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Bei der Alzheimer Erkrankung sterben langsam aber unaufhaltsam die Nervenzellen ab, die das Gedächtnis ausmachen.

© Bernd Wüstneck dpa / lmv

Alzheimer: Demenzforschung zwischen Frust und Fortschritt

Tests und Theorien zur Entstehung gibt es – doch wirksame Medikamente gegen Alzheimer fehlen immer noch.

Ein gesegnetes Alter zu erleben – dieser Wunsch beinhaltet die Vorstellung, bis zuletzt geistig wach zu bleiben und ein gutes Gedächtnis zu behalten. Und tatsächlich bleiben heute knapp die Hälfte der Menschen, die über hundert Jahre alt werden, von einer Demenzerkrankung wie etwa Alzheimer verschont. „Wer ohne eine Demenz das Alter von 95 Jahren erreicht hat, hatte wahrscheinlich immer schon ein geringeres Demenz-Risiko“, sagte Gabriele Doblhammer-Reiter auf einer Veranstaltung der Paul-Martini-Stiftung zu neuen Diagnostik- und Therapieansätzen gegen Alzheimer vergangene Woche in Berlin. Und weil sich zumindest ein kleiner Teil der Risikofaktoren, die im Alter zu Demenz beitragen, beeinflussen lässt, seien 30 bis 40 Prozent der Demenzerkrankungen verhinderbar, so die Leiterin des Demenzregister beim Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen.

Rauchen, zu wenig Sport, soziale Isolation tragen zu Alzheimer bei

Neun Faktoren nannten im vergangenen Jahr Gill Livingston und seine Mitarbeiter vom University College in London in der Fachzeitschrift „The Lancet“, die Gedächtnisschwäche im Alter beeinflussen – darunter mangelnde Bildung in der Jugend, körperliche Inaktivität, Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes vom Typ 2, aber auch soziale Isolation. Allerdings spielen auch soziale Unterschiede eine Rolle: In Landkreisen mit höherem Haushaltseinkommen treten diagnostizierbare Demenzsymptome erst in einem höheren Lebensalter auf.

Etwa 60 Prozent aller Demenz-Fälle gehen auf charakteristische Veränderungen im Gehirn zurück, die von der Alzheimer-Erkrankung ausgelöst werden. Lange Zeit waren diese Veränderungen erst nach dem Tod erkenn- und diagnostizierbar. „Heute dagegen ist es möglich, das Gehirn des Lebenden zu betrachten“, sagte der Psychiater Frank Jessen von der Uniklinik in Köln. Zum einen könne mittels MRT- und PET-Technik ins lebende Gehirn geschaut und dessen Stoffwechsel untersucht werden. Zum anderen tragen auch Analysen der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) zur Alzheimerdiagnose bei. Im Alltag spiele zwar immer noch die Einschätzung des (Haus-)Arztes und kognitive Tests die wichtigste Rolle. Zumindest für wissenschaftliche Studien fordern Alzheimer-Forscher aus den USA inzwischen aber eine Diagnose, die sich auf biologische Messwerte stützt. „Der Biomarker für Amyloid muss auffällig sein, damit die Diagnose Alzheimer gestellt werden kann“, sagte Jessen.

Manche Genmutationen machen immun, andere anfällig für Alzheimer

Dass Ablagerungen dieses Proteins die zentrale Rolle beim Entstehen von Alzheimer spielen, davon ist der kürzlich mit dem „Brain“-Preis ausgezeichnete Alzheimer-Forscher und Biochemiker Christian Haass von der Uni München überzeugt. Tatsächlich leben in Finnland und Island Familien, die vor Alzheimer durch eine genetische Besonderheit geschützt zu sein scheinen. Bei ihnen sorgt eine Genmutation dafür, dass sich das Protein Beta-Amyloid nicht aus seinem Vorläufer-Protein bilden kann. In Familien hingegen, in denen die Menschen besonders früh an Alzheimer erkranken, bildet sich das schädliche Amyloid aufgrund einer anderen Genmutation leichter. Auch Menschen, die eine Trisomie 21 (Down-Syndrom) haben und typischerweise mit 50 bis 60 Jahren an einer Demenz erkranken, bilden zu viel Amyloid, wie Haass berichtete. „Für mich ist der Fall klar: Das Amyloid ist der Auslöser, es macht die Krankheit jedoch nicht allein.“ Vielmehr setze es im Gehirn eine ganze Kaskade von biochemischen Prozessen in Gang.

Einige hoffnungsvolle Ansätze, die Bildung der Amyloid-Beta-Ablagerungen zu verhindern oder sie aufzulösen, sind aber bekanntlich gescheitert. Wahrscheinlich schreite die Krankheits-Entwicklung ab einem bestimmten Stadium unabhängig von dem Protein fort, vermutet Haass. „Wir müssen viel, viel früher mit der Behandlung beginnen“, sagt der Arzt. „Und wir können dafür viel von den Ansätzen lernen, die nicht funktioniert haben.“

Früher therapieren

Sein Kollege Dave Morgan von der Michigan State University setzt dabei vor allem auf monoklonale Antikörper, die Amyloid beseitigen, aber schon eingesetzt werden müssten, wenn die Betroffenen noch kaum Symptome bemerken. Aber auch andere typische Veränderungen wie die Tau-Fibrillen, die sich in geschädigten Nervenzellen bilden, sind Angriffspunkte für neue Medikamente.

Die Bilanz für betroffene Menschen sieht allerdings bisher ernüchternd aus: Zwischen 2002 und 2012 wurde als einzige Substanz Memantin neu zugelassen, sagte Vera Zingler von der Firma Hoffmann-La Roche. Zahlreiche Substanzen wurden und werden getestet, doch kaum eine von ihnen schafft es bis ins Stadium der Zulassungsstudie. Es gebe noch große Lücken im Verständnis der Krankheitsentstehung, mahnte die Neurologin. „Wahrscheinlich müssen wir früher im Krankheitsverlauf ansetzen, und möglicherweise sind Kombinationstherapien der Schlüssel zum Erfolg.“

Für Patienten mit einer Demenz und ihre Angehörigen sei die Situation derzeit frustrierend, gestand schließlich der Geriater Richard Dodel vom Uniklinikum Essen. Forschung und Industrie müssten sich unvermindert weiter engagieren, forderte Stefan Endres vom Uniklinikum München und wissenschaftlicher Berater der Martini-Stiftung. „Die Gesellschaft erwartet das von uns – wir dürfen sie nicht enttäuschen.“

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