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Der Präsident von Belarus Alexander Lukashenko.

© imago images/ITAR-TASS/Valery Sharifulin

Update

Aber erst nach Verfassungsreform: Lukaschenko wohl doch für Neuwahlen offen

Einem Medienbericht zufolge ist der belarussische Präsident nun doch bereit, die Wahlen zu wiederholen. Derweil buhen streikende Arbeiter Lukaschenko aus.

Der umstrittene belarussische Präsident Alexander Lukaschenko gibt einem Medienbericht zufolge nun doch der Forderung nach einer Neuwahl statt. Einem Bericht der Nachrichtenagentur RIA zufolge ist Lukaschenko bereit, die Präsidentschaftswahl zu wiederholen, sobald eine neue Verfassung angenommen worden ist. Zuvor hatte er Neuwahlen mehrfach abgelehnt.

Es werde keine Neuwahl geben, wurde Lukaschenko am Montag noch von der Nachrichtenagentur Belta zitiert. Er sei aber bereit, die Macht zu teilen, allerdings nicht unter dem Druck von Protesten. An einer möglichen Verfassungsänderung werde bereits gearbeitet.

Lukaschenko regiert das Land seit 26 Jahren autoritär. Nach der Wahl hatte er sich zum Sieger mit großem Vorsprung erklärt. Die Opposition sprach von Wahlbetrug und reagierte mit Demonstrationen, gegen die Sicherheitskräfte brutal vorgingen.

Die EU will sich am Mittwoch dazu beraten. EU-Ratschef Charles Michel hat dafür einen Videogipfel angesetzt. Die Menschen in Belarus hätten das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen, schrieb Michel am Montag auf Twitter. Gewalt gegen die Demonstranten sei inakzeptabel.

Die Bundesregierung schließt angesichts des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten in Belarus eine Ausweitung der Sanktionen gegen Verantwortliche nicht aus. "Natürlich sehen auch wir die Option, die Sanktionen auf weitere verantwortliche Personen auszuweiten", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Ob es weitere Maßnahmen gebe, hänge wesentlich vom Verhalten der dortigen Behörden ab.

Seibert: Proteste sind "beeindruckend und berührend"

Seibert bezeichnete die Proteste in Belarus als "beeindruckend und berührend". Die Menschen forderten Rechte ein, die selbstverständlich sein sollten. Die wichtigsten Anliegen der Bundesregierung und von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seien, dass die Behörden auf den Einsatz von Gewalt gegen friedliche Demonstranten verzichteten, politische Gefangene unverzüglich freigelassen würden und es zu einem nationalen Dialog komme.

Seibert brachte zur Überprüfung der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Belarus zudem die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ins Gespräch. Die OSZE könne dabei eine "wichtige Rolle" spielen, sagte der Regierungssprecher. Die Wahlen in Belarus seien "ohne demokratische Mindeststandards" abgelaufen. 

Die Bundeskanzlerin stand nach seinen Angaben am Wochenende mit anderen europäischen Regierungschefs und EU-Ratspräsident Charles Michel in Kontakt.

Arbeiter in Staatsbetrieben streiken

In Belarus traten am Montag Arbeiter in vielen Staatsbetrieben in den Streik. Die Fabriken gelten in der Ex-Sowjetrepublik als elementar für das Funktionieren des Staates. Experten gehen davon aus, dass Lukaschenko über die Arbeitsniederlegungen nach 26 Jahren an der Macht am schnellsten zum Aufgeben gedrängt werden kann.

Die Staatsagentur Belta behauptete am Montag, dass die Werke im Land „im Großen und Ganzen funktionieren“. Lukaschenko sagte: „Diejenigen, die arbeiten wollen, sollen arbeiten. Wenn nicht, dann werden wir sie auch nicht dazu zwingen.“ Wenn 150 oder sogar 200 Menschen streikten, dann habe das keinen Einfluss auf den Betrieb.

Teilnehmer einer Demonstration der belarusischen Opposition versammeln sich im Zentrum der Hauptstadt.
Teilnehmer einer Demonstration der belarusischen Opposition versammeln sich im Zentrum der Hauptstadt.

© Sergei Grits/AP/dpa

Lukaschenko flog am Vormittag mit einem Hubschrauber auf das Werksgelände. Während der Rede riefen ihm die Beschäftigten „Hau ab“ entgegen, wie in Videos zu sehen war. Im Nachrichtenkanal Telegram gab es Aufnahmen von Versammlungen in Betrieben und Mitarbeiter, die ihre Fabriken verlassen hatten und auf der Straße demonstrierten.

Oppositionspolitikerin Tichanowskaja bereit zur Machtübernahme

Auch das Staatsfernsehen hatte am Montag Sendeprobleme, weil Mitarbeiter entweder streikten oder prominente Moderatoren gekündigt haben. Für den Abend war in der Hauptstadt Minsk eine neue Großkundgebung geplant. Bereits am Sonntag demonstrierten im Stadtzentrum Hunderttausende gegen Gewalt und Willkür unter Lukaschenko. Viele forderten auch seinen Rücktritt und Neuwahlen.

Die belarussische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja hatte ihre Bereitschaft zur Machtübernahme signalisiert. Sie sei bereit, ihr Land zu führen, sagte sie am Montag in einer von Litauen aus verbreiteten Videoansprache. Zugleich sprach sie sich dafür aus, den rechtlichen Rahmen für neue und faire Wahl zu schaffen.

Swetlana Tichanowskaja, Kandidatin bei der Präsidentenwahl in Belarus und Ehefrau des prominenten inhaftierten Bloggers Tichanowski.
Swetlana Tichanowskaja, Kandidatin bei der Präsidentenwahl in Belarus und Ehefrau des prominenten inhaftierten Bloggers Tichanowski.

© Sergei Grits/AP/dpa

An den Sicherheitsapparat ihres Heimatlandes appellierte sie, sich von der Regierung von Präsident Alexander Lukaschenko zu lösen und die Seiten zu wechseln. Ihr früheres Verhalten werde vergeben, wenn sie dies jetzt täten.

Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja war nach der Wahl am vorvergangenen Wochenende laut Angaben ihres Teams nach Drohungen der Behörden nach Litauen ausgereist. Ihr Mann ist als Oppositioneller seit längerem in Belarus in Haft.

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Auch andere Staaten üben Druck auf Lukaschenko aus. Großbritannien teilte am Montag mit, das Wahlergebnis in Belarus nicht anzuerkennen. Der britische Außenminister Dominic Raab sprach im Kurznachrichtendienst Twitter von „Betrug“ und „schweren Mängeln“. Raab kritisierte auch die Unterdrückung der friedlichen Proteste nach der Wahl. Er forderte eine Untersuchung und drohte, gemeinsam mit anderen Ländern Sanktionen zu beschließen.

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Trotz der staatlichen Repressionen protestierten am Sonntag zehntausende Belarusen friedlich in der Hauptstadt Minsk. Die Polizei schritt - anders als in der vergangenen Woche - kaum mehr ein.

Die Lage ist gespannt, weil die Behörden die Proteste für illegal erklärt haben. Es stehen auch Militärfahrzeuge bereit, wie auf Fotos im Nachrichtenkanal Telegram zu sehen ist.

Polen: „Wir werden nicht passiv sein“

Das benachbarte Polen verfolgt unterdessen die Situation an seiner Grenze zu Belarus. „Wir beobachten, was in Belarus geschieht - genau wie alle Nato-Länder, und wir werden uns auch ansehen, was an unseren Grenzen geschieht", sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Wojciech Skurkiewicz im Rundfunk.

Wir werden bei dieser Beobachtung nicht passiv sein." Die belarusische Armee plant, vom 17. bis 20. August in der Nähe eines Atomkraftwerks und in der an Polen und Litauen angrenzenden Region Grodno Übungen abzuhalten, wie die Nachrichtenagentur RIA am Sonntag unter Berufung auf das Verteidigungsministerium berichtet. Lukaschenko hatte zuvor gesagt, dass Luftstreitkräfte an die belarusische Westgrenze verlegt würden.

Litauen: „Heute keine militärische Gefahr, die von Belarus ausgeht“

Litauens Verteidigungsminister Raimundas Karoblis warf der Führung des Nachbarlandes am Montag vor, eine Eskalation der derzeitigen Spannungen herbeiführen zu wollen. Die belarussische Führung versuche, "ein Narrativ der sogenannten ausländischen Bedrohung zu entwickeln", sagte Karoblis der Nachrichtenagentur AFP.

Seine Regierung verfolge gemeinsam mit Nato-Partnern die Situation im belarussischen Grenzgebiet zu Litauen und Polen genau, sagte Karoblis. Jedoch sehe er "heute keine militärische Gefahr, die von Belarus ausgeht".

Litauen und Polen hatten angeboten, zwischen Lukaschenko und der Opposition zu vermitteln. Litauen gewährt auch der Oppositionspolitikerin und Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja Exil.

Röttgen warnt vor militärischen Intervention Russlands

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warnte unterdessen vor einer militärischen Intervention Russlands in Belarus. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin müsse klar sein, dass eine Militärintervention "gravierende Folgen" für die Beziehungen zwischen Russland und der EU hätte, schrieb Röttgen am Montag auf Deutsch und Englisch im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Lukaschenko rief er auf, statt militärischer Unterstützung zur Niederschlagung der Proteste den "Dialog mit seiner Bevölkerung" zu suchen. (dpa, Reuters, AFP)

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