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Annette Schavan am Donnerstag im Bundestag - sie war nicht vor Gericht erschienen.

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Update

Annette Schavan scheitert: Gericht bestätigt Entzug des Doktortitels

"In erheblichem Umfang getäuscht": Die Richter des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts weisen die Klage von Annette Schavan gegen die Aberkennung ihres Doktortitels ab und begründen das mit deutlichen Worten.

„Schavan hat darüber getäuscht, dass es sich nicht um ihr eigenes Gedankengut handelt.“ So hat Simone Feuerstein, die Vorsitzende Richterin des Düsseldorfer Verwaltungsgericht, begründet, warum ihre Kammer die Klage von Annette Schavan gegen den Entzug ihres Doktortitels abgewiesen hat. Feuerstein sagte, Schavan habe „in erheblichem Umfang getäuscht“. Die Richterin machte deutlich, dass sich das Gericht bei diesem Urteil nicht allein auf den Gutachter der Universität verlasse, sondern sich selbst durch das umfangreiche Werk unter dem Titel „Person und Gewissen“ aus dem Jahre 1980 gearbeitet hat.

Die Kammer bewertete die anstößigen Stellen eigenständig

Die Düsseldorfer Richter verkündeten das Urteil am Donnerstagnachmittag, nachdem sie seit 10 Uhr morgens über den Fall verhandelt hatten. Schavan hat damit eine erneute Niederlage beim Kampf um ihren Doktortitel erlitten. Die Kammer kam zu dem gleichen Urteil wie die Philosophische Fakultät der Universität Düsseldorf vor einem guten Jahr: „Von Fahrlässigkeit konnte nicht ausgegangen werden, sie hat bedingt vorsätzlich gehandelt.“

In einer schriftlichen Erklärung führte das Gericht zudem aus, die Kammer habe die „Ermessensentscheidung“ des Fakultätsrats überprüft und habe dabei „keine Rechtsfehler festgestellt“. Das Unigremium habe „alle in Betracht kommenden widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange umfassend gewürdigt“. Damit dürfte unter anderem gemeint sein, dass die Aberkennung angemessen war, obwohl Schavan jetzt ganz ohne akademischen Abschluss dasteht. Sie legte nämlich eine Direktpromotion ab, ohne vorangehende Examensarbeit.

Ein Titel darf auch nach langer Zeit entzogen werden

Die Kammer bekräftigte, dass der Titel durchaus auch noch nach über dreißig Jahren entzogen werden darf. In der Diskussion um Schavans Fall ging es oft um die Frage, ob nicht irgendwann Verjährung einsetzen müsse. Die Kammer habe hier „nachvollzogen“, dass wissenschaftliche Arbeiten „auf Nachhaltigkeit angelegt seien“, heißt es. Sie stellten „Bausteine in einer wissenschaftlichen Erkenntniskette“ dar. Daher müsse es möglich sein, „Arbeiten, den nicht den Anforderungen entsprächen, auch nach langer Zeit noch für ungültig zu erklären".

In der Verhandlung lehnten die Richter ab, den Doktorvater als Zeugen zu hören

Schon in der Verhandlung am Vormittag war es für Schavan nicht gut gelaufen. Die Richter hatten einen Beweisantrag ihrer Anwälte, den Doktorvater als Zeugen zu laden und durch das Gericht ein externes Gutachten zur wissenschaftlichen Zitierweise in den 80er Jahren einholen zu lassen, als unerheblich abgelehnt. Um den Antrag zu beraten, hatten die Richter die Verhandlung kurz unterbrochen. Schavan selber war nicht vor Gericht erschienen, sie nahm am Donnerstag an der Sitzung des Bundestages in Berlin teil.

Schavans Anwälte verzichten auf ein letztes Wort

Aus der Art und Weise, wie die Vorsitzende Richterin Simone Feuerstein alle Beweisanträge von Schavans Anwalt Christian Dietrich Bracher ablehnte, konnte man schon während der Verhandlung einiges herauslesen. "Wir brauchen für unsere Entscheidung keine weiteren Gutachten", hatte sie Bracher beschieden und seinen Wunsch, darüber hinaus noch weitere Zeugen zur Entlastung der früheren Wissenschaftsministerin zu hören, mit dem Satz "das ist unsubstantiiert" zurückgewiesen. Als sie dann fragte, ob die Anwälte ein letztes Wort vor dem Urteil in das Verfahren einbringen wollten, zuckte Bracher nur mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

Das Gericht hatte zu diesem Zeitpunkt ohnehin zu erkennen gegeben, dass es reichlich Stoff zum Nachdenken in den Akten gab. "Es ist viel geschrieben worden", begann Feuerstein am Morgen die öffentliche Verhandlung, bei der vor allem die Anwälte von Annette Schavan ein letztes Mal versuchen wollten, das Gericht gegen die Universität Düsseldorf in Stellung zu bringen. Die Alma Mater hatte der ehemaligen Wissenschaftsministerin im Februar des vergangenen Jahres nach einem intensiven Prüfverfahren den 1980 erworbenen Doktortitel aberkannt, sie war dagegen vor Gericht gezogen. "Ich habe nicht getäuscht", hatte Schavan immer wieder öffentlich behauptet, war allerdings trotzdem von ihrem Amt zurückgetreten.

Die Anwälte müssen mehrfach zugeben, Schavan habe Literatur nicht angegeben

In der mehrstündigen öffentlichen Verhandlung im größten Saal des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts wurden noch einmal viele Details des intensiv ausgetragenen Streits zwischen der früheren Ministerin und ihrer Universität beleuchtet. Die Vertreter der Heinrich-Heine-Universität gaben Einblick in das Verfahren und begründeten ausführlich, warum sie zwingend zu dem Schluss kommen mussten, der prominenten Doktorandin den Titel abzuerkennen. "Die Arbeit ist nicht nur von großer Flüchtigkeit geprägt", urteilte der universitäre Gutachter Professor Stefan Rohrbacher, "da ist eine Abfolge von Handlungsabsichten zu erkennen, fremdes Gedankengut nicht zu kennzeichnen". In seinem zusammenfassenden Urteil spricht Rohrbacher davon, dass er nach seiner Monate währenden Prüfung zu dem eindeutigen Urteil gekommen war, Annette Schavan habe nicht nur schlampig gearbeitet, sie hätte eine "leitende Täuschungsabsicht" gehabt. Nachdem die Richterin den Gutachter bittet, eine entsprechend nicht gekennzeichnete Stelle im Gerichtssaal vorzulesen, fasst sie am Ende für das Protokoll zusammen: "Da wird der Versuch gestartet, etwas Eigenes vorzutäuschen".

Schavans Anwälte zucken an solchen Stellen, sie schaffen es aber nicht, die auf dem Tisch liegenden Vorwürfe zu entkräften. Sie müssen selbst mehrfach einräumen, dass ihre Mandantin vergessen habe, die Sekundärliteratur vollständig anzugeben, weisen das dann aber in den Bereich der Nebensächlichkeit. "Wenn wir an Flüchtigkeit glauben könnten, hätten wir das gerne getan", hält Gutachter Rohrbacher an dieser Stelle entgegen und die Vorsitzende Richterin hat anschließend keine weiteren Fragen. Auch dass die Zitierpraxis von Annette Schavan im Fach Erziehungswissenschaften in den 80er Jahren gängig und üblich gewesen sei, versuchen ihre Anwälte im Gerichtssaal vorzubringen, aber auch dieses Argument scheint vor Gericht nicht zu verfangen. Schavans Anwälte regen im Lauf der Verhandlung gleichwohl an, die Verfehlungen bei der Dissertation als „minderschweren Fall“ zu bewerten und nur mit einer Rüge zu ahnden - obwohl eine "Rüge" in der Düsseldorfer Promotionsordnung eigentlich gar nicht vorgesehen ist. Die Doktorarbeit der früheren Bundesbildungsministerin beinhalte zwar „handwerkliche Fehler“, dabei handele es sich aber „nicht um eine arglistige Täuschung oder Irreführung“, erklärt der Münsteraner Staats- und Verwaltungsrechtler Bodo Pieroth.

Für Schavans berufliche Zukunft ist das Urteil belanglos

Am Ende zeigten sich die Vertreter der Universität zufrieden, die Anwälte der ehemaligen Ministerin gaben kein Statement ab. Anwalt Bracher blieb nicht einmal vor den vielen Kameras stehen.

Wie geht Annette Schavan selber mit dem Urteil des Düsseldorfer Gerichts um? Ob ihre Anwälte Berufung einlegen und sich an das Oberverwaltungsgericht in Münster wenden, ist noch offen. „Wenn die schriftliche Fassung der Urteilsbegründung vorliegt, werde ich mich mit meinem Anwalt über das weitere Vorgehen beraten“, teilte Schavan nach der Urteilsverkündung mit.

Für ihre weitere berufliche Zukunft ist das Urteil belanglos. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich noch während der Koalitionsverhandlungen die Zusage der künftigen Partner von der SPD geben lassen, dass ihre alte Freundin als Botschafterin beim Heiligen Stuhl einen neuen Anfang machen kann. Der Personalrat im Auswärtigen Amt hat das moniert, wie es seines Amtes ist. Aber ernsthaft in Frage stellen können die Berufsdiplomaten die Berufung der Seiteneinsteigerin nicht.

Die Personalie Schavan ist Teil des koalitionären Personal-Gesamtpakets, das niemand ohne Not aufschnürt. Außerdem ist es nicht das erste Mal, dass der Posten amtsfremd besetzt wird. Als der CDU-Politiker Philipp Jenninger 1988 nach einer gut gemeinten, aber verunglückten Rede als Bundestagspräsident zurücktrat, verschaffte ihm Kanzler Kohl auf dem Umweg über die Botschaft in Wien den Posten beim Vatikan.

Die FU muss über ihre Honorarprofessur entscheiden

Gefährdet ist allerdings Schavans Honorarprofessur an der Freien Universität Berlin im Fach Katholische Theologie. Unter dem damaligen Präsidenten Dieter Lenzen würdigte die Uni sie damit 2008 als „ausgewiesene Expertin und Persönlichkeit für Forschung und Lehre zu gewinnen, die in besonderer Weise geisteswissenschaftliche Exzellenz mit gesellschaftlicher Präsenz und Wirksamkeit verbindet“. Die Universität erklärte gestern, zunächst „die Rechtskraft des Urteils“ abwarten zu wollen.

Auch die Ludwig-Maximilians-Universität München, die erst im Herbst 2013 Schavan in ihren Hochschulrat aufgenommen hatte, will zunächst die Urteilsbegründung prüfen, bevor sie über weitere Schritte nachdenkt. „Das Urteil muss man ernst nehmen“, sagte LMU-Präsident Bernd Huber auf Anfrage dem Tagesspiegel. Der Fall werde dann auch in den zuständigen Gremien und mit dem Ministerium besprochen.

Schavan bleiben Ehrendoktorwürden

Schavan bleiben zumindest vorerst die Ehrendoktorwürden der Tongji-Universität in Schanghai, der japanischen Meiji-Universität und der Hebräischen Universität Jerusalem, sie kann also weiterhin ein „Dr. h.c.“ führen. Die Uni Kairo hatte dagegen schon vor einem Jahr angekündigt, ihr die Ehrendoktorwürde aberkennen zu wollen. Die Uni Lübeck hat ihr 2012 einen Ehrendoktor verliehen, die Übergabe aber „auf einen späteren Zeitpunkt“ verschoben.

Die Hintergründe der Klage

Schavan war im Februar 2013 der Doktorgrad von der Philosophischen Fakultät Düsseldorf entzogen worden, sie trat kurz danach als Bundesbildungsministerin zurück. Schavan habe in ihrer 1980 eingereichten Dissertation „systematisch und vorsätzlich“ getäuscht, begründete die Uni den Titelentzug. Über die gesamte Arbeit hinweg habe Schavan gedankliche Leistungen vorgegeben, „die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hatte“. Schavan klagte gegen die Entscheidung.

Schavans Anwälte haben die Uni auf mehreren Ebenen angegriffen. Sie warfen der zuständigen Philosophischen Fakultät schwere Verfahrensfehler vor. Das Verfahren sei insgesamt „fehlerhaft zustande gekommen“: So sei die Vertraulichkeit durch „selektive Information der Öffentlichkeit verletzt worden“. Damit spielten die Anwälte darauf an, dass die „Sachstandsermittlung“, in der die Uni die anstößigen Stellen dokumentierte,  an die Presse durchgestochen  wurde. Auch habe es die Uni versäumt, ein externes Fachgutachten einzuholen. Die Entstehungsumstände der Dissertation seien nicht berücksichtigt worden. In den Siebziger Jahren hätten in der Erziehungswissenschaft andere Zitierregeln als heute gegolten. Überhaupt sei die Täuschung nicht nachgewiesen worden, die Entscheidung „unverhältnismäßig“, hieß es von den Anwälten. Bei diesem Punkt geht es darum, dass Schavans Promotion schon mehr als 30 Jahre zurückliegt – und dass sie mit einer Direktpromotion abschloss und somit nach den Titelentzug ohne jeglichen akademischen Grad dasteht. Schavan selber gab lediglich "Flüchtigkeitsfehler" zu, von einer vorsätzlichen Täuschung könne keine Rede sein.

Die Universität hat sich gegen die massiven Vorwürfe immer verteidigt. Schavan sei durchaus genügend gehört worden: Sie habe schriftlich auf die Vorwürfe geantwortet und zudem zwei auswärtige Stellungnahmen eingereicht, die die Fakultät bei ihrer Urteilsfindung eingehend berücksichtigt habe. Externe Gutachten seien ansonsten bei Promotionsverfahren nicht üblich und auch im Fall Schavan nicht nötig gewesen. Zitierstandards seien immer die gleichen gewesen. Dass das Mehraugenprinzip bei der Entscheidung verletzt wurde, wie Schavans Mitstreiter vielfach behaupteten, stimme nicht: Ganz im Gegenteil hätten die 15 stimmberechtigten Mitglieder des Fakultätsrats über den Fall entschieden. Diese hätten auch eingehend Fragen der Verjährung und der Direktpromotion abgewogen. Ein Rechtsgutachten der Uni kam zudem zu dem Schluss, das Durchstechen an die Presse habe die Entscheidungsfindung der Fakultät nicht beeinflusst.

Warum der Fall für die Wissenschaft wichtig ist

Das Verfahren an der Universität Düsseldorf gegen Schavan hat innerhalb der Wissenschaft zu schweren Verwerfungen geführt. Zahlreiche Persönlichkeiten kamen Schavan zu Hilfe, indem sie das Vorgehen der Uni monatelang heftig kritisierten. Darunter waren vor allem hohe Repräsentanten der Wissenschaft, mit denen Schavan qua Amt jahrelang gut vernetzt war. Die gesamten Spitzen der zehn großen Forschungsorganisationen, die in der „Allianz“ zusammengeschlossen sind, warfen der Uni Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis vor. Die Schavan-Unterstützer zeichneten das Bild einer schlampig und unprofessionell agierenden Fakultät und forderten grundlegende Reformen bei Plagiatsverfahren an der Universität.

Die Uni Düsseldorf wurde unter Druck gesetzt

Zahlreiche Granden der Wissenschaft meldeten sich zu Wort, darunter Jürgen Zöllner, früher Wissenschaftssenator in Berlin. Er warf der Uni Düsseldorf vor, sie habe Grundsätze der Wissenschaft „vermutlich vorsätzlich und systematisch, missachtet“. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität, erklärte wiederholt, die Aberkennung sei „auf der gegenwärtigen Verfahrensgrundlage“ „nicht gerechtfertigt“. Ernst-Ludwig Winnacker, früher Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, warf der Universität gar vor, eine Hetzjagd auf Schavan zu betreiben. 

Die Universität Düsseldorf stand damit unter massivem Druck, sich rechtfertigen zu müssen. Mehr noch: Die Plagiatsverfahren an deutschen Universitäten gerieten insgesamt ins Zwielicht. Eine Debatte kam in Gang, ob die Plagiatsverfahren bundesweit vereinheitlicht werden müssten, um vermeintliche Schwächen des Düsseldorfer Verfahrens in Zukunft auszuschließen: Schavans Amtsnachfolgerin Johanna Wanka (CDU) forderte den Wissenschaftsrat damit auf, Empfehlungen dazu vorzulegen. Das ist bis heute nicht geschehen, aus dem Wissenschaftsrat heißt es auf Anfrage, es sei kein formeller Auftrag ergangen. Derzeit seien auch „nicht noch mehr normative Leitlinien erforderlich“.

Das Düsseldorfer Verfahren wurde auch öffentlich verteidigt

Während prominente Wissenschaftsfunktionäre die Uni Düsseldorf kritisierten, gab es auch zahlreiche Stimmen, die das Verfahren öffentlich verteidigten. So sagte Wolfgang Löwer, Professor für Öffentliches Recht in Bonn und Sprecher des Gremiums Ombudsmann für die Wissenschaft der DFG, sogar kompliziertere Fälle, wo es um Ideenklau gehe, seien kein Grund, die Verfahren der Fakultäten anders zu gestalten. Volker Rieble, Professor für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Universität München, sowie Autor des Buches „Das Wissenschaftsplagiat“ sagte: „Würde man diese Schavan-Arbeit anonymisiert tausend Hochschullehrern vorlegen, würden 999 sagen: Das geht so nicht." Die Spitzen der  zehn großen Wissenschaftsorganisationen („Allianz“), die öffentlich das Verfahren gegen Schavan angegriffen hatten, gerieten selbst in die Kritik. Ihnen wurde fehlende Unabhängigkeit und fehlender Respekt vor den Regeln und Werten der Wissenschaft vorgeworfen.

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