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Drei Studierende laufen an einem Schwarzen Brett in der Uni vorbei.

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Alexander Wöll, neuer Präsident der Europa-Uni Viadrina: „Viele Elemente, die ich aus Oxford kenne“

International, aber mit Wir-Gefühl: Wie Alexander Wöll, neuer Präsident der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), seine Uni voranbringen will.

Herr Wöll, was haben Sie mit der Viadrina vor?
Die regionale Verankerung der Universität in der grenzübergreifenden Region weiter zu verstärken, ist mir sehr wichtig. Dafür möchten wir das hiesige Kulturleben durch ein neues Festival bereichern. Zudem möchte ich die Viadrina zu einer deutsch-polnischen Universität ausbauen, indem wir das Collegium Polonicum weiterentwickeln, die gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung der Viadrina und der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen. Es soll zu einer ersten echten deutsch-polnischen Fakultät werden, deren Dekan in den Gremien beider Universitäten sitzt. Ich setze zudem auf unsere Studierenden, die so international sind, wie an kaum einer anderen Uni in Deutschland. Ich möchte sie motivieren, sich kreativ mit dem europäischen Gedanken und der Brückenfunktion der Viadrina zwischen West und Ost auseinanderzusetzen. Das ist gerade in der aktuellen politischen Situation wichtig.

Die Viadrina versteht sich bis heute vor allem als Mittlerin zwischen Deutschland und Polen. Dabei haben sich die Konfliktlagen dramatisch verschoben, man denke an die Ukraine. Auch das Land Brandenburg erwartet, dass sich die Viadrina intensiver mit der gesamteuropäischen Entwicklung auseinandersetzt.

Die Viadrina muss ein Ort sein, wo die Stereotypen und Vorurteile, denen wir täglich begegnen, reflektiert und durchbrochen werden. Wir haben ein Institut für Konfliktmanagement, das momentan auch in der Ukraine unterwegs ist und als Mediator in der Region wirkt. Schon allein wegen ihrer Lage an der Oder wird die Viadrina im Herzen immer eine deutsch-polnische Universität sein. Polen ist in der EU der erste Fürsprecher für die baltischen Staaten und für die Ukraine, insofern bauen wir auch Brücken in andere Staaten. Der Blick nach Osten schließt den nach Westen aber nicht aus. Unter unseren rund 250 aktiven Partnerschaften mit Universitäten weltweit haben wir zum Beispiel eine strategische Partnerschaft mit der Pariser Sorbonne, einer der ersten wissenschaftlichen Adressen in Frankreich.

Brückenbauer. Alexander Wöll (46) ist seit Anfang Dezember 2014 Präsident der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Zuvor war er Professor für Slawische Philologie in Greifswald; bis 2008 lehrte er in Oxford.
Brückenbauer. Alexander Wöll (46) ist seit Anfang Dezember 2014 Präsident der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Zuvor war er Professor für Slawische Philologie in Greifswald; bis 2008 lehrte er in Oxford.

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Wie sehen Sie als Slawist den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine?

Wichtig zu verstehen ist, dass die jetzigen politischen Systeme in Russland und der Ukraine nicht kompatibel sind. Für einen Slawisten ist das zunächst überraschend, weil die beiden Länder eine lange parallele Geschichte haben. Schon durch die Ähnlichkeit der Sprachen ist das Verhältnis von jeher eng. Man muss also die entgegengesetzten Entwicklungsrichtungen analysieren, wenn man nachvollziehen will, warum sich jetzt ein Krieg entwickelt hat: Die Ukraine ist ein pluralistisches Land mit vielen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, Kulturen und Religionen. An sich ist das in Russland – abgesehen von einigen autonomen Regionen – nur bedingt der Fall. Vielen Ukrainern war Ende 2013 klar, dass in ihrem Leben die wohl letzte Chance auf mehr Transparenz und Demokratie sowie weniger Korruption und Behördenwillkür verstreicht, wenn sich die Zivilgesellschaft nicht wehrt. Putin hingegen sah in den politischen Unruhen die Chance, territorialen und machtpolitischen Interessen nachzugehen. Das alles sind Faktoren, die auch zum Krieg beitrugen.

Wie bewerten Sie die deutsche Debatte?

Sie betrübt mich, weil sie auf großer Unkenntnis basiert und daher für Propaganda anfällig ist. In die eine wie die andere Richtung. Es gibt bei uns glühende Putin-Verehrer wie glühende Ukraine-Nationalisten. Beides ist absurd. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Menschen in diese Länder fahren und auf der Basis eigener Erfahrungen und solider Kenntnisse urteilen.

Wie kann die Slawistik dazu beitragen, dass die Debatte versachlicht wird?

Wenn Sie die Sprachen lernen, erfahren Sie viel über Geschichte und Mentalität, über andere Denktraditionen. Dieses Wissen hilft, die Prämissen unterschiedlicher Positionen und damit die Hintergründe von Konflikten besser zu verstehen. Und das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, emotional geführte Debatten zu versachlichen. Universitäten machen in Deutschland ja meistens keine direkte Politikberatung, sondern versuchen unabhängig zu bleiben. Das ist auf das Humboldt’sche Ideal zurückzuführen und eine wesentliche Stärke. Allerdings setzt sich an den Unis immer mehr Mainstream durch. Deutschland war lange weltweit führend in unzähligen „kleinen“ Fächern. Diese werden mehr und mehr gestrichen, hier geht viel Expertise verloren. Das betrifft nicht nur die Slawistik.

Bemerken Sie, dass sich die großen politischen Konflikte auch an Ihrer Universität niederschlagen, etwa im Verhältnis der Studierenden aus Osteuropa zueinander?

Ich durfte auf dem Empfang für internationale Gaststudierende auch Studierende aus der Ukraine und aus Russland kennenlernen. Vielen von ihnen war es wichtig zu unterstreichen, weder „Putin-Verehrer“ noch „ukrainische Nationalisten“ zu sein. Der Tenor war eher, dass sie froh sind, an der Viadrina studieren zu können und hier eine Plattform des Austausches jenseits emotionaler Debatten zu finden. Gleichwohl kann die politische Situation zu Misstrauen zwischen einzelnen Studierenden führen. Sollten derartige Ressentiments an der Viadrina geschürt werden, sehe ich mich ganz klar in der Pflicht einzugreifen. An der Viadrina sind 74 ukrainische Studierende und 75 russische eingeschrieben. Von denen darf sich keiner ausgegrenzt fühlen.

Wie werden Sie als Uni in einer kleinen Stadt noch interessanter für Studierende?

In aller Bescheidenheit: Die Viadrina hat viele Elemente, die ich aus Oxford kenne. Es gibt ein starkes Wir-Gefühl. Evaluationen zeigen eine sehr große Zufriedenheit unserer Studierenden. Die beruflichen Karrieren unserer Alumni in aller Welt bestätigen dies. Und wir sind als Forschungsstandort international attraktiv. Gemeinsam mit regionalen Akteuren können wir aber noch mehr Akzente setzen. Wir sollten dafür sorgen, dass die studentische Kultur viel stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung rückt. Unser Ziel sollte sein: Die Stadt ist für unsere Studierenden attraktiv. Wir wünschen uns, dass sie hier wohnen, nicht zuletzt weil Wohnungen günstig sind.

Beim Einwerben von Forschungsmitteln steht die Viadrina nicht so gut da. Wie können Sie das verbessern?

Wir beantragen derzeit verschiedene Graduiertenkollegs. Wir haben ein Zentrum für interdisziplinäre Polenstudien etabliert, das inzwischen bundesweit einmalig ist und zunehmend Drittmittel einwirbt. Unser Schlachtschiff ist das Forschungszentrum „B/Orders in Motion“. Hier bündeln wir die an der Viadrina und in Deutschland betriebene Grenzforschung und vernetzen uns weltweit. Die Viadrina ist als deutsch-polnischer Wissenschaftsstandort sicher auch prädestiniert für eine potenzielle Förderung des Bundes.

Werden Sie mit gutem Beispiel vorangehen und auch in Frankfurt wohnen?

Ich wohne jetzt schon hier. Nach meinem Arbeitstag gehe ich jeden Abend durch die Stadt. Letztens baten mich um halb zwölf Uhr nachts zwei Polen, einer mit einer Verletzung am Fuß, um Hilfe. Den Weg zum Krankenhaus konnte ich ihnen auf Polnisch erklären. Sie sehen, ich habe sofort Verantwortung übernommen.

Die Fragen stellte Tilmann Warnecke.

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