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Über das Affenpocken-Virus weiß die Forschung noch wenig.

© A. Männel/dpa

Affenpocken in Europa: Was steckt hinter der Verbreitung und wie gefährlich ist die Entwicklung?

Fachleute halten das plötzliche Auftreten des Virus außerhalb Afrikas für ungewöhnlich. Die Gefahr einer Epidemie schätzen sie aber als gering ein.

Dass das Affenpockenvirus eine neue Pandemie verursacht, wird von Fachleuten nicht befürchtet. Das gehäufte Auftreten von Infektionen außerhalb Afrikas hat die Wissenschaft dennoch in erhöhte Aufmerksamkeit versetzt. 

Da es in Europa bisher noch keine größeren Ausbrüche von Affenpocken gab, hält Charlotte Hammer, Epidemiologin am Downing College in Cambridge, die aktuelle Entwicklung für ungewöhnlich. Sie erwarte weitere Fälle, sagte sie gegenüber dem Science Media Center (SMC). Da die Übertragung aber offenbar über engen Körperkontakt erfolgt – über Körperflüssigkeiten, Hautausschlag und Schmierinfektionen – sei ein großer Ausbruch eher unwahrscheinlich. 

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Auch der Münchner Virologe Gerd Sutter schätzt die Gefahr einer größeren Epidemie in Deutschland beziehungsweise Europa für gering ein. Auch die Möglichkeit eines Übertritts des Virus in Tierreservoirs in Europa hält er für unwahrscheinlich, wie er dem SMC sagte. Die Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch erfolgt in der Regel bei sehr engem Kontakt zu Infizierten. 

Eine Übertragung durch Aerosole, wie etwa bei Covid-19, wurde zwar experimentell nachgewiesen, spiele aber bei der natürlichen Infektion eine höchstens untergeordnete Rolle, so Sutter. „Übertragungen der Affenpocken sind daher im Vergleich zu anderen Infektionen wie zum Beispiel Influenza oder Covid-19 relativ ineffizient und führen in Verbindung mit adäquaten Maßnahmen zur Diagnose und Kontaktermittlung meist nur zur Ausbildung kurzer Infektionsketten.“

Infektionsketten von Mensch zu Mensch

Bei den aktuell in Europa beobachteten Fällen von Affenpocken handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um ursprünglich aus Nigeria eingeschleppte Infektionen, die jetzt vermutlich in begrenzten Infektionsketten weiter von Mensch zu Mensch übertragen werden. Erste genetische Untersuchungen in Großbritannien hatten einen Virusstamm identifiziert, der den in Westafrika auftretenden Affenpockenviren zugeordnet werden kann, so Sutter.

Dieser Westafrika-Stamm verursacht Forschenden zufolge mildere Erkrankungen und habe eine niedrigere Sterblichkeit als andere Stämme des Virus. Allgemein geht man bei den westafrikanischen Affenpocken von einer Sterblichkeit von einem Prozent aus, was vor allem Kinder unter 16 Jahren betreffe. Gesundheitsbehörden zufolge verursacht das Virus meist milde Symptome wie Ausschlag, Fieber und Pusteln, kann aber auch schwere, in Einzelfällen tödliche Verläufe nach sich ziehen.

Sind ältere Pocken-Geimpfte geschützt? 

Mediziner gehen davon aus, dass die ältere Generation, die vor 1980 gegen die klassischen Pocken geimpft wurde, einen sehr hohen Schutz auch gegen Affenpocken hat. „Diese Menschen sind sehr wenig bis gar nicht gefährdet“, so Clemens Wendtner, Chefarzt der infektiologischen Klinik des Schwabinger Krankenhauses in München. Eine Schutzimpfung mit dem in Europa, Kanada und den USA zugelassenen neuen Pockenschutzimpfstoffen Vaccinia Ankara ist ebenfalls möglich, wie Virologe Sutter sagte. Mit dem Medikament Tecovirimat gebe es zudem eine in der EU zugelassene Therapiemöglichkeit.

Fabian Leendertz, Epidemiologe am Robert Koch-Institut, geht bereits aktuell von einer Epidemie aus. „Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass diese Epidemie lange dauern wird“, sagte er dem SMC. Die Fälle seien über Kontaktverfolgung gut einzugrenzen, Medikamente und Impfstoffe vorhanden.

Eine zentrale Frage ist nun, wieso das Virus plötzlich vermehrt zu Ausbrüchen außerhalb Afrikas führt. Epidemiologin Charlotte Hammer verwies dazu auf große bestehende Wissenslücken: „Wir wissen zurzeit nur wenig über Affenpocken, da die Forschung hierzu unterfinanziert und unterrepräsentiert ist.“

Fabian Leendertz setzt daher auf gute epidemiologische Daten, um zu verstehen, ob und wie die Fälle zusammenhängen. Wichtig wäre auch die Sequenzierung der Genome der Affenpockenviren. „Denn so könnten wir sehen, ob es Hinweise auf eine Veränderung des Erregers gibt, welche zum Beispiel auf eine bessere Übertragbarkeit schließen lassen“, sagte der Epidemiologe.

WHO: Ansteckungswege zurückverfolgen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert eine Reihe von Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung der Affenpocken. Es sei „dringend notwendig“, das Bewusstsein für die Virenerkrankung zu erhöhen, hieß es Samstagnacht von der UN-Organisation in Genf. Außerdem müssten Fälle umfassend ausfindig gemacht und isoliert werden, sowie Ansteckungswege rückverfolgt werden. Die Erkrankungen, die bisher in Europa, Nordamerika und Australien bekannt wurden, betrafen laut WHO hauptsächlich – aber nicht nur – Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex haben.

Es sei sehr wahrscheinlich, dass Fälle in weiteren Bevölkerungsgruppen und Ländern auftauchen. Mit Stand von Samstag ging die WHO außerhalb Afrikas von rund 90 bestätigten Infektionen und 30 Verdachtsfällen aus. Nach einem ersten Fall in Bayern gab es am Wochenende auch in Berlin zwei bestätigte Fälle von Affenpocken.

Reisebeschränkungen oder Absagen von Veranstaltungen in betroffenen Ländern sind aus Sicht der WHO derzeit nicht notwendig. Die Organisation wies zwar darauf hin, dass es bei Massenveranstaltungen zu Ansteckungen kommen kann, betonte aber auch, dass Vorsichtsmaßnahmen gegen Covid-19 auch gegen Affenpocken wirken.

Die (WHO) erarbeitet derzeit Leitlinien zur Eindämmung der Ausbreitung von Affenpocken. Es werde befürchtet, dass die Zahl der Fälle in den Sommermonaten weiter ansteigen könnte, sagte der Vorsitzende Berater der WHO für Infektionsgefahren, David Heymann.  (mit SMC, dpa, Reuters) 

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