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Wenn zwei gleich Starke dasselbe Stück Asphalt wollen, kracht es. Beim Großen Preis von Mexiko 2017 hatte Sebastian Vettel das Nachsehen hinter Lewis Hamilton.

© Yuri Cortez/AFP

Arbeitspsychologie: Siege sind gut, Crashs sind lehrreicher

Die Formel 1 als Labor: Berliner Soziologen schauen Autorennen und meinen nun zu wissen, was Manager von Kollisionen lernen können.

Es ist eine Weile her, dass Sebastian Vettel Formel-1-Weltmeister war. Dass es auch 2017 nicht geklappt hat, entschied sich beim Großen Preis von Mexiko. Da krachte es zwischen ihm und Hauptkonkurrent Lewis Hamilton. Beide mussten an die Box, Hamilton holte danach besser auf – und war Champion. Ob das dem Deutschen eine Lehre war, man weiß es nicht. Es könnte aber, wenn man Matthew Bothner von der „European School of Management and Technology“ in Berlin und seinen Kollegen glaubt, eine Lehre für ziemlich viele Leute sein. Sie schreiben darüber im Magazin „PNAS“.

Fernsehen und Einsehen

Die Forscher haben die Formel 1 für sich als eine Art offenes Buch zu den Themen Wettstreit, Konflikt und dessen Eskalation bis ins Zerstörerische entdeckt. Die maximale Eskalation heißt Crash. Und „crashen“ kann es eben auch zwischen Kollegen oder Managern in einer Firma oder Organisation. Wenn man wüsste, unter welchen Voraussetzungen sich im Verhältnis zwischen Einzelpersonen ein Konflikt am ehesten derart gefährlich und wahrscheinlich auch kontraproduktiv aufschaukelt, könnte man solchen Situationen vielleicht auch vorbeugen.

Konfliktforscher kümmern sich schon lange um dieses Thema. Es gibt jede Menge Theorien und Fachartikel, auch Experimente mit Probanden werden immer wieder gemacht. Die müssen dann in simulierten Konfliktsituationen gegenüber simulierenden Konkurrenten Entscheidungen treffen – meist, indem sie am Computer irgendetwas klicken. Das klingt nicht sehr praxisnah. Tatsächlich fehlten Möglichkeiten, um die Theorien unter einigermaßen klar definierten Bedingungen, aber auch realitätsnah zu testen, bislang weitgehend.

Wer sich sicher fühlt, baut eher einen Unfall

Auf dem Asphalt von Hockenheim und Co., auf dem Menschen wie die „Trottel mit den anderen im Kreis fahren“ (Niki Lauda), glaubt Bothner diese Bedingungen nun gefunden zu haben. „Für uns ist die Formel 1 ein exzellentes Labor, um Effekte von Status-Ungewissheit zu testen“, sagt der Soziologe. Eine wenig überraschende Theorie besagt jedenfalls, dass es vor allem dann zu Konflikten kommt, wenn unklar ist, wer der Boss ist – wenn also Ungewissheit bezüglich des sozialen Status der Beteiligten herrscht. Und tatsächlich kann jeder, der ab und an einmal beim Kreisefahren zuschaut, sehen, dass ein Unfall zwischen Top-Fahrern und solchen, die nie in die Punkteränge kommen, fast nie vorkommt.

Dass bei der Analyse von 732 Formel-1-Rennen zwischen 1970 und 2014 herauskam, dass es eher zwischen etwa gleich starken Fahrern krachte, überrascht dann auch nicht. Zusätzlich auffällig war aber, dass Unfälle mit zwei Beteiligten besonders häufig vorkamen, wenn die Fahrer annähernd gleich alt waren. Und Crashs häuften sich auch, wenn außer der ungelösten Statusfrage die sonstigen Rahmenbedingungen stabil waren und die Fahrer sich sicher fühlten. Sogar gutes Wetter erwies sich als crashfördernd. Zudem kamen Kollisionen – obwohl auch diejenigen, die nie als Erste die karierte Flagge sehen, schnell sind – sehr gehäuft zwischen zwei Top-Fahrern vor.

Das Muster erscheint klar: Es scheppert eher zwischen den Alpha-Tieren und zwischen Gleichaltrigen. Und wenn rundherum alles stimmt, ist das auch hilfreich. Denn so kann man sich voll auf den Hahnenkampf konzentrieren.

Vorausschauende Selbstdisziplin

Ob das alles etwa in einer Projektgruppe, in der zwei jeweilige Teamleiter plötzlich an einem Tisch sitzen, genauso abläuft, ist natürlich nicht ausgemacht. Und was vielleicht bei Fahrerinnen und Managerinnen anders liefe, wäre auch anhand von noch mehr Rennen der zu 100 Prozent männlichen Formel 1 nicht zu ermitteln gewesen. Aber Bothner leitet aus seinen Ergebnissen eines ab: Jenseits des reinen Status hänge die Wahrscheinlichkeit der Eskalation von Konflikten maßgeblich auch von solch subtileren Faktoren ab. Und wer sich darüber vorab im Klaren sei, könne solche destruktiven Konflikte vielleicht auch von vornherein vermeiden: „Es kann jedenfalls wichtig sein, in Situationen mit unklarem Status und möglichem Konkurrenzkampf um Einfluss sozusagen vorausschauend selbstdiszipliniert hineinzugehen, um karrieregefährdende Kämpfe zu vermeiden.“

Ignorieren statt reparieren

Der Konflikt kann aber trotzdem ausbrechen, etwa weil der Gegenüber Bothners Formel-1-Studie nicht kennt und es deshalb an jener Selbstdisziplin mangeln lässt. Dann gebe es einen Plan B, sagt der Soziologe. Der heiße „Gutartige Missachtung“: Man ignoriert die Aufforderung zum Kampf schlicht und konzentriert sich auf die inhaltliche Arbeit.

Möglicherweise gilt das auch in der Formel 1. Ob unfallfreies Im-Kreis-Fahren eher auf dem Podest endet als Frontflügel-Verlust oder geschlitzte Reifen, sollte jedenfalls dringend einmal untersucht werden.

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