterinsel.
Moai-Stauen auf der Osterinsel.

© REUTERS

Der Kieler Experte Mieth stört sich an dem großen Bild, das die Anthropologen von der Geschichte des kleinen Eilands zeichnen. Lipos Moai-Studie bildet darin nur einen Mosaikstein, allerdings einen wichtigen. Als die ersten Polynesier um das Jahr 800 in Rapa Nui landeten, war die Insel von Palmenwäldern bedeckt. Zwischen 1250 und 1550 verschwanden sie nahezu komplett. Manche Wissenschaftler vermuten, dass der Statuenkult die Ursache war. Zum Transport der Riesen sei jede Menge Holz nötig gewesen. Für hölzerne Schlitten oder für Rollen, auf die sie gelegt wurden.

Carl Lipo und seine Kollegen bezweifeln das. Für den Transport der Moai habe man lediglich Seile gebraucht, Bäume dagegen nur wenige. Der Vegetationswandel ist aus ihrer Sicht nur zum Teil auf die menschliche Nutzung der Inselressourcen zurückzuführen. Zwar hätten die Insulaner den Wald damals gerodet, um Ackerflächen zu gewinnen. Ebenso schuldig seien aber die von ihnen mitgebrachten Ratten gewesen. Diese hätten die Nüsse der Palmen gefressen und so ein Nachwachsen verhindert.

Der Ökosystemforscher Mieth hält das für Unsinn. „Es gibt keine Hinweise, dass Ratten zum Untergang des Waldes beitrugen“, sagt er. „Nach unseren Ergebnissen ist der Mensch verantwortlich.“

Die Frage nach dem Schuldigen ist auch deshalb brisant, weil die Osterinsel lange Zeit als Paradebeispiel für einen menschgemachten ökologischen Gau diente. So lebten auf dem abgelegenen Eiland einst wohl mehrere tausend Menschen. 1877 waren es nach einer amtlichen Zählung nur noch 110. Dass der Raubbau der Polynesier an der Natur dafür verantwortlich war, bezweifeln heute jedoch viele Wissenschaftler. So auch Andreas Mieth: „Inzwischen steht fest, dass es nach dem Verschwinden der Wälder nicht zum Kollaps der Osterinsel-Kultur kam“, betont er. „Die Lebensbedingungen sind vielleicht härter geworden, die Bewohner haben sich daran jedoch durch neue Anbaumethoden angepasst.“

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