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Schicht für Schicht wird der Höhlenboden abgetragen, um darin eingebettete Fossilien einer Zeit zuordnen zu können.

© Ludovic Slimak

Allein unter Neandertalern: Milchzahnfund deutet auf frühere Ankunft moderner Menschen in Europa

Eine Höhle im heutigen Frankreich wurde in der Steinzeit rege bewohnt. Ein neuer Fund wirft die Frage auf, ab wann moderne Menschen sie nutzten.

Eine lange Reihe archäologischer Funde zeigte bisher einen klaren Zusammenhang: Vor ungefähr 45.000 Jahren tauchte der moderne Mensch Homo sapiens erstmalig in Europa auf. In mehr als 80.000 Jahren davor hatten praktisch nur Neandertaler ihre Spuren auf dem Kontinent hinterlassen. Vor rund 40.000 Jahren starben diese Menschen jedoch aus bislang unbekannten Gründen aus.

Dieses Bild der Menschheitsgeschichte hat einen Riss bekommen, erklären Ludovic Slimak von der Universität von Toulouse, Clément Zanolli von der Universität in Bordeaux und ihr Team nun in der Zeitschrift „Science Advances“.

Im Eingang der Mandrin-Höhle über dem Rhone-Tal in Südfrankreich haben sie in einer rund 54.000 Jahre alten Bodenschicht den Milchzahn eines Kindes gefunden, das kein Neandertaler war, sondern zu den modernen Menschen gehörte. In jüngeren Schichten darüber und älteren darunter fand das Team dagegen Zähne von Neandertalern. Waren moderne Menschen also neuntausend Jahre früher als bislang angenommen nach Europa gekommen?

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Werkzeuge liefern Hinweise auf Werkzeugmacher

Eine solche Frage beantwortet heutzutage normalerweise eine Analyse des Erbguts, das in Fundstücken noch erhalten ist. In den gefundenen Fossilien war es jedoch bereits so stark zersetzt, dass zuverlässige Ergebnisse kaum möglich schienen und die Gruppe auf eine Untersuchung des Erbguts in den insgesamt neun gefundenen Zähnen von Neandertalern oder Menschen verzichtete.

„Allerdings lassen sich die Zähne beider Gruppen mit Hilfe einiger Eigenschaften und Proportionen wie der Grenze zwischen Zahnschmelz und Zahnbein gut auseinanderhalten“, erklärt Ottmar Kullmer, vom Senckenberg-Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt am Main, der an der Studie nicht beteiligt war. Mit solchen Analysen hat das Team in Frankreich einen der neun gefundenen Zähne Homo sapiens zuordnen können.

Dazu passen auch Klingen, Spitzen und andere Werkzeuge, die bei den Ausgrabungen gefunden wurden. In den Schichten, in denen auch Neandertaler-Zähne lagen, waren sie mit einer typischen Neandertaler-Technik hergestellt worden. Die Werkzeuge in der 54.000 Jahre alten Schicht sehen aber Werkzeugen ähnlich, die moderne Menschen nutzten, die damals im Nahen Osten, am anderen Ende des Mittelmeers lebten.

Dünne Beweislage

Das Team um Slimak erklärt die Funde mit einer wechselhaften Steinzeit-Geschichte der Mandrin-Höhle. Zunächst nutzten sie Jäger und Sammler der Neandertaler. Dann lebten vor rund 54.000 Jahren moderne Menschen dort, die nach Schätzungen des Slimak-Teams möglicherweise bereits ein Jahr nach dem Auszug der Neandertaler ihr Lager in der Höhle aufschlugen. Möglicherweise waren diese Menschen entlang der Mittelmeerküste vom heutigen Libanon bis an die Rhone gewandert.

Nach einiger Zeit wurden die modernen Menschen wieder von Neandertalern abgelöst, die dort vor etwa 43.000 Jahren schließlich verschwanden. Danach lebten erneut moderne Menschen in der Höhle.

Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der mit seinem Team die mit rund 45.000 Jahren bisher ältesten Spuren von Homo sapiens im heutigen Bulgarien analysiert hat, hält die Funde in der Mandrin-Höhle für außerordentlich. Allerdings findet er sie als Hinweise auf eine frühere Ankunft des modernen Menschen dünn: „Es hängt ja alles von einem einzigen Zahn ab.“ Sollte ein Tier ein Loch in ältere Sedimente gegraben haben und der Zahn hineingerutscht sein, hätte dieser zur Zeit der Ausgrabung in einer deutlich älteren Schicht gelegen und sein Alter könnte daher falsch eingeschätzt worden sein.

Vor allem aber stört Hublin die Einmaligkeit des Fundes in einer Zeit, aus der es reichlich Spuren von Neandertalern gibt. „Nach dieser Studie scheint eine Gruppe von Menschen vor 54 000 Jahren in einem Meer von Neandertalern gelebt zu haben.“ Das könnte zwar tatsächlich passiert sein, aber ein einziger Milchzahn ist als Beleg dafür dann doch etwas dürftig.

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