zum Hauptinhalt
Zweimal pro Umlauf kreuzt Asteroid „2011 ES4“ die Erdbahn.

© ESA Science Office/dpa

50-Meter-Brocken im Anflug: Knapp an der Erde vorbei

Am 1. September schießt ein Asteroid zwischen unserem Planeten und dem Mond hindurch. In diesem Jahr ist es bereits das vierte Nahereignis.

Am 1. September sollte man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, warnte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in einem launigen Tweet. An diesem Tag wird der Asteroid „2011 ES4“ knapp an der Erde vorbeirauschen. 

Der Himmelskörper mit einem geschätzten Durchmesser von 20 bis 50 Metern soll um 18.12 Uhr mitteleuropäischer Zeit in einer Entfernung von rund 122 000 Kilometern an unserem Planeten vorbeischießen. Was gerade mal einem Drittel der Distanz zwischen Erde und Mond entspricht. „2011 ES4“ wird den sogenannten Apollo-Asteroiden zugerechnet, von denen man beim DLR inzwischen etwa 4000 Bahnen kennt.

Potenziell gefährlich

Durch seinen geringen Abstand hätte „2011 ES4“ durchaus das Potenzial, der Erde gefährlich zu werden. Die US-Weltraumbehörde Nasa listet auf ihrer Webseite über 25 000 Objekte im Zeitraum von 1900 bis 2200 auf, die der Erde näher als zehn Mondabstände kommen. „2011 ES4“ ist eins davon. 

Der Asteroid liegt am unteren Ende der Entfernungsskala. „Aber bei Weitem nicht am ganz unteren Ende“, erklärt Axel Schwope, Leiter der Arbeitsgruppe Röntgenastronomie am Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam (AIP). Nur 18 aller gelisteten Objekte kommen der Erde näher als fünf Prozent der Mondentfernung. Der Asteroid „2011 ES4“ mit nur rund 30 Prozent der Mondentfernung befindet sich in einer Gruppe von 182 Objekten, die maximal auf ein Drittel der Mondentfernung an uns herankommen.

Schwere Zerstörungen bei Treffer

Von der Größenskala ist der Asteroid mit wohl maximal 50 Metern Durchmesser eher durchschnittlich. Was allerdings nicht bedeutet, dass eine Kollision mit der Erde ohne Folgen bliebe. In dieser Größenordnung könnten bei einem Treffer tatsächlich bereits schwere Zerstörungen die Folge sein. 

Wie etwa in der russischen Stadt Tscheljabinsk 2013. Seinerzeit handelte es sich um einen kleineren Himmelskörper, der Meteorit, der über der Stadt explodierte, wird auf gerade mal rund 19 Meter geschätzt. Knapp 1500 Menschen wurden damals verletzt, die Druckwelle richtete Millionenschäden an, rund 3700 Gebäude wurden beschädigt – wohlgemerkt ohne dass es zu einem wirklichen Aufprall gekommen war. Der Himmelskörper wurde von den Himmelsüberwachungsprogrammen der astronomischen Forschungszentren nicht gesehen, weil er aus der Richtung der Sonne kam.

Astrophysiker: Kein Grund zur Sorge

Ein ähnliches Ereignis oder gar eine Kollision schließen Astronomen bei „2011 ES4“ allerdings aus. „Es besteht kein Grund, sich Sorgen zu machen“, sagt Axel Schwope. Die Erde hat einen Durchmesser von knapp 13000 Kilometern, rechnet er vor. „2011 ES4“ geht in einer Entfernung von rund 122 000 Kilometern an uns vorbei, was ungefähr einem Faktor 10 entspricht. „Denken Sie an eine Zielscheibe beim Bogenschießen, mit diesem Faktor würde man doch sehr weit danebenliegen.“

Bei einem Treffer dieser Größenordnung könnte es allerdings „ungemütlich“ werden, wie Schwope sagt. Es komme immer darauf an, wie die Erde getroffen werde, in welchem Winkel beispielsweise. Dabei spielt auch die Geschwindigkeit des Asteroiden eine erhebliche Rolle. Bei doppelter Geschwindigkeit vervierfacht sich die Energie, die ein Himmelskörper mitbringt. Die relative Geschwindigkeit zwischen Erde und „2011 ES4“ beträgt acht Kilometer pro Sekunde, was vergleichsweise eher gering ist.

Katastrophe vor 66 Millionen Jahren

Aus der Erdgeschichte wissen wir, dass Asteroideneinschläge katastrophal sein können. Das bekannteste Beispiel dürfte der Chicxulub-Einschlag vor 66 Millionen Jahren gewesen sind, ein Asteroid mit geschätzt zehn Kilometern Durchmesser donnerte in den Golf von Mexiko: Beben der Stärke 12 oder 13 erschütterten die Erde, Tsunamis rasten über die Meere, schlagartig schoss die Temperatur in der Karibik nach oben, Wälder verbrannten und das in die Luft geschleuderte Material verfinsterte die Sonne. Die folgende Dunkelheit und Kälte raffte die meisten Lebewesen dahin, wie wir heute wissen vor allem die Dinosaurier.

Auch das Nördlinger Ries in Deutschland geht auf den Einschlag eines Meteoriten zurück. Das Ries ist ein Plateau von enormem Ausmaß, der kreisrunde Krater hat einen Durchmesser von 20 bis 24 Kilometern. Es sind die Überreste eines rund 14 Millionen Jahre alten Einschlagkraters. Der Meteorit dürfte einen Durchmesser von etwa 1,5 Kilometern gehabt haben und mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 bis 50 Kilometern pro Sekunde eingeschlagen sein. 

„Interessant ist die Größenskala der Objekte, je größer, desto verheerender die Auswirkungen auf der Erde“, sagt Schwope. Der Einschlag eines großen Asteroiden kann die Erde schwer treffen, das Szenario ähnelt dem einer Atombombenexplosion, enorme Mengen an Energie werden freigesetzt. Das führt dazu, dass Gestein und Wasser verdampfen, der Dunst zieht in die hohe Atmosphäre. Am Ende kann ein Zustand vergleichbar einem nuklearen Winter auf der Erde eintreten.

Bereits der vierte Asteroid 2020 

In diesem Jahr gab es bereits drei Nahereignisse. Am 4. Mai schoss der Asteroid „2020 JJ“ mit 14 Kilometern pro Sekunde in 11 500 Kilometern Entfernung an der Erde vorbei, was gerade mal drei Prozent der Mondentfernung sind, allerdings war der Himmelskörper kleiner als sechs Meter. Am 1. Februar flog der 2-Meter-Brocken „2020 CW“ in gut 15 000 Kilometer vorbei. 

Der Asteroid «2020 QG» flog am 16. August 2020 in Rekordnähe an der Erde vorbei.
Der Asteroid «2020 QG» flog am 16. August 2020 in Rekordnähe an der Erde vorbei.

© -/ZTF/Caltech Optical Observatories /dpa

Extrem nah kam schließlich Asteroid „2020 QG“: in der Höhe von 2950 Kilometern zog der Brocken in SUV-Größe am 16. August über den Indischen Ozean – laut Nasa Rekordnähe. „So selten ist das also gar nicht“, sagt Schwope. Zwei- bis dreimal im Jahr zieht ein Asteroid innerhalb der Mondbahn an der Erde vorbei.

Bei den astronomischen Forschungszentren laufen permanent Himmelsüberwachungsprogramme, mit denen systematisch nach solchen Asteroiden gesucht wird. Unter anderem wollen die Astronomen herausfinden, ob einer dieser Himmelskörper die Erdbahn kreuzen könnte. 

Seit rund 15 Jahren wird der Himmel sehr umfänglich und empfindlich von verschiedenen automatischen Sternwarten beobachtet. Wobei tatsächlich viele Asteroiden entdeckt werden, die durch unser Sonnensystem ihre Bahn ziehen.

In 415 Tagen um die Sonne

Für den Asteroiden „2011 ES4“ reichten Beobachtungsdaten von gerade mal vier Tagen im März 2011 – insgesamt 44 Beobachtungen – aus, um seine Bahn genau zu erfassen. Berechnet wurde eine elliptische Bahn um die Sonne, mit 415 Tagen etwas langsamer als der Umlauf der Erde – mit einer maximalen Auslenkung, die fast bis zur Mars-Bahn reicht, die minimale Auslenkung liegt zwischen Venus und Erde. 

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

„Das heißt, dass der Asteroid irgendwann mal die Erdbahn kreuzen muss.“ Im Lauf der 415 Tage ist das zwei Mal der Fall. „Und wenn die Erde dann auch noch in der Nähe steht, wird es eben interessant“, erklärt Schwope.

Wie lange „2011 ES4“ bereits durch unser Sonnensystem streicht, ist unbekannt. Schließlich wurde er ja erst vor neun Jahren entdeckt. Der nahe Vorbeiflug Anfang September nun dürfte auch zu beobachten sein, allerdings nicht mit dem bloßen Auge. Man wird ein Teleskop brauchen, um den Himmelskörper, der Licht von der Sonne reflektiert, zu sehen.

Aktuell ist „2011 ES4“ schlecht zu beobachten, da er noch in Sonnennähe, also am Taghimmel steht. In den Tagen nach seiner größten Annäherung dürfte sich das allerdings ändern, weil „2011 ES4“ dann in den Nachthimmel wechselt.

2019 wird es ziemlich eng

Ziemlich eng wird es auch am 13. April 2029, dann kommt der Asteroid „99942 Apophis“ der Erde noch wesentlich näher, gerade mal 30 000 Kilometer Abstand bleiben nach den Berechnungen der Modelle. Und Apophis, um den sich bereits zahlreiche apokalyptische Szenarien ranken, ist nicht klein – er hat einen Durchmesser von etwa 370 Metern, was bei einem Einschlag enorme Energie freisetzen könnte. 

Experten sprechen vom 18-fachen der größten von Menschen verursachten Nuklearexplosion. Mittlerweile schließen Astronomen einen Einschlag aus, doch der nach dem Gott des Chaos benannte Himmelskörper galt für einige Zeit als der Asteroid mit dem größten kurzfristigen Einschlagsrisiko auf der Erde.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false