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Auch, wie war das schön... Ohne Abstand und Maske bummeln auf der Berliner Friedrichstrasse. 2019 ging es noch.

© imago images/Jochen Eckel

97 Prozent der Erwachsenen müssten geimpft werden: Herdenimmunität fast unmöglich zu erreichen

Bislang sprach die Regierung von 60 bis 70, jetzt von bis zu 80 Prozent: So viele Menschen müssten immun sein, um Corona zu stoppen. Kann das gelingen?

60 Prozent, zwei Drittel der Bevölkerung, gelegentlich auch 60 bis 70 Prozent: In diesem Korridor bewegte sich bislang die Bundesregierung bei ihren Angaben dazu, ab wann sie von einer Herdenimmunität der Bevölkerung gegenüber dem SARS-CoV-2-Virus ausgeht.

Die Zahl ist eine elementare Kenngröße für mehrere zentrale Bereiche der gegenwärtigen Krisenbewältigung: Besagt sie doch unter anderem, wie viele Menschen eine Impfung erhalten müssen, um die unkontrollierbare Ausbreitung des Virus zu stoppen, und damit indirekt auch, wie lange es noch nötig sein wird, Grundrechte wegen der Pandemie einzuschränken.

Doch inzwischen scheint die Regierung die Zielmarke der Herdenimmunität weit höher als bisher anzusetzen, wie aus der Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Kleine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Wieland Schinnenburg hervorgeht, die Tagesspiegel Background vorliegt.

Aussagen über Herdenimmunität bei SARS-CoV-2 beruhen auf Schätzungen und beinhalten grundsätzlich viele Unbekannte: So ist noch nicht endgültig geklärt, ob Geimpfte das Virus weiter übertragen können, zudem spielen auch die Wirksamkeitsgrade der verschiedenen Impfstoffe eine Rolle.

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Hinzu kommt die Ungewissheit, welche Auswirkungen ansteckendere Virus-Varianten auf die Ausbreitungsgeschwindigkeiten haben können und welches Maß an Herdenimmunität dadurch nötig würde. In den USA etwa sorgte der führende Epidemiologe und Regierungsberater Anthony Fauci gerade für Aufregung, da er den vermuteten nötigen Durchimpfungsgrad der Bevölkerung für eine Corona-Herdenimmunität anhob, von zunächst 60 Prozent auf zuletzt bis zu 85 Prozent.

In Deutschland war bislang die am häufigsten zu hörende Angabe zwischen 60 und 70 Prozent. Auch beim jüngsten „Impfgipfel“ dürfte diese Zahl in den Hinterköpfen der Landes- und Bundespolitiker geschwebt haben: Legt sie doch den Zeithorizont fest, ab dem eine abgeschlossene Impfkampagne möglich erscheint.

Impfbereitschaft müsste deutlich ansteigen

„Effektive und sichere Impfungen können einen entscheidenden Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten und werden es ermöglichen, Kontaktbeschränkungen mittelfristig zu lockern“, erklärt BMG-Staatssekretärin Sabine Weiss (CDU) nun in der Antwort auf Schinnenburgs Anfrage.

Bevor es soweit sei, müsse jedoch ein „Großteil der Bevölkerung eine Immunität gegen das Virus entwickelt haben“. Bei Covid-19 müsse man davon ausgehen, „dass eine Herdenimmunität vorliegt, wenn etwa 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung gegen das Virus immun sind“, so Weiss weiter.

Bei 83 Millionen Einwohnern würde dies bedeuten, dass mindestens 58 Millionen Menschen in der Bundesrepublik geimpft werden müssten, und bis zu 67 Millionen.

Da aber die derzeitigen und vermutlich auch alle kommenden Impfstoffe nicht an Kinder und Jugendliche unter 18 (im Fall von BioNTech/Pfizer gibt es eine Altersgrenze von 16) verabreicht werden darf, fallen hier rund 14 Millionen potenzielle Impflinge weg – für diese Altersgruppe ist eine Impfung aller Voraussicht nach frühestens 2024 möglich.

Sollte bei maximal 69 Millionen Impffähigen eine Zahl von bis zu 67 Millionen erreicht werden, entspräche dies einer Impfbereitschaft von rund 97 Prozent. Das ist weit mehr, als bisherige Umfragen vermuten lassen – allerdings scheint die Impfbereitschaft in letzter Zeit auch wieder zuzunehmen.

Berücksichtigt werden muss bei den Berechnungen zur Herdenimmunität zusätzlich, dass wahrscheinlich nicht nur geimpfte Personen immun sein werden, sondern auch solche, die eine Infektion durchgemacht haben – auch wenn dies noch nicht abschließend geklärt ist und auch nicht klar ist, wie lange dieser Schutz anhält.

Bislang positiv getestet wurden in Deutschland mehr als 2,2 Millionen Menschen auf das Coronavirus; der Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, ging kürzlich von einer Dunkelziffer aus, die vier bis sechs Mal so hoch sein könnte. Diese Millionen Genesenen dürften damit, zumindest für eine gewisse Zeit, auch einen Beitrag zur Herdenimmunität leisten. Auch ehemals Infizierte sollen aber mittelfristig geimpft werden, sobald genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen.
Eine ausführlichere Version dieses Textes im Informationsdienst Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health an dieser Stelle erschienen.

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