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Süßes oder Saures? Der Naschdrang wird von einem Hormon aus der Leber reguliert, das auch als Medikament taugen könnte.

© Africa Studio, Fotolia

Appetit auf Zuckriges: Der programmierte Jieper auf Süßes

Die einen mögen’s salzig, die anderen mit extra viel Zucker. Ein Hormon der Leber ist offenbar verantwortlich für die Regulation des Naschdrangs.

Zum Frühstück Tee mit zwei Löffeln Zucker, dazu Marmelade und Haselnussmus. Zum Mittagessen Eierkuchen mit Zimt und Zucker. Und am Abend eine große Cola. Wer in diesem Speiseplan sein Essverhalten wiedererkennt, darf sich getrost ein Süßmaul nennen. Die Entscheidung, statt zur Essiggurke zum Erdbeerkuchen zu greifen, wird neueren Forschungsergebnissen nach allerdings weniger auf der Zunge als in der Leber gefällt. Ein Hormon, FGF21, das von dem Organ ausgeschüttet wird, reguliert, wie sehr ein Mensch Süßes gegenüber Saurem oder Salzigem bevorzugt. Die Faustformel lautet: Je mehr des Hormons ein Mensch produzieren kann, um so weniger Appetit hat er auf Zuckriges.

Süßes im Kopf

„Wie entscheiden wir, was und wie viel wir essen?“ Diese Frage versucht die Forschergruppe von Matthew Gillum von der Universität Kopenhagen zu beantworten. 2015 entdeckte Gillum zusammen mit anderen Forschern, dass Mäuse ganz wild auf zuckriges Futter wurden, wenn ihnen die Erbinformation für die Herstellung des FGF21-Hormons fehlte. Mäuse mit einer Extraportion des Hormons hingegen verschmähten Süßes. Ähnliches beobachteten Forscher der Universität Texas ein Jahr später bei Affen.

Um herauszufinden, ob das Hormon auch beim Menschen den Jieper auf Süßes kontrolliert, durchstöberte Gillum mit seinem Kollegen Niels Grarup Daten über 6500 Dänen, die an der Studie „Inter99“ teilgenommen hatten, die den Zusammenhang zwischen Lebensstil und Stoffwechselerkrankungen untersuchte. Die Teilnehmer protokollierten dabei ihren Speiseplan und die Forscher bestimmten ihre Cholesterin- und Blutzuckerkonzentration. Aus den Blutproben konnten Grarup and Gillum nun DNS isolieren und die Erbgutsequenz des FGF21-Gens der Probanden entziffern.

Die Leber reguliert den Naschdrang

Wie sie im Fachblatt "Cell Metabolism" schreiben, stellte sich tatsächlich heraus, dass Probanden, die aufgrund bestimmter Genveränderungen weniger FGF21 produzieren können, mit einer 20-prozentig erhöhten Wahrscheinlichkeit häufiger Kuchen, Eis, Schokolade und andere Süßigkeiten in der Studie aßen. Auch andere, sogenannte genomweite Assoziationsstudien legen nahe, dass zwei Mutationen in der Region des FGF21-Gens mit einem erhöhten Konsum von Zucker und verminderter Fett- und Proteinaufnahme einhergehen.

Allerdings ergab die Studie auch, dass Menschen mit diesem genetischen Hang zum Süßen nicht unbedingt häufiger an Fettleibigkeit oder Diabetes erkranken. Das sei nicht unbedingt erstaunlich, sagt Gillum: „Es gibt Dutzende von Faktoren, die in die Entstehung von Stoffwechselerkrankungen involviert sind, und in dieser Studie haben wir nur einen von vielen untersucht.“

Er vermutet, dass die Leber eine ganze Reihe von Kontrollmechanismen besitzt, mit denen sie nicht nur die Menge süßer, sondern auch anderer Bestandteile des Essens kontrolliert. Offenbar registrieren die Leberzellen nicht nur, welche Nährstoffe in welchen Mengen aus dem Darm ins Blut gelangen, sondern senden auch gleich Signale ans Fettgewebe und das Belohnungssystem im Gehirn, das den Appetit auf die Essensbestandteile entsprechend reduziert oder steigert.

Die Pille gegen den Naschdrang

Um das genauer zu untersuchen, ließen Gillum und Grarup 51 Probanden – sowohl extreme Süßmäuler als auch Zucker-Abstinenzler – zunächst 12 Stunden fasten und gaben ihnen dann Zuckerwasser, das einer Menge von zwei Coladosen entsprach. Tatsächlich hatten die Süßmäuler unter den Probanden während des Fastens einen um 50 Prozent höheren FGF21-Gehalt im Blut als diejenigen, die Zucker nicht mögen. Allerdings stieg der FGF21-Pegel nach dem Zuckertrank in beiden Gruppen auf vergleichbar hohe Konzentrationen an.

Über die Rolle von FGF21 beim Zügeln der Zuckerpräferenz des Menschen hinaus interessieren sich Forscher vor allem für die positive Wirkung des Hormons auf fettleibige Menschen mit Diabetes und Stoffwechselsyndrom. „Ursprünglich hat FGF21 Aufsehen erregt, weil es den Stoffwechsel fettleibiger Mäuse dramatisch verbessern kann“, sagt Andreas Pfeiffer, Endokrinologe am Berliner Universitätsklinikum Charité, dessen Labor auch an FGF21 forscht. „Wenn man Mäusen dieses Hormon spritzt, dann verbessern sich die Fettwerte und die Insulinsensibilität, sie verlieren gewaltig an Gewicht und der Blutzuckerspiegel und Blutdruck sinken – es wird also alles besser, was beim metabolischen Syndrom des Menschen schiefläuft.“

Ein knappes Dutzend Pharmafirmen teste den Stoff deshalb bereits. So habe der Pharmakonzern Eli Lilly schon vor vier Jahren etwa 40 Diabetikern eine stabilisierte Form von FGF21 gespritzt. „Insulinsensitivität und Blutfettwerte besserten sich tatsächlich und die Patienten haben auch ein paar Kilo abgenommen“, sagt Pfeiffer, „aber der Blutzucker ist nicht wesentlich runtergegangen.“ Seitdem liege die Forschung wohl auf Eis. „Es könnte sein, dass das FGF21 noch andere Effekte hat, also womöglich mit Knochen- oder Muskelschwund einhergeht, aber das ist Spekulation“, sagt Pfeiffer.

Ein Mittel gegen die Fettleber?

Trotzdem ist der Arzt optimistisch, dass FGF21 für Patienten mit Stoffwechselsyndrom von Nutzen sein könnte. „Obwohl Fettleibige schon viel von dem Hormon im Blut haben und es bei ihnen offenbar nicht mehr ausreichend wirkt, könnte eine Gabe von hochkonzentriertem FGF21 trotzdem helfen“, sagt Pfeiffer. „Selbst wenn man so den Blutzucker nicht senken kann, könnte es gegen die Fettleber wirken, gegen die es bislang keine Therapieoption gibt.“

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