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Bisher verzichten die Gesundheitsämter auf flächendeckende Schulschließungen wie in Italien oder Frankreich.

© Marijan Murat/dpa

Maßnahmen gegen das Coronavirus: Flächendeckende Schulschließungen werden auch in Deutschland kommen

In Italien gibt es sie, auch in Frankreich, die deutschen Behörden dagegen zögern noch. Doch Schulschließungen muss es auch hierzulande geben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Das Coronavirus ist in Deutschland angekommen, es verbreitet sich so schnell, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Absage von Großveranstaltungen rät – und der nächste Schritt werden flächendeckende Schulschließungen sein. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern nur wann und wo. Und in welchem Ausmaß.

In Italien, wo inzwischen ganze Regionen abgeriegelt werden, haben die Behörden schon vor Tagen Schulen und Hochschulen geschlossen.

Auch in Frankreich, wo es vergleichbar viele Fälle wie in Deutschland gibt, müssen Schülerinnen, Schüler, Studierende und Lehrkräfte in zwei Departements zu Hause bleiben. Kindergärten sind ebenfalls geschlossen.

In Deutschland hingegen haben die zuständigen Gesundheitsämter bislang auf diese Maßnahme verzichtet – mit dem Hinweis auf ungeklärte Betreuungsfragen für die Kinder des dringend benötigten medizinischen Personals.

Dass Schulschließungen aber wirksam sind, die Verbreitungswahrscheinlichkeit der Viren also reduzieren können, ist klar: So haben beispielsweise Untersuchungen der „Spanischen Grippe“, bei der 1918 weltweit schätzungsweise 50 Millionen Menschen starben, gezeigt, dass in den Regionen mehr Opfer zu beklagen waren, in denen Schulen nicht oder nur kurzzeitig geschlossen wurden.

Schulschließungen sind wirksam

Das bestätigte sich auch in einer Reihe von Simulationen, die ein Forschungsteam um Bruce Lee, Professor für Gesundheitspolitik und -management an der City University of New York, durchführte. Demnach wirken sich flächendeckende Schulschließungen dann hemmend auf die Virusausbreitung aus, sobald die Verbreitung der Viren in einer Bevölkerung nicht mehr nachzuverfolgen ist, wie es etwa in den norditalienischen und französischen Risikogebieten der Fall ist.

Wichtig sei allerdings, dass die Schulschließungen so früh wie möglich beginnen und dann auch lange genug anhalten, zwei Wochen oder länger – eben so lange, wie es nötig ist, damit eine Wiedereröffnung der Schulen die Epidemie nicht erneut anfacht.

[Lesen Sie hier Antworten auf 62 wichtige Fragen, die auch unsere Leser im Zusammenhang mit dem Coronavirus immer wieder stellen.]

Und einer Studie im russischen Tomsk zufolge hatten von 450 beobachteten Schülern vor der Influenza-Saison 2015/2016 durchschnittlich 14,2 Kontakte pro Tag mit anderen Menschen, während der Schulschließung sank die Zahl der Kontakte hingegen auf 6,5. Die sekundäre „attack rate“ der Viren, ein Maß für die Wahrscheinlichkeit einer Infektion in der Bevölkerung, reduzierte sich dadurch um 33 Prozent.

Doch: Schulschließungen sind kostspielig für die Volkswirtschaft. Lees Analyse zufolge verursachte die achtwöchige Schließung von Schulen in Pennsylvania während der Schweinegrippe-Epidemie 2009 Folgekosten von 21 Milliarden US-Dollar. Vergleichbar hohe Kosten wären auch hier zu erwarten.

Die Folgen werden zu ertragen sein

Aber wenn Eltern die Kinder zunächst zu Oma und Opa schicken, könnte die Maßnahme womöglich zu mehr schweren Erkrankungen und Todesfällen führen, da Covid-19 bislang vor allem für ältere Menschen gefährlich ist.

Doch alles in allem spricht viel für Schulschließungen. Und zwar schon bald. Wann auch immer die Verantwortlichen im Landesgesundheitsamt den Zeitpunkt für landesweite Schließungen der Schulen für gekommen erachten: Es wird vorbei gehen. Die Folgen werden zu ertragen sein.

Das lehrt auch ein Blick in die Vergangenheit: Am 12. März 1954 blieben in Berlin alle Grundschulen geschlossen und alle Siebt- bis Neuntklässler der Oberschulen mussten zu Hause bleiben – um eine der damals heftigsten Grippewellen einzudämmen. Bis zum Ende der Osterferien am 16. April waren Eltern mit der Betreuung ihrer Kinder auf sich allein gestellt. Daran erinnert sich heute niemand mehr. Es war keine Katastrophe. Es war einfach nötig.

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