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Ein Junge schreibt eine einfache Gleichung an die Tafel.

© Jörg Carstensen/pa/dpa/dpaweb bildfunk

ADHS und Rechenschwäche: Ist die Aufmerksamkeit gestört, kann auch Mathe zum Problem werden

Zwischen Dyskalkulie und ADHS gibt es Überschneidungen. Klare Diagnosen sind wichtig – damit die Mathematik-Angst nicht übermächtig wird.

Richtig! Falsch! Kaum etwas ist so leicht zu beurteilen wie das Ergebnis einer Rechenaufgabe. Deutlich komplizierter wird es schon, wenn man sich fragt, wie ein Kind auf seine ungeeignete Lösungsstrategie verfallen ist. Und noch schwieriger wird es, wenn es um die Gründe dafür geht, dass Heranwachsende in Mathe „schlecht“ sind.

Einer der Gründe ist zugleich eine medizinische Diagnose: Dyskalkulie. Die Rechenstörung ist zwar weniger bekannt als die Lese-Rechtschreibschwäche (Legasthenie), doch auch diese spezifische Lernstörung kann Kindern heftig zu schaffen machen.

Mit unterschiedlichen Methoden auf die Probleme reagieren

Anfangs fallen sie dadurch auf, dass sie besondere Schwierigkeiten beim Zählen haben, lange Zeit die Finger dabei zu Hilfe nehmen müssen. Später scheitern sie – obwohl ansonsten von schneller Auffassungsgabe – beim Lösen von Additions- und Subtraktionsaufgaben, die ihren Altersgenossen leichtfallen.

Allerdings ist angesichts der hochkomplexen kognitiven Leistungen, die dafür nötig sind, schwer zu entscheiden, ob ein Kind sich mit der Welt der Zahlen schwertut oder ganz allgemein mit dem Konzentrieren und Merken. Dafür könnte etwa das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) verantwortlich sein. Lehrer, Eltern und andere Helfer müssen diese Probleme mit unterschiedlichen Methoden angehen. „Man sollte nicht alles Rechenstörung nennen“, mahnte Helga Krinzinger, Neuropsychologin am Uniklinikum Aachen, jetzt beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Ulm. Krinzinger und ihr Team haben junge Patientinnen und Patienten aus den Klassen 5 bis 11, bei denen mindestens ein Intelligenz-Quotient von 85 gemessen worden war, unter anderem mithilfe eines einschlägigen Tests zur Diagnostik einer Rechenstörung („Basis-Math“) untersucht.

Wer Ritalin nimmt, kann sich besser selber korrigieren

Die Psychologen analysierten auch die Fehler der Kinder und ihre Fähigkeiten zur Selbst-Korrektur, um zu erfassen, wer wirklich Schwierigkeiten mit den für Mathe wichtigen Kernkompetenzen hat. Typisch sind etwa Probleme bei der Abschätzung und beim Vergleich von Mengen. So kann man die Schüler herausfiltern, die eine primäre Rechenstörung haben. Sie brauchen – wie die Legastheniker – gezielte schulische Förderung, eventuell auch Lerntherapien und einen schulischen Nachteils-Ausgleich.

Kindern, die an erster Stelle ein Aufmerksamkeitsproblem haben, steht ein solcher Ausgleich nicht zu. Sie profitieren aber besonders davon, wenn der Alltag gut strukturiert wird, brauchen eventuell auch eine Psychotherapie oder Medikamente. Nach Beobachtung der Aachener Forscher fallen sie in der Testsituation dadurch auf, dass sie auf Aufforderung gut dazu in der Lage sind, ihre eigenen Fehler zu erkennen und zu korrigieren. „Kindern, die wegen ihres ADHS Medikamente bekommen, gelingen solche Selbstkorrekturen dabei häufiger“, sagte Krinzinger. Medikamente wie Methylphenidat (besser bekannt unter dem Namen Ritalin) haben zudem den Untersuchungen zufolge auch positive Auswirkungen auf das Arbeitsgedächtnis.

Ein Drittel hat beide Störungen gleichzeitig

Fein säuberlich trennen lassen sich ADHS und Rechenstörung allerdings nicht. Schon weil viele Kinder beide Probleme haben: Studien zufolge zeigen bis zu einem Drittel der Kinder mit einer Rechenstörung zugleich Symptome eines Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) – mit Betonung der Konzentrations-Schwierigkeiten. Sowohl bei ADHS als auch bei einer Rechenstörung sei die Fähigkeit beeinträchtigt, Fakten aus dem Gedächtnis abzurufen – wenn auch aus verschiedenen Gründen, konstatierte Elena von Wirth von der Uni Köln. Diese könnten Testverfahren, die die kognitiven Fähigkeiten ermitteln, nicht differenziert abbilden. Deshalb müssten standardisierte Rechentests eingesetzt werden, wenn der Verdacht auf eine Dyskalkulie besteht, auch bei einem Kind mit ADHS.

Aber auch bei Heranwachsenden, die zunächst gern in die Schule gehen, sich gut konzentrieren können und keine Verhaltensauffälligkeiten zeigen, kann auf die Dauer die Seele unter den Misserfolgen leiden. Und Mathe gilt allgemein als besonders „angstbesetztes“ Fach. Was Karin Kucian vom Universitätsspital in Zürich herausfand, verwundert nicht: „Mathematikangst“ findet sich besonders häufig bei Kindern mit einer diagnostizierten Dyskalkulie – und zwar unabhängig davon, wie gut sie in Intelligenztests abschneiden und wie leicht sie sich beim Lesen oder Schreiben tun. „Wir fanden eine deutliche Beziehung zwischen der Anzahl richtig gelöster Additions- und Subtraktions-Aufgaben und der Angst vor dem Fach.“

Wer einen Horror vor Mathe hat, rechnet mit Schmerzen

Die Forscher nutzten für ihre Untersuchung zunächst einen einschlägigen, besonders aussagekräftigen Fragebogen. Eine Stichprobe von 43 Kindern wurde zudem aber auch in den Magnetresonanz-Tomografen (MRT) gelegt. Dabei zeigte sich bei denjenigen Studienteilnehmern, die im Fragebogen über Angst vor Mathe berichtet hatten, in zwei Gehirnregionen, die maßgeblich an der Verarbeitung von Angst beteiligt sind, eine auffällige Veränderung des Volumens.

Studien mit erwachsenen Teilnehmern haben übrigens bereits vor einigen Jahren gezeigt: Menschen, für die Mathe ein Horror ist, reagieren auf die bloße Vorstellung, gleich eine anspruchsvolle Aufgabe lösen zu müssen. Bei den Versuchspersonen wurden in dieser Situation Hirnareale aktiviert, die für körperlichen Schmerz zuständig sind. Sie rechnen damit, dass Rechnen wehtut.

Einen Bericht zum aktuellen Streit um den Mathematik-Unterricht in der Schule lesen Sie hier.

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