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Die trompetenartigen Balzrufe der Grauen Kraniche sind weithin hörbar und klingen wie eine Aneinanderreihung der Silbe „gruh“. Der wissenschaftliche Name Grus grus geht auf diese Lautäußerungen zurück.

© Patrick Pleul/dpa

Absturz der grauen Tänzer: Brandenburgs Kraniche haben zu wenig Nachwuchs

Der Bestand der Kraniche in Brandenburg nahm jahrelang zu. Nun bleiben Bruterfolge aus. Vogelschützer benennen Ursachen.

Wenn es vor allem höhere Temperaturen sind, die den Grauen Kranichen Brandenburgs zu schaffen machen, dann scheint ihre Erfolgsgeschichte zu enden. 2020 wird wahrscheinlich eines der drei wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen, teilte die Weltmeteorologie-Organisation am Dienstag mit. Die Bestände der Vögel in Brandenburg haben in den letzten drei Jahrzehnten zugenommen. Nun schaffen sie es aber kaum noch, Küken groß zu ziehen.

Beate Blahy widmet sich seit 23 Jahren den Kranichen. Sie und ihr Mann Eberhard Henne sind als Experten international gefragt. Blahy hat die wissenschaftlich Grus grus genannten Vögel methodisch beobachtet, beringt, großgezogen und ausgewildert. Sie hat bei einem Projekt mitgewirkt, in dem Eier brandenburgischer Kraniche nach Großbritannien gebracht wurden, um dort – erfolgreich – eine neue Kranichpopulation zu begründen. Im nunmehr 20. Jahr beobachtet sie Kranichpaare und ihre Bruterfolge in einem 26 Quadratkilometer großen Gebiet in der Uckermark. Nachdem die Zahl der Brutpaare in dem Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin von 120 im Jahr 1990 auf mehr als 500 im Jahr 2019 anstieg, scheint sich der Trend nun umzukehren. „Seit drei Jahren gehen die Bruterfolge stark zurück. In diesem Jahr konnten die von mir beobachteten 24 Kranichpaare kein einziges Küken großziehen“, zieht Blahy Bilanz.

Als wesentliche Ursache für dieses Phänomen nennt sie ausbleibende Niederschläge: „Regen fehlt schon im Winter. So liegen die Pegel der Brutgewässer bereits im Frühjahr unter dem Durchschnitt und sinken in warmen Jahren schnell weiter.“

Zum Schutz vor Wildschweinen oder Füchsen baut das Kranichpaar sein Bodennest in Gewässern wie Erlenbrüchen, Mooren und Söllen. Dafür nutzen sie Wurzelanläufe von Bäumen, kleine Seggeninseln oder sonstige Unterlagen. Die meist zwei Küken schlüpfen normalerweise nach rund 30 Tagen Brutdauer. Doch aufgrund der drei Trockenjahre in Folge ist nichts mehr normal.

„In Feuchtgebieten angelegte Nester fallen komplett trocken oder der Wasserstand ist so niedrig, dass sich auch Füchse an das Nest wagen“, berichtet Blahy. In diesem Jahr beobachtete sie ein Paar, das seine Eier auf den blanken Boden in einem ausgetrocknetem Moor gelegt hat. Sie waren nach zwei Tagen weg. Zwar kann es vorkommen, dass ein Kranichpaar nach dem Verlust eines Geleges ein zweites Mal Eier bebrütet. Doch wenn der Brutplatz aufgrund von Wassermangel nicht geeignet ist, haben sie kaum Chancen auf Nachwuchs.

Ein Blick auf die Daten der nahen Wetterstation Angermünde verdeutlicht, was die Begriffe Trockenjahr und Dürre bedeuten: Sieben der letzten acht Jahre waren trockener als der langjährige Durchschnitt von 552 Regenlitern auf den Quadratmeter. Im Jahr 2018 lagen 82 Sommertage mit Temperaturen von mehr als 25 Grad und 25 Hitzetage mit Temperaturen von mehr als 30 Grad über der Uckermark. Das heißt für besagtes Jahr 107 Tage mit mehr als 25 Grad. Hohe Temperaturen entziehen dem Boden Wasser, zumal auch Pflanzen unter Hitzestress leiden und mehr Wasser verdunsten.

Die Küken der grauen Tänzer, die mit leichtfüßigen Einlagen besonders im Frühjahr und Herbst Beobachter erfreuen, übernachten noch fünf bis sechs Wochen gemeinsam mit den Eltern im Nest. Die zimtroten Flaumknäuel können vom ersten Lebenstag an schwimmen, doch ohne Wasser sind sie ungeschützt. Fliegen können Kranichküken erst ab einem Alter von zehn Wochen. Bis dahin müssten sie heimlich leben – und satt werden. „In diesem Zeitraum müssen sie von 120 Gramm Schlupfgewicht auf 3,5 Kilogramm zulegen. Dafür benötigen sie sehr viel Protein, das ihnen vor allem große Insekten liefern“, erklärt Blahy. Aber die Bestände vieler Insekten nehmen rapide ab, gerade in der Agrarlandschaft, die wesentlicher Bestandteil des Kranichlebensraumes ist. Ausgewachsene Tiere haben es leichter, sie ernähren sich überwiegend pflanzlich.

Die flugunfähigen Küken haben zahlreiche Fressfeinde: Wildschweine, Füchse, große Greifvögel. Der ursprünglich in Nordamerika heimische Waschbär ist noch hinzugekommen. Kranicheltern stehen ihm häufig erstaunlich tatenlos gegenüber. Blahy berichtet, wie sich die Kleinbären ungehindert an den Eiern bedienen. Es scheine, als würden die erwachsenen Kraniche nicht begreifen, was vor sich geht. Selbst kleinere Jungkraniche gehören zum Beutespektrum der Waschbären. „Für die meisten Kraniche ist der Waschbär immer noch ein Unbekannter“, sagt Blahy. „Wenn sich das nicht ändert und weitere Trockenjahre folgen, dann können wir den Kranich hier im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin als Brutvogel verlieren.“

Nicht nur dort. Die Zahl der erfolgreichen Kranichbruten schwindet in beiden deutschen Kranichländern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Bei Franco Ehlert, dem Landeskoordinator für Kranichbruten in Brandenburg, laufen die Brutmeldungen des Landes zusammen. „Seit fünf bis sechs Jahren notieren wir empfindliche Verluste bei den Jungvögeln der Kraniche.“ Jeden August zählen ehrenamtliche Kranichschützer die lebenden Jungvögel in ihrem Bereich. Wenn sie es bis dahin geschafft haben, stehen ihre Chancen weiter zu überleben gut. „Um die Art langfristig bei uns zu erhalten, bräuchten wir im August 11 bis 12 Jungvögel auf 100 Kraniche. Doch in den vergangenen Jahren waren es stets nur fünf bis sechs“, sagt Ehlert.

Blahy kennt diese Zahlen, resigniert aber nicht. „Diese Tiere haben mich von Anfang an fasziniert. Ihre Erscheinung, ihre Grazie, die überragende Stimme und ihr enormes Verhaltensrepertoire sind unglaublich. Ich kenne keinen anderen Vogel, der sich so vielfältig ausdrücken kann.“ Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie bislang neun elternlose Kranichküken aufgezogen, jedes Mal rund um die Uhr damit beschäftigt. „In diesen intensiven Zeiten, es sind ja immer gleich Monate, habe ich erfahren, dass jedes einzelne Küken seine eigene Persönlichkeit hat“, sagt die Vogelschützerin. Ausgewachsen, mit Spannweiten von bis zu 2,40 Meter, schließen sich die Jungkraniche ihren wilden Artgenossen an und ziehen im Herbst nach Südwesten.

„Um die Feuchtgebiete zu erhalten, müssen wir das Wasser in der Landschaft halten. Die Entwässerungen auf landwirtschaftlichen Flächen müssen endlich gestoppt und wo nötig, zurückgebaut werden“, fordert Blahy. Mit den beginnenden Auswirkungen des Klimawandels sollte die Zeit der immer tieferen Entwässerungsgräben vorbei sein.

Ebenso entscheidend für das Überleben zahlreicher Feuchtgebiete, die Lebensraum für weit mehr Arten als nur Kraniche bieten, sind nach Ansicht Blahys gezielte Staumaßnahmen. „Meine Hoffnung liegt in großen Projekten wie der Wiedervernässung des Randowbruchs. Genauso wichtig ist es, das Rhinluch zu bewahren, feucht zu halten, das darf auf keinen Fall austrocknen.“

In ihrem Gebiet kooperiert der Wasser- und Bodenverband „Welse" mit Vertretern des Naturschutzes, ohne die berechtigten Interessen der Landwirtschaft zu vernachlässigen. „Wir benötigen kluge Modelle und verlässliche Partner, um die Zukunft unserer Kraniche zu sichern“, sagt Blahy.

Roland Schulz

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