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Eine Siedlung aus frisch sanierten mehrstöckigen Wohnhäusern in Lehmbauweise.

© Yahya Arhab/picture-alliance/dpa

Archäologie in Krisenregionen: „Wir bereiten uns auf den Tag X vor“

"Die politischen Krisen in unserem Arbeitsgebiet sind unsere größte Herausforderung", sagt Margarete van Ess, Deutschlands neue Chefarchäologin für den Orient.

Margarete van Ess ist Archäologin und neue Direktorin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin. Seit 1982 arbeitet sie kontinuierlich mit oder im Irak. Aktuell setzt sie sich unter anderem für die Rettung historischer Gebäude in Hafenviertel von Beirut ein. Das Gespräch mit ihr führte Rolf Brockschmidt.

Frau van Ess, seit dem 1. Dezember sind Sie in Nachfolge von Ricardo Eichmann Direktorin der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in Ihrem Amt?
Die neuen Herausforderungen sind die alten, die politischen Krisen in unserem Arbeitsgebiet sind unsere größte Herausforderung und sie werden uns auch weiterhin beschäftigen. Die Orient-Abteilung ist dafür aber gut aufgestellt. Ich selbst arbeite seit 1982 kontinuierlich mit oder im Irak. Eine große Herausforderung ist die Digitalisierung unserer großen Datenbestände, die wir als Nachfolger der viel älteren Institute in Bagdad, Damaskus und Sanaa weiterführen.

Wir verfügen über große Bestände an kulturgeschichtlichen Unterlagen. Diese zu erschließen und unseren Partnern in den Ländern zur Verfügung zu stellen, wird immer wichtiger und entspricht auch der Bitte des Wissenschaftsrates.

Sie waren seit der Gründung der Orient-Abteilung 1996 als wissenschaftliche Direktorin dabei. Welche neuen Akzente wollen Sie nun als neue Direktorin setzen?
Es sind weniger neue persönliche Akzente als vielmehr der Wunsch nach einem noch stärkeren Zusammenwachsen der Außenstellen in Bagdad, Damaskus und Sanaa mit Berlin und einer stärkeren Vernetzung nach außen. Wir werden gezielter an gemeinsamen Forschungsfragen arbeiten und noch stärker an die Öffentlichkeit gehen, mit Konferenzen, Ausstellungsbeteiligungen und Kooperationen mit lokalen Museen. Das müssen wir vor allem in den Gastländern noch ausweiten, denn das DAI ist Teil der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik des Auswärtigen Amtes.

Ein Porträtbild von Margarete van Ess.
Margarete van Ess, Direktorin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts.

© Jakob Krüger/DAI

Schon mit Blick auf die zuständigen Ministerien und Behörden würden wir gerne vor Ort stärker sichtbar werden und die wissenschaftliche Präsentation, aber auch den kulturpolitischen Dialog und vor allem die Zusammenarbeit mit lokalen engagierten Personen und NGOs verstärken, wie das schon in Baalbek (Libanon), Gadara (Jordanien) und in Äthiopien geschieht. Das Interesse in der dortigen Bevölkerung an unserer Arbeit ist groß.

Mit den Außenstellen Bagdad, Damaskus und Sanaa arbeiten Sie in den Krisenregionen des Mittleren Ostens. Die deutschen Mitarbeiter sind abgezogen und arbeiten von Berlin aus. Wie kann man überhaupt dort heute archäologische Forschung betreiben?
Die archäologische Arbeit des DAI ist einerseits die Feldforschung, andererseits die Aufarbeitung der Daten und der Kulturerhalt. Diesen Aspekt möchte ich in Zukunft von vorneherein mitdenken. Welchen Effekt hat unsere Arbeit in der Region und für die Menschen? Daher sind die interne Vernetzung, die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern und Handwerkern sowie die Kooperation mit den Freunden vor Ort so wichtig. An unseren Forschungsthemen arbeiten wir aber auch in stabilen Ländern wie Jordanien oder auf der Arabischen Halbinsel.

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Wie ist die Situation in Bagdad?
Die Lage in Bagdad kann sich gut entwickeln, wir haben einen neuen Minister und einen neuen Präsidenten der Antikenverwaltung, sodass wir jenseits von Corona gute Forschungsbedingungen vorfinden. Wir denken darüber nach, unsere Außenstelle wieder hochzufahren.

[Lesen Sie auch Rolf Brockschmidts Bericht über aktuelle Ausgrabungen in Mossul/Ninive: Heilsbotschaft aus dem alten Orient]

Wie ist die Lage in Sanaa?
Die Entwicklung in Sanaa ist kaum absehbar, aber auch hier hoffen wir, eines Tages wieder arbeiten zu können. Alle drei Außenstellen sind ja nicht geschlossen. Im Jemen bereiten wir uns auf den Tag X vor und Iris Gerlach als Leiterin von Sanaa ist in Sachen Kulturerhalt von Berlin aus sehr aktiv.

Wie ist die Lage in Damaskus?
Die politische Entwicklung in Damaskus ist schwer einzuschätzen, aber auch hier arbeiten die lokalen Kräfte weiter.

Seit Neuestem helfen Sie auch bei der Planung des Wiederaufbaus historisch wertvoller Häuser, die bei den verheerenden Explosionen im Hafen von Beirut zerstört wurden. Wie entwickelt sich diese Arbeit?
Die von uns beauftragten libanesischen Architekten sind mehr als beschäftigt. Das nimmt alles eine positive Entwicklung, die Dächer werden repariert und winterfest gemacht, es passiert sehr viel, aber es muss noch mehr geschehen. Es geht jetzt vor allem darum, im nächsten Schritt über die Restaurierungspläne für die historischen Gebäude zu sprechen.

[Bericht über die Fotosammlung des Syrian Heritage Archive Project: Blicke ins Bienenkorbdorf und in die Aleppiner Häuser]

Gibt es Pläne für eine bessere Sichtbarkeit der Orient-Abteilung des DAI in Berlin, etwa durch eine verstärkte Zusammenarbeit des DAI mit dem Vorderasiatischen Museum oder dem Museum für Islamische Kunst?
Das tun wir schon, wenn es möglich ist, denken Sie an „Roads of Arabia“, „Uruk“ oder die Zusammenarbeit mit dem Museum für Islamische Kunst im Syrian Heritage Archive Project. Ich bin mit der Direktorin des Vorderasiatischen Museums und dem Direktor des Museums für Islamische Kunst in ständigem Kontakt. Unser Schwerpunkt ist zwar das Ausland, aber wir wünschen uns in Berlin mal einen schönen Ausstellungsraum, denn meistens ist es das Platzproblem, das Projekten im Wege steht.

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