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Scheibchenweise. Die Forscher schnitten ein in Paraffinwachs konserviertes Gehirn in mehr als 7400 haarfeine Scheiben und färbten die Nervenzellen an. Daraus rekonstruierten sie ein 3D-Modell des Gehirns.

© Amunts, Zilles, Evans

Anatomie: In 3D durch das Gehirn reisen

Ein neuer Hirnatlas ist 50 Mal genauer als sein Vorgänger. Er soll helfen, das Nervensystem im Computer komplett nachzubauen.

Ein neuer dreidimensionaler Gehirn-Atlas zeigt die menschliche Schaltzentrale 50-mal genauer als alle Vorgänger. Neurowissenschaftler vom Forschungszentrum Jülich, der Universität Düsseldorf und der McGill-Universität in Montreal haben dafür das Hirn einer 65-jährigen Toten in über 7400 haarfeine Scheiben geschnitten. Wie sie im Fachblatt „Science“ schreiben, haben sie die Gewebeschnitte in Jülich gescannt und anschließend dreidimensional an Großrechnern rekonstruiert. Das Modell erlaubt nun die bislang tiefsten Einblicke ins Gehirn – mit einer Auflösung von 20 mal 20 mal 20 Mikrometern. „Manche Nervenzellen sind zwar noch etwas unscharf, aber wir sehen, wie dicht sie liegen und wie sie verteilt sind. Bis in den letzten Winkel“, sagte Projektleiterin Katrin Amunts, die in Jülich und Düsseldorf arbeitet. Auf den älteren Gehirn-Atlanten habe man bisher Kontinente, Länder und Städte erkannt: „Jetzt können wir in die einzelnen Straßen gucken.“

Das Hirnmodell sei vor allem ein Arbeitsinstrument. „Es ist ein Gerüst“, sagte der Neurologe Alan Evans von der McGill-Universität. Später könne das Modell mithilfe spezieller Softwaretools um molekulare Daten, genetische Informationen oder um Verbindungen zwischen den Hirnarealen ergänzt werden. Das werde auch die Arbeit am europäischen Flaggschiffprojekt „Human Brain Project“ erleichtern, an dem auch Jülicher Neurowissenschaftler und Informatiker beteiligt sind. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wollen Experten aus mehr als 80 wissenschaftlichen Einrichtungen in 23 Ländern das menschliche Gehirn von der molekularen Ebene bis hin zum Zusammenwirken ganzer Hirnregionen auf einem Supercomputer simulieren.

Unabhängig davon lieferte der Hirnatlas bereits jetzt neue Erkenntnisse. Die Forscher entdeckten, dass die Nervenzellen je nach Funktion speziell arrangiert sind. „Die Verteilung hängt damit zusammen, ob ein Areal Bewegung steuert, Töne oder Lichtsignale verarbeitet“, sagte Amunts. Die Darstellung der Zellarchitektur soll helfen, zum Beispiel Kognition, Sprache oder Emotionen bei Gesunden und Kranken besser zu verstehen.

Auch Hirnchirurgen brauchen für ihre Arbeit einen möglichst präzisen Gehirnatlas. Wenn sie zum Beispiel Parkinson-Patienten feine Elektroden für die tiefe Hirnstimulation einpflanzen, müssen diese sehr genau platziert werden. „Die Atlanten, die man dafür nimmt, die sind zum Teil sehr ungenau“, sagte Amunts. Einige Strukturen tief im Gehirn waren darauf gar nicht zu sehen.

Ein Gehirnmodell mit noch höherer Auflösung, so dass zum Beispiel wie unter dem Elektronenmikroskop selbst Synapsen zu sehen wären, sei im Moment nicht möglich. „Die entstehenden Datenmengen wären zu groß. Es gibt keinen Supercomputer auf der Welt, der sie visualisieren und handhabbar machen könnte“, sagte Amunts. „Aber unser Modell ist ein guter Anfang.“ dpa/ AFP/Tsp

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