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Kläranlagen sollen die Plastikteilchen entfernen. Allerdings zeigen die Wasserwerke selbst teilweise Bedenken.

© Oregon State University/dpa

„Andere Belastungen bedeutsamer“: WHO sieht derzeit keine Gefahr durch Mikroplastik im Trinkwasser

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt winzige Plastikteilchen im Wasser nicht als Gesundheitsrisiko für Menschen ein. Die Forschung sei aber noch lückenhaft.

Von Markus Lücker

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt eine eingeschränkte Entwarnung zur möglichen Gefahr von Mikroplastik in Trinkwasser. In einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht kommt die WHO zu dem Schluss, dass die winzigen Plastikteile im Wasser "nach heutigem Stand kein Gesundheitsrisiko" darzustellen scheinen. Andere Verunreinigungen seien wesentlich bedeutsamer, sagte WHO-Experte Bruce Gordon am Mittwoch in Genf.

Es sei unwahrscheinlich, dass der menschliche Körper Mikroplastik oberhalb einer Größe von 150 Mikrometern aufnehme, heißt es im WHO-Report. Bei kleineren Partikel geht der Bericht lediglich von einer "limitierten Absorption" aus.

Allerdings sei die aktuelle Informationslage noch lückenhaft. Darum fordert die WHO weitere Forschung zu den gesundheitlichen Effekten des Plastiks sowie Maßnahmen zur Filterung von Abwasser. Eine solche Filterung könne 90 Prozent des Mikroplastiks sowie gesundheitsschädliche Chemikalien und mikrobielle Erreger aus dem Wasser entfernen.

Kaum Partikel im Leitungswasser

Schon länger gilt es in der Wissenschaft als gesichert, dass größere Teilchen vergleichsweise schwer in den Körper gelangen. Je kleiner das Plastik ist, desto wahrscheinlicher dringt es bis in die Zellen ein. Ob es dort angekommen auch Schaden anrichtet, ist hingegen unklar.

Eine allgemeine Aussage zur Giftigkeit "für Mensch und Umwelt zu formulieren, ist kaum leistbar", merkt darum auch die Zoologin Rita Triebkorn von der Universität Tübingen an. Unter dem Obergriff Mikroplastik würden zahlreiche Partikelarten zusammengefasst, die sich jeweils in der Art des Kunststoffs und den Inhaltsstoffen unterscheiden. Es würden verschiedene Farbstoffe verwendet sowie verschiedene Weichmacher. Am wenigsten sei über Partikel bekannt, die kleiner als ein Mikrometer sind, das sogenannte "Nanoplastik". Hier seien auch "die analytischen Nachweismethoden noch nicht sicher etabliert."

Für das Filtern des Abwassers gibt Triebkorn zu bedenken, dass die zusätzliche Maßnahmen zwar den Anteil an Mikroplastik reduzieren können, allerdings sei der Standard der Trinkwasseraufbereitung in Deutschland ohnehin bereits sehr hoch.

Wasserwerk äußert Bedenken

Ähnlich fällt die Einschätzung von Martin Wagner aus. Nach Angaben des Biologen von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens hätten Studien gerade einmal 0.0007 Plastikpartikel pro Liter in deutschem Leitungswasser gefunden. Bei Mineralwasserflaschen habe der gleiche Wert zwischen 300 bis 6000 Partikeln pro Liter gelegen.

Gleichzeitig gibt Wagner zu bedenken, dass ein Filterprozess das Plastik nicht einfach verschwinden lässt. Über die Kläranlagen würden sich die Teilchen im Klärschlamm sammeln und von dort wieder in die Umwelt gelangen, wenn jener Schlamm zur Düngung in der Landwirtschaft verwendet werde.

Auch die Wasserwerke selbst scheinen teilweise nur bedingt Vertrauen in die Effektivität ihrer Anlagen zu haben. Im vergangenen Jahr forderte Hamburgs Wasserversorger anlässlich der Vorstellung seines Jahresberichts ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetik- und Körperpflegeprodukten. Selbst feinste Siebe könnten lediglich Teilchen filtern, die größer als drei Millimeter seien. Zwar würden dadurch jährlich 450 Tonnen Plastik aufgefangen, doch kleinere Teilchen würden zunächst in die Elbe und dann in die Nordsee fließen.

Verbreitung über die Luft

Die Wege, über die sich die kleinen Plastikstücke verbreiten, sind zahlreich. Erst kürzlich haben Forschende aus Bremerhaven und Davos nachgezeichnet, wie das Mikroplastik über die Luft transportiert werden kann. Durch Schneefall landet es dann selbst in abgelegenen Regionen wie den Alpen und der Antarktis.

Die Wissenschaftler schmolzen den Schnee und vermaßen ihn mithilfe eines Infrarot-Spektrometers. Dabei stießen sie auf extrem große Plastikmengen. In einer Probe aus den bayerischen Alpen befanden sich pro Liter des Schmelzwassers 154.000 Partikel. In der Arktis lag der Anteil im Durchschnitt 1800 Partikeln pro Liter.

Eher eine Gefahr für Ökosysteme

Hans Moshammer, Fachgebietsleiter für Umwelthygiene am Zentrum für Public Health in Wien, sieht "die Gefahr von Mikroplastik eher für Ökosysteme als für die menschliche Gesundheit." Allerdings hänge das Risiko in diesem Kontext nicht unbedingt von der Größe der Plastikpartikel ab. Für diverse Meereslebewesen könnten gerade größere Teilchen problematisch werden, wenn diese etwa nach Aufnahme den Darm der Tiere verschließen.

Ein anderer Aspekt seien chemische Gefahren. Weichmacher und Härter könnten aus dem Plastik austreten und so in Flüssigkeiten und Lebensmittel übergehen. Zusätzlich könne das Plastik weitere Schadstoffe an sich binden. Allerdings würden auch hier momentan noch Forschungsergebnisse fehlen, die klarstellen, ob der Mensch durch das mit Mikroplastik belastete Wasser auch höhere Schadstoffmengen aufnehme. (mit SMC/dpa)

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