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Auszeit zur Entgiftung. Für die klassische Dialyse kommen die Patienten mehrmals in der Woche zur Blutwäsche in eine Klinik oder zu einem Arzt.

© picture alliance / dpa

90 Jahre Dialyse: Wenn eine Maschine die Niere ersetzt

Die Blutwäsche wird 90 Jahre alt. Beim Nierenversagen ist sie nach wie vor die einzige Rettung – neben der Transplantation.

„Mein Körper ist eine Baustelle, aber mein Kopf funktioniert noch.“ So lakonisch bringt Maya Hügle ihre lange Krankengeschichte auf den Punkt. Ihre Nieren versagten den Dienst, als sie 19 war, vor fast 40 Jahren. Ihr Körper stieß im Lauf der Jahre drei Spendernieren ab. Seit zehn Jahren ist sie deshalb wieder Dialyse-Patientin, mehrmals in der Woche muss sie zur Blutwäsche.

„Manchmal kann ich nicht glauben, dass ich noch da bin“, sagt die 58-Jährige. Seit dieser Woche ist Maya Hügle bundesweit auf vielen Plakatwänden mit ihrer Nichte beim gemeinsamen Kochen zu sehen. Sie ist Teil einer Aktion, die die deutschen Nephrologen – benannt nach dem griechischen Wort für Niere, nephròs – gerade gestartet haben. Zusammen mit dem Verband Deutscher Nierenzentren, dem Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation und der Stiftung Patienten-Heimversorgung nimmt die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie einen runden Geburtstag zum Anlass, um an die Bedeutung des paarig angelegten Organs zu erinnern: Die Dialyse wird 90 Jahre alt. „Ihre Niere liegt uns am Herzen“, verkündet die Kampagne.

Bisher hat das Organ ein stiefmütterliches Dasein geführt. Dabei kommen wir nicht ohne Nieren aus: Sie waschen täglich fast 1800 Liter Blut, filtern Giftstoffe und Stoffwechselprodukte heraus, bilden den Harn, regulieren den Wasserhaushalt und stellen das Gleichgewicht von Säuren und Basen sicher. Und sie tragen zudem zur Bildung roter Blutkörperchen bei.

Zuerst war die Skepsis groß

Maya Hügle ist nur eine von mehr als 80 000 Patienten, die in Deutschland regelmäßig an die „künstliche Niere“ müssen. „Heute ist die Dialyse eine Selbstverständlichkeit“, sagt Jürgen Floege, Präsident der Fachgesellschaft. Als im Jahr 1924 der Mediziner und Naturwissenschaftler Georg Haas erstmals seinen selbst gebauten Apparat aus Glaszylindern und Schläuchen zur Entgiftung der Niere in einem Hörsaal der Universität Gießen bei einem Patienten einsetzte, war die Skepsis noch groß. Nicht ganz zu Unrecht: Technische und medizinische Probleme, unter anderem mit der Blutgerinnung, führten zu einer längeren Pause, bis der Niederländer Willem Kolff der Fachwelt Mitte der 1940er Jahre seine rotierende künstliche „Trommelniere“ vorstellte, die in den 1950er Jahren in den USA zum Einsatz kam; nicht zuletzt bei Soldaten, die mit schweren Virusinfektionen und akutem Nierenversagen aus dem Koreakrieg heimgekehrt waren.

Erst in den 1960er Jahren wurden jedoch die Shunts entwickelt – künstliche Verbindungen zwischen einer Vene und einer Arterie, meist im Unterarm des Nierenkranken – die es möglich machen, Patienten auf Dauer zu dialysieren. Sie schaffen einen Zugang zum Blut. Mehrmals in der Woche wird es in ein Gerät gepumpt und durch poröse Kunststoffröhrchen geleitet, die eine halb durchlässige Membran darstellen. Die Röhrchen werden außen von einer Elektrolytlösung umspült, die Schadstoffe aus dem Blut wandern entsprechend dem Konzentrationsgefälle in diese Flüssigkeit. Das gereinigte Blut fließt dann wieder zurück in den Körper. So funktioniert es jedenfalls bei der klassischen Hämodialyse, für die die Betroffenen in eine Klinik, ein Zentrum oder die Praxis eines Nephrologen kommen. Je länger und häufiger das Blut dort gereinigt wird, desto besser ist es für den gesamten Organismus.

Eine zweite Technik, die Peritonealdialyse, ermöglicht diese Reinigung im Körperinneren. Durch einen dauerhaft angelegten Katheter wird aus einem Beutel sterile Lösung in die Bauchhöhle gegeben und nach einigen Stunden, durch die harnpflichtigen Substanzen des Bluts angereichert, wieder abgelassen. Das besonders gut durchblutete Bauchfell, das den Bauchraum auskleidet, erfüllt dabei die Funktion der Membran. Das funktioniert auch zu Hause, mit einer verfeinerten Technik sogar nachts im Schlaf. Nur wenige Betroffene können oder wollen aber die ganze Verantwortung für die eigene Blutwäsche übernehmen.

"Keiner unserer Patienten ist nur nierenkrank"

Für alle kommt die Bauchfell-Methode schon deshalb nicht infrage, weil viele Menschen mit chronischem Nierenversagen durch andere Krankheiten geschwächt sind. „Keiner unserer Patienten ist nur nierenkrank“, sagt Floege. „Die Liste der Diagnosen ist oft zwei Seiten lang.“ Nephrologen müssen von anderen Krankheiten aus dem Spektrum der Inneren Medizin viel verstehen, sie empfinden sich als Hausärzte und erste Ansprechpartner ihrer Dialyse-Patienten.

Hauptursachen für das chronische Nierenversagen sind heute die Volksleiden Diabetes vom Typ II (Alterszucker) und Bluthochdruck. Zwischen den dreien gibt es Wechselwirkungen. Aber auch angeborene Fehlbildungen, Entzündungen der Nierenkörperchen (kleiner Gefäßknäuels, die für das Filtern des Harns wichtig sind) aufgrund von Abwehrreaktionen des Körpers, und nicht zuletzt der Dauerkonsum von hochdosierten Schmerzmitteln schädigen die Nieren. Warnzeichen sind Veränderungen des Urins, ein auffälliger Anstieg des Blutdrucks, Schwellungen an den Unterschenkeln und plötzliche Gewichtszunahme, die auf Wassereinlagerungen im Gewebe hindeuten.

Nur knapp ein Fünftel der Dialyse-Patienten kommen für eine Transplantation infrage, sagt Thomas Weinreich, Vorstandsmitglied im Verband Deutscher Nierenzentren. Trotzdem warten laut Deutscher Stiftung Organtransplantation rund 8000 Menschen auf eine Spenderniere. Nur wenige haben das Glück, dass jemand in ihrem persönlichen Umfeld eine seiner beiden Nieren als Lebendspende weitergibt.

Hoffnung auf eine bessere Therapie

Maya Hügle bekam drei Mal eine neue Niere, vertrug sie aber nicht. Nun ist sie wieder auf die Blutwäsche angewiesen und hat sich auf die damit einhergehenden „Auszeiten“ längst eingestellt. „Es ist der Gedanke an die Forschung, der mir Kraft gibt“, sagt sie. Die Therapie verbessern könnte zum Beispiel ein Verfahren mit dem Namen Online-Hämodiafiltration. Hier wird die klassische Dialyse, die die Giftstoffe mit Diffusion vom Blut trennt, mit einer Blutfiltertechnik kombiniert. „Online“ heißt die Methode, weil das Dialysegerät selbst die Elektrolytlösung herstellt, die die entzogene Flüssigkeit ersetzt. Die Doppelstrategie soll Entwässerung und Reinigung des Bluts effizienter machen.

Francisco Maduell von der Uniklinik in Barcelona und seine Mitarbeiter konnten im letzten Jahr zeigen, dass Patienten, die drei Jahre lang so behandelt wurden, einen deutlichen Überlebensvorteil hatten. Zwei Studien, die in diesem Jahr erschienen sind, haben das allerdings nicht bestätigt, sodass weiterhin Klärungsbedarf besteht. Auch in der Forschung zur Dialyse bleibt alles im Fluss.

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