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Bis es quietscht. Schavans Doktorarbeit spaltet die Wissenschaft. Jetzt fordern ihre Unterstützer neue Plagiatsverfahren.

© TSP

Affäre Schavan: Doktoren auf Entzug

Nach dem Plagiatsverfahren gegen Schavan: Können die Universitäten bei der Aberkennung der Titel weitermachen wie bisher? Eine Umfrage unter Experten.

Seit langem hat es innerhalb der Wissenschaft keine derartig großen Verwerfungen mehr gegeben wie wegen der Doktorarbeit der zurückgetretenen Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Führende Vertreter der Wissenschaft haben die Philosophische Fakultät der Universität Düsseldorf monatelang für ihr Verfahren heftig kritisiert, darunter sogar die Allianz der zehn großen Forschungsorganisationen. Jetzt fordern ehemalige Wegbegleiter Schavans Konsequenzen für die Plagiatsverfahren an Universitäten. So empfiehlt der ehemalige DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker, der der Uni Befangenheit und eine „Hetzjagd“ auf Schavan vorwirft, zur Unterstützung der Fakultäten eine Zentralstelle einzurichten.

Jürgen Mlynek, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, und Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität, fordern einen bundesweiten Referenzrahmen für Plagiatsverfahren. Christoph Markschies, Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie, hat ein Forschungsprojekt „Zitat und Paraphrase“ initiiert, das die jeweils gültigen Standards eines Faches überhaupt erst klären soll. – Müssen die Plagiatsverfahren an deutschen Fakultäten grundlegend reformiert werden? Wir haben Wissenschaftler um ihre Meinung gebeten.

Gerhard Dannemann, Professor für Recht, Wirtschaft und Politik Großbritanniens am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität und Mitarbeiter im Vroni-Plag Wiki:

„Die Plagiatsverfahren sollen völlig umgekrempelt werden, fordern einflussreiche Wissenschaftler. Warum eigentlich? Weil für sie alles um die ehemalige Ministerin Annette Schavan kreist. Das Ziel: Frau Schavan darf nicht plagiiert haben, nicht daran schuld sein oder zumindest ihren Doktortitel nicht einbüßen.

Damit das schavanzentrische Weltbild erhalten bleiben kann, müssen Schavans namhafte Unterstützer in ihrer Argumentation immer waghalsigere Kehrtwendungen einschlagen. So erklärten im Mai 2012 acht Wissenschaftsvertreter in der ,Süddeutschen Zeitung‘, Plagiate sollten von der zuständigen Fakultät genau geprüft werden; andere sollten sich bitte zurückhalten. Kaum hat die Düsseldorfer Fakultät den Kriterienkatalog des Artikels abgearbeitet und Frau Schavan den Doktortitel entzogen, greifen einige der Verfasser zu einer neuen Verteidigungsstrategie. Jetzt soll die Ex-Ministerin entlastet werden, indem behauptet wird, sie sei das Opfer einer strukturellen Unterentwicklung geworden: Deutschland fehle eine zentrale Untersuchungsstelle für Plagiate, ja, es sei nicht einmal geklärt, was ein Plagiat überhaupt sei. Das müsse erst in einem Projekt zu ‚Zitat und Paraphrase‘ erforscht werden.

Gerhard Dannemann
Gerhard Dannemann

© Promo

Genauso war es auch, als man darauf pochte, Frau Schavans Arbeit müsse ausschließlich an den Maßstäben ihres Faches und ihrer Zeit gemessen werden. Als diese Maßstäbe geklärt werden konnten – ein Leitfaden aus dem Jahr 1978 fand sich, Herausgeber war sogar Schavans Doktorvater – verlegten sich die Schavanzentriker auf ein neues Argument: Die Regeln des ,Heftchens‘ seien zu ,technisch‘. Auch müsse erst ermittelt werden, ob Schavans Kommilitonen sich an die Regeln gehalten haben. – Jedenfalls schade, dass für diese Ehrenrettung wissenschaftliche Standards geopfert werden.“

Volker Rieble, Professor für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Universität München, Autor des Buches „Das Wissenschaftsplagiat“:

„Wenn jetzt Herr Winnacker behauptet, die Fakultät in Düsseldorf sei befangen gewesen, ist das völlig daneben. Klar ist dagegen: Winnacker ist befangen, denn er hat als DFG-Präsident jahrelang das Geld des Bundeswissenschaftsministeriums ausgegeben. Relevant in der Frage der Titelaberkennung ist allein, ob es in der Arbeit Falschangaben beim Zitieren gab. Dafür sind Textähnlichkeiten festzustellen. Das kann bei geisteswissenschaftlichen Arbeiten im Prinzip jeder, der der deutschen Sprache mächtig ist. Der Ruf nach einem Zweitgutachter ist da völlig abwegig.

Volker Rieble
Volker Rieble

© Daniel Apelt

Und die Idee einer Zentralstelle für Überprüfung wissenschaftlichen Fehlverhaltens? Das läuft darauf hinaus, dass die Fakultät den Titel vergibt, die zentrale Stelle ihn aber entzieht. Die Möglichkeiten politischer Einflussnahme wäre viel größer. Da kann man sich leicht ausrechnen, wem niemals sein Titel aberkannt wird. Es gibt kein Deuteln: Würde man diese Schavan-Arbeit anonymisiert tausend Hochschullehrern vorlegen, würden 999 sagen: Das geht so nicht. Wenn das Verwaltungsgericht sein Urteil spricht, erwarte ich von den Kritikern zumindest, dass sie mit einem Kniefall der Uni Düsseldorf Abbitte leisten.“

"Wird man mit dem Auto geblitzt, stellt auch niemand die Frage, ob es noch zweier weiterer Radarfallen bedarf"

Stefan Hornbostel, Professor für Soziologie an der Humboldt-Universität und Leiter des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung (IFQ):

„Es gibt Grenzen der Standardisierung für Verfahren des Doktortitelentzugs. Jeder Fall ist anders, und Universitäten müssen die Freiheit haben, in jedem Fall angemessen zu agieren. Wenn es um die Frage geht: Ist hier plagiiert worden?, kann man die natürlich mit einem einzigen Gutachter beantworten. Hier geht es um eine Tatsachenfeststellung. Wird man mit dem Auto geblitzt, weil man zu schnell fährt, stellt schließlich auch niemand die Frage, ob es noch zweier weiterer Radarfallen bedarf, um die Geschwindigkeitsüberschreitung festzustellen. Für die Entzugsentscheidung müssen weitere Aspekte gewürdigt werden: Reichen die Fundstellen wirklich aus, um den Titel zu entziehen? Welchen Wert hat die Arbeit insgesamt? Das zu diskutieren ist dann Sache des zuständigen Gremiums.

Stefan Hornbostel
Stefan Hornbostel

© Promo

An dieser Stelle kommen disziplinäre Standards ins Spiel. Wenn es da Zweifel gibt, empfiehlt es sich, kompetente und möglichst externe Meinungen einzuholen, sei es als Gutachten oder als personelle Ergänzung der Gremien. Soweit ich das überblicken kann, hat die Universität Düsseldorf mit ihrem Verfahren in diesem Punkt durchaus korrekt gehandelt, in anderen, etwa die Vertraulichkeit betreffenden Punkten, nicht. Über die Wertung des Falls kann man unterschiedlicher Meinung sein, man sollte dann aber nicht Sympathien für eine Ministerin mit Verfahrensschelte verwechseln.“

Bernhard Kempen, Professor für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität Köln und Präsident des Deutschen Hochschulverbandes:

„Die Beurteilung der Bundesministerin Schavan und die Beurteilung der Doktorandin Schavan dürfen nicht miteinander vermengt werden. Es schadet der Wissenschaft, wenn hochrangige Vertreter der scientific community das Vorgehen der Universität Düsseldorf gegen eine promovierte Absolventin in Zweifel ziehen. Beurteilungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit eines Verfahrens zur Aberkennung eines Doktorgrades kann nur das Verwaltungsrecht sein. Wenn eine Behörde eine Erlaubnis erteilt, entscheidet sie auch über deren Widerruf. Expertise von außen muss sie dazu qua Gesetz nicht einholen. Ihre Letztverantwortung werden Fakultäten und Fachbereiche nicht an eine zentrale Prüfungsstelle delegieren können und auch nicht wollen. Ein allgemeines Wächteramt für Promotionen passt nicht zur grundgesetzlich geschützten Selbstverwaltung der Wissenschaft.

Bernhard Kempen
Bernhard Kempen

©  promo

Richtig aber ist: Jede Aberkennung eines akademischen Grades ist auch eine peinliche Schlappe für die Universitäten, deren Glaubwürdigkeit erschüttert wird. Umso dringender sind Fakultäten und Fachbereiche dazu aufgerufen, sich schleunigst über die Qualitätsstandards bei wissenschaftlichen Arbeiten zu vergewissern und zu einheitlicheren Regeln für Promotionen zu gelangen. Nur so können sie verloren gegangenes Vertrauen zurückerobern.“

"Es widerspricht aller Erfahrung, dass ein solches Gremium Fehler unter den Tisch zu kehren versucht"

Wolfgang Löwer, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn und Sprecher des Gremiums Ombudsman für die Wissenschaft, das in Fragen guter wissenschaftlicher Praxis berät:

„In der Debatte ist behauptet worden, das Düsseldorfer Verfahren sei vielleicht ,formaljuristisch‘ korrekt gelaufen, doch den wissenschaftlichen Standards der DFG habe es nicht genügt. Klarzustellen ist: Die DFG formuliert Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, aber keine Verfahrensregeln für Plagiatsverfahren in Dissertationen und sie hat dazu auch keine Empfehlungen abgegeben. Das muss sie auch nicht, denn diese Verfahren sind im Verwaltungsrecht geregelt und zwar so, dass sie auch allen Ansprüchen der Wissenschaft entsprechen.

Wolfgang Löwer
Wolfgang Löwer

© Uni Bonn

Man sollte die Sache auch nicht komplizierter machen, als sie ist. Zu untersuchen war die triviale Frage, ob eine Doktorandin abgeschrieben hat. Das lässt sich durch einen Textvergleich klären. Hat sie abgeschrieben, ist es ein Verstoß gegen ihre Versicherung gegenüber der Fakultät, sie habe fremde Textstellen ausreichend gekennzeichnet. Sogar kompliziertere Fälle, wo es um Ideenklau geht, wären kein Grund, die Verfahren der Fakultäten anders zu gestalten. Dieser Ruf ist erst im Fall Schavan laut geworden. Das Besondere an dem Vorgang ist nicht die Tat, sondern die Prominenz des Täters. Deshalb hätten alle Stimmen, die sich mitten im Verfahren kritisch geäußert haben, jeden Anschein vermeiden müssen, dass hier, was die Tat betrifft, ein Sonderfall vorliegt.

Wir brauchen auch keine Zentralstelle für die Überprüfung von Plagiaten, wie es sie in Österreich gibt. Sie wäre auch schwer zu handhaben. Denn schon das Wissenschaftssystem von Nordrhein-Westfalen ist doppelt so groß wie das von Österreich. Es ist durchaus ein Vorteil, wenn die Behörde, also die Fakultät, ihren eigenen Fehler selbst korrigiert und den zu Unrecht vergebenen Doktorgrad aberkennt. Denn sie wird dadurch auch mit ihrem eigenen früheren Versagen konfrontiert. Das ist im Übrigen ein ganz allgemein geltendes Prinzip im Verwaltungsrecht.“

Michael Hartmann, Professor für Elite- und Organisationssoziologie an der Technischen Universität Darmstadt:

„Die Argumente, die Verteidiger von Annette Schavan vorbringen, halten einer Überprüfung nicht stand. So kann von Befangenheit keine Rede sein. Es widerspricht aller Erfahrung in universitären Gremien, dass ein solches Gremium Fehler, die vor Jahrzehnten gemacht wurden, unter den Tisch zu kehren versucht. Davon hätte einfach keiner der aktuell dort sitzenden Hochschulvertreter etwas. Die zuständigen Gremien der Düsseldorfer Universität haben bei ihrem Vorgehen alle wissenschaftlichen Standards eingehalten.

Michael Hartmann
Michael Hartmann

© Promo

Für die massiven Einflussversuche der führenden Wissenschaftsrepräsentanten gibt es nur einen Grund. Schavan stand wie niemand zuvor in diesem Amt für das Anliegen, das sie alle teilen: die Förderung von Eliten. Sie hat die Exzellenzinitative als bahnbrechenden Fortschritt gefeiert, die Gründung einer Bundesuniversität vorangetrieben und mit dem Deutschlandstipendium auch unter den Studierenden der Spitzenförderung eindeutig Vorrang eingeräumt. Das und nicht die finanzielle Abhängigkeit der Wissenschaftsorganisationen hat zu dieser breiten Solidarisierung geführt. Viele dabei verwendete Argumente schaden eindeutig der Wissenschaft.“

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