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Zeitzeuge. Ein 24.700 Jahre altes Blatt aus dem Suigetsu-See in Japan.

© Richard Staff

Altersbestimmung: Lineal für die Vergangenheit

Die moderne Archäologie wäre ohne die Radiokarbonmethode undenkbar. Nun soll sie verbessert werden - dank jahrtausendealter Blätter aus einem See in Japan.

Der „Hohle Fels“ hat es in sich. In der gleichnamigen Karsthöhle bei Ulm machten Archäologen in den vergangenen Jahren erstaunliche Funde: Ein scheinbar achtlos weggeworfener Knochen erwies sich bei näherer Betrachtung als filigrane Flöte, geschnitzt aus dem Flügelknochen eines Gänsegeiers. Oder die sechs Zentimeter große Skulptur einer fülligen Frau, gefertigt aus Mammutelfenbein. Sie gilt als die bislang älteste figürliche Darstellung eines Menschen. Die Flöte wiederum ist wohl eines der ältesten Musikinstrumente. Solche Aussagen sind nur möglich, wenn Forscher das genaue Alter ihrer Funde kennen.

Bei Venus und Flöte waren es rund 35 000 Jahre. Das haben Analysen mit der Radiokarbonmethode ergeben. Das Verfahren, oft als C-14-Methode bezeichnet, hat seit seiner Einführung vor rund 60 Jahren Archäologen und Geowissenschaftler entscheidend vorangebracht. Jahrhundertelang wurde in diesen Disziplinen mit relativen Altersangaben gearbeitet, die auf dem Prinzip „die obere Schicht ist jünger als die darunter“ basierte. Mit C-14 (und weiteren radiometrischen Verfahren) konnten die Forscher ihre Studienobjekte endlich mit konkreten Zahlen versehen. Nun gab es einen Maßstab, der überall funktionierte.

Venus. Diese Figur aus Mammutelfenbein, gefertigt vor 35 000 Jahren, gilt als älteste Darstellung des Menschen. Die Datierung gelang mithilfe der C-14-Methode.
Venus. Diese Figur aus Mammutelfenbein, gefertigt vor 35 000 Jahren, gilt als älteste Darstellung des Menschen. Die Datierung gelang mithilfe der C-14-Methode.

© dapd

Allerdings war der Maßstab zunächst noch ungenau, so als hätte ein Lineal statt vieler dünner Millimeterlinien nur ein paar breite Balken. Im Lauf der Zeit wurde die Methode besser. Nun steht ihr ein erneutes Update bevor. Es soll die Skala für die Zeit von 12 600 bis 52 800 Jahren vor heute verfeinern, in die zum Beispiel die Kunstwerke aus Schwaben fallen, aber auch die Besiedlung Europas durch den modernen Menschen. Mit einer präzisen Zeitmessung lässt sich der Vormarsch unserer Ahnen sowie das Zurückweichen der Neandertaler besser rekonstruieren.

Möglich wird die Verfeinerung durch Ablagerungen aus einem japanischen See, die einzigartige Daten für das „C-14-Lineal“ liefern. Ein internationales Team um Christopher Ramsey von der Universität Oxford stellt sie jetzt im Fachblatt „Science“ vor (Band 338, S. 370).

Die C-14-Datierung erfolgt zwar in Labors, ihren Ursprung hat sie aber eigentlich in der Erdatmosphäre. Dort trifft kosmische Strahlung auf Atome und löst Reaktionen aus, die am Ende eine bestimmte Sorte von Kohlenstoffatomen hervorbringen, das radioaktive Isotop 14C. Es mischt sich mit den bereits vorhandenen Isotopen 12C und 13C, die nicht radioaktiv sind. Diese Mixtur wird über Nahrung oder Atmung aufgenommen, so dass die Konzentration von 14C auch im Körper eines Mammuts oder eines Urmenschen zu finden ist – so lange diese leben. Nach dem Tod wird kein Kohlenstoff mehr aufgenommen, das Isotop 14C jedoch zerfällt. Finden Forscher später einen Knochen, können sie den Gehalt des verbliebenen 14C bestimmen. Über die Halbwertszeit des Isotops lässt sich das Alter berechnen. „Das ist aber ungenau, denn der Gehalt an Kohlenstoff-14 in der Atmosphäre schwankt im Lauf der Zeit“, sagt Bernd Kromer vom Institut für Umweltphysik an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und einer der führenden C-14-Experten, der an der aktuellen Studie aber nicht beteiligt ist.

Die Grundlagen der Radiokarbonmethode.
Die Grundlagen der Radiokarbonmethode.

© TSP

„Die Gründe dafür sind die wechselnde Aktivität der Sonne sowie die schwankende Stärke des Erdmagnetfeldes“, sagt er. Sie führen dazu, dass die kosmische Strahlung in der Atmosphäre unterschiedlich stark ist und damit die Menge von 14C in der Luft. Daher haben die Forscher Kurven erstellt, um die errechneten 14C-Alter zu korrigieren.

Für die letzten 12 593 Jahre sind die Korrekturdaten sehr präzise, sie basieren auf Baumringanalysen, die Kromer und Kollegen gemacht haben. Für die übrige Zeit bis 60 000 Jahre vor heute – das ist die Grenze der Methode, weil in älteren Proben zu viel 14C zerfallen ist, um gute Messwerte zu erzielen – sieht es schlechter aus. Dort wurden die Korrekturdaten unter anderem aus Meeressedimenten abgeleitet. „Das ist eine zusätzliche Fehlerquelle“, sagt Kromer. Die 14C-Gehalte im Wasser stimmten nicht immer mit denen in der Luft überein. Doch gerade diese Daten brauchen die Wissenschaftler, wenn sie Pflanzen oder Reste von Landbewohnern datieren wollen.

Dieses Problem kann die Arbeit von Ramsey und Kollegen entschärfen. Sie haben aus dem Suigetsu-See Sedimente geborgen, die einem kompletten Archiv bis zu 52 800 Jahren vor heute entsprechen. In den Schichten finden sich viele herabgefallene Blätter. Sie verweisen direkt auf die 14C-Gehalte der Atmosphäre in früheren Jahren und machen den Umweg über Meeresablagerungen überflüssig.

Fein geschichtet. Seeablagerungen bilden im Idealfall "Jahresstreifen". Die hellen Schichten stammen aus dem Sommer, die dunklen aus dem Winter.
Fein geschichtet. Seeablagerungen bilden im Idealfall "Jahresstreifen". Die hellen Schichten stammen aus dem Sommer, die dunklen aus dem Winter.

© Gordon Schlolaut

Um die analysierten Blätter in eine absolute Zeitskala „einhängen“ zu können, zählten die Forscher winzigen Streifen im Schlamm. Im Idealfall zeigen Seesedimente nämlich einen Jahresrhytmus: Helle Schichten, die zum Beispiel Kieselalgen enthalten, entstehen im Frühjahr und Sommer. Die Schichten aus Herbst und Winter sind dunkler und bestehen unter anderem aus Blattresten. Anhand des Hell-Dunkel-Musters zählten sich die Forscher durch die Jahrtausende. Zur Kontrolle zogen sie Ablagerungen heran, die rasche Klimawechsel anzeigen und die andernorts bereits datiert wurden.

Eine Revolution werden die neuen Korrekturdaten vielleicht nicht unbedingt auslösen, sagt Ramsey. „Aber gerade in prähistorischer Zeit kann es durchaus sein, dass Datierungen um ein paar Jahrhunderte verschoben werden müssen.“

Kromer sieht noch weiteren Nutzen: Manche Datenreihe aus der Klimaforschung sei noch immer nicht mit konkreten Jahreszahlen verbunden, das könne nun gelingen. „Man kann den Spieß auch umdrehen und aus den präzisen 14C-Daten Schwankungen der Sonnenaktivität rekonstruieren“, sagt er. Das Archiv der Wissenschaftler reicht bislang nämlich nur wenige Jahrhunderte zurück.

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