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In einem historischen Gebäude steht eine größere Gruppe von Menschen behelmten Uniformierten gegenüber.

© Olga Maltseva/AFP

Abbruch der Wissenschaftsbeziehungen mit Russland: „Ich möchte die Kollegen nicht zu politischen Bekenntnissen nötigen“

Auf den Krieg gegen die Ukraine reagieren deutsche Wissenschaftsorganisationen mit dem Einfrieren der Kontakte zu Russland. Ein Berliner Mathematiker berichtet.

Persönlich betroffen vom Abbruch der wissenschaftlichen Beziehungen zu Russland ist Matthias Wolfrum (54), promovierter Mathematiker am Berliner Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik (WIAS) und Mitglied in der Forschungsgruppe Laserdynamik. Das Gespräch mit ihm führte Amory Burchard.

Herr Wolfrum, welche wissenschaftlichen Kontakte verbinden Sie mit Russland?
Die Kontakte reichen lange zurück, es fing damit an, dass ich als Mathematik-Student mit dem DAAD für ein Jahr an der Staatlichen Universität St. Petersburg war. Ende der 90er bin ich ans Weierstraß-Institut gekommen, das aus der Akademie der Wissenschaften der DDR hervorgegangen ist und damals noch intensive Beziehungen zu früheren Warschauer Pakt-Staaten hatte. Einige meiner Kollegen hatten noch in der Sowjetunion studiert. Das Institut war damals eine Art „melting pot“ zwischen Ost und West – auch durch die Mathematiker, die in den Westen emigriert sind, weil sie dort eine bessere wissenschaftliche Zukunft als in Russland für sich sahen.

Und wie haben Sie aktuell mit Kollegen in Russland kooperiert?
Vor zwei Jahren haben wir uns zusammen mit einem Team vom Institut für Angewandte Physik der Russischen Akademie der Wissenschaften in Nischni Nowgorod erfolgreich an einem Call der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Russian Science Foundation (RSF) beworben.

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Das Programm zur gemeinsamen Forschungsförderung war zu diesem Zeitpunkt noch einmal ein Versuch, die zivilgesellschaftlichen Kontakte zu stärken. Wir arbeiten an unseren mathematischen Untersuchungen zur Dynamik von gekoppelten Systemen. Dabei geht es um komplexe dynamische Prozesse, wie sie zum Beispiel bei der Modellierung von neuronalen Systemen auftreten. Wir standen in einem engen Austausch, den wir jetzt erst mal unterbrochen haben.

Ein vierstöckiges historisches Gebäude mit einem modernen Anbau im Berliner Innenstadtbereich.
Das Weierstraß-Institut (WIAS) in der Mohrenstraße in Berlin-Mitte.

© L.M. Peter/WWW.foto-LMP.de

Matthias Kleiner, der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, zu der auch Ihr Institut gehört, hat als einer der Ersten das sofortige Einfrieren aller wissenschaftlichen Kontakte zu Russland gefordert. Wie gehen Sie damit um?
Es hat dazu eine persönliche E-Mail-Kommunikation mit dem Team in Nischni Nowgorod gegeben. Ich teile die Einschätzung von Herrn Kleiner, dass eine Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene mit staatlichen russischen Forschungseinrichtungen im Moment selbstverständlich nicht stattfinden kann. Daran gibt es nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem verheerenden Vormarsch in der Ukraine keinen Zweifel.

[Lesen Sie auch unseren Bericht über den offenen Brief der russischen Wissenschaftler: Gekappte Kontakte und ein Hilferuf aus Moskau]

Es gibt feine Linien etwa zwischen einem E-Mail-Kontakt, einem bilateral verfassten Paper und einer offiziellen Zusammenarbeit.
Wissenschaftliche Paper haben einen etwas längeren Vorlauf als ein Artikel in einer Tageszeitung. Was aus den gemeinsamen Dingen wird, die wir in der Pipeline haben, hängt von der weiteren Entwicklung in Russland und in der Ukraine ab. Jetzt liegt alles Gemeinsame auf Eis, aber beide Seiten können an ihren Teilprojekten weiterarbeiten. Die Finanzierung ist unabhängig, wir bekommen Geld von der DFG, das russische Team von der RSF.

Wie haben die Kollegen in Russland auf den Abbruch der Beziehungen reagiert?
Es ist klar, dass per E-Mail keine politischen Bekenntnisse hin und her geschickt werden können. Ich möchte die Kollegen auch nicht dazu nötigen. Was ich verstanden habe: Ihre persönliche Betroffenheit ist ebenso groß wie meine und unsere hier am Institut. Grundsätzlich finde ich den persönlichen Austausch über das politische Geschehen wichtig und wir haben das auch im direkten Kontakt, bei Meetings, immer gepflegt.

Insofern mache ich mir im konkreten Fall keine Sorgen um die Grundhaltung meiner Kollegen. Aber wer bei russischen Tagungen unterwegs war, weiß, dass es auch Wissenschaftler dort gibt, die nicht gerade zu Kritikern des Putin-Regimes gehören.

Eine Reihe von Bussen steht vor der Kulisse einer historischen russischen Stadt mit einer angestrahlten orthodoxen Kirche.
Ankunft von Bussen in Nischni Nowgorod - mit Menschen, die am 22. Februar 2022 aus dem Donbass "evakuiert" wurden.

© imago images/ITAR-TASS/Vladimir Smirnov

Was bedeuten die wissenschaftlichen Sanktionen für die russische Seite?
Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Erschwernisse auf unserer Seite und auch für die russischen Kollegen in keinem Verhältnis zu dem stehen, was Wissenschaftler in der Ukraine ebenso wie die gesamte Bevölkerung dort erleiden müssen. Für unser Projekt gilt: Wissenschaft lebt heutzutage mehr denn je vom Austausch, vom gemeinsamen Nachdenken über Fragestellungen.

Doch keine Seite ist zu 100 Prozent auf die Expertise der anderen angewiesen. Eine langfristige Isolation der russischen Forschungslandschaft aber würde sicherlich zu wissenschaftlichen Verlusten führen.

[In einem aktuellen Gastbeitrag fordert HRK-Präsident Peter-André Alt: Der Einspruch der Wissenschaft muss eindeutig sein]

Sie haben in ihrer Forschungsgruppe auch russische Staatsbürger. Sprechen Sie untereinander über den Krieg?
Wir haben eine interessante postsowjetische Mischung im Team, mit einem Georgier, einem Litauer und zwei Kollegen, die aus der Russischen Föderation stammen. Natürlich ist die Stimmung sehr bedrückt und es herrscht Fassungslosigkeit. Die Positionierung der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, die Beziehungen zu Russland einzufrieren, wird von allen mitgetragen, das halte ich für selbstverständlich.

Wir fragen uns auch, wie es den Kollegen in der Ukraine geht, die wir von früheren Meetings dort kennen. Einige arbeiten inzwischen in Westeuropa, zu den dort lebenden hatte ich aktuell noch keinen Kontakt.

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